Der Sturm auf das Kapitol als Chance: Trumps Wahnsinn ebnet Biden den Weg zum Erfolg
„Bananenrepublik“, „Peinlichkeit“ – auch Republikaner sind vom Kapitol-Sturm erschüttert. Das hilft einer erfolgreichen Biden-Präsidentschaft. Ein Kommentar.
Joe Biden wusste, auf was er sich einlässt. Ja, er ist genau deswegen als Präsident angetreten. Um, wie er so häufig betont, für die Seele Amerikas zu kämpfen. Um nicht tatenlos zuzusehen, wie ein Donald Trump in einer zweiten Amtszeit das Land weiter beschädigen könnte. Nach dem rechtsextremen Aufmarsch in Charlottesville hatte Biden seine Kandidatur verkündet. Solche Bilder seines Landes sollte die Welt möglichst nicht mehr zu sehen bekommen.
An diesem 6. Januar hat die Welt Bilder aus Washington gesehen, für die sich viele Amerikaner in Grund und Boden schämen. Von einem demokratieverachtenden Mob, der das eigene Kapitol, das Herz der amerikanischen Demokratie stürmt - und von überforderten Sicherheitskräften, die diesem Treiben lange nicht wirklich etwas entgegensetzen konnten.
Was für eine Last für den nächsten Präsidenten, heißt es nun, was für ein Erbe, das er da antritt. Doch vielleicht ist die Last an diesem Mittwoch gar nicht schwerer geworden. So schrecklich die Unruhen waren, bei denen vier Menschen ums Leben kamen, so unfassbar die Szenen im Kongress, so groß der Schock, dass so etwas in Amerikas Hauptstadt möglich ist: Warum sollten nicht auch Konservative dadurch erschüttert sein? Manche kapieren es eben erst, wenn es schon fast zu spät ist.
Geradezu symbolisch steht dafür die Weigerung von Vizepräsident Mike Pence, auf Trumps Drängen einzugehen, die Wahl doch noch ihm zuzuschlagen.
Trump hat mit diesem Tag seine Partei endgültig vor eine Zerreißprobe gestellt. Selbst sein so lange schweigender Vorgänger George W. Bush sah sich am Abend genötigt, sich eindeutig zu Wort zu melden. Die Szenen aus Washington machten krank, erklärte der frühere Präsident. „So werden Wahlergebnisse in einer Bananenrepublik in Frage gestellt - nicht in unserer demokratischen Republik.“
Er sei „abgestoßen von dem rücksichtslosen Verhalten mancher politischer Anführer“ und dem mangelnden Respekt vor den Institutionen, den Traditionen und den Sicherheitskräften des Landes. Den Namen Donald Trump musste er nicht erwähnen, es war auch so klar, wen Bush meinte.
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Andere Republikaner wie Phil Scott, der Gouverneur von Vermont, riefen ganz offen dazu auf, Trump notfalls aus dem Weißen Haus zu schmeißen. Die Demokratie werde durch diesen Präsidenten attackiert. „Genug ist genug. Präsident Trump sollte zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden, durch sein Kabinett oder durch den Kongress“, twitterte Scott. Weitere Parteifreunde machen sich darüber offenbar bereits Gedanken, darunter sind nach Angaben von CNN auch Kabinettsmitglieder.
Gegen Trumps Festhalten an der Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug wandten sich außerdem langjährige Vertraute wie der Noch-Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, und der bisherige Vorsitzende des Justizausschusses, Lindsey Graham. Der Senator aus South Carolina sprach nach der Stürmung des Kapitols gar von einer „nationalen Peinlichkeit“.
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Interessanterweise war es ausgerechnet der in den vergangenen vier Jahren besonders Trump-loyale Graham, der 2016 auf Twitter prophezeit hatte, dass die Republikanische Partei „zerstört“ werden würde, sollte sie Trump zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren. Und: Dass sie es dann aber auch nicht anders verdiene.
Ist das nun eingetreten? Hat Trump die Grand Old Party tatsächlich zerstört und damit unfreiwillig den Weg für eine erfolgreiche Biden-Präsidentschaft bereitet? Die Überlebenden werden zu retten versuchen, was zu retten ist. Nach dem seit Mittwoch nun feststehenden Verlust auch des Senats steht die Partei am Scheideweg.
Verschwörungstheoretiker im Kongress
In die eine Richtung drängt die fanatische Trump-Basis, die einige neue Abgesandte in den Kongress geschickt hat, darunter Anhänger gefährlicher Verschwörungstheorien. In die andere streben die traditionellen Konservativen wie Utahs Senator Mitt Romney, der sich schon länger von Trump abgewandt hatte, oder die Abgeordnete Liz Cheney aus Wyoming. Die Tochter von Bushs einstigem Vizepräsidenten Dick Cheney sprach am Mittwoch von Trump als Brandstifter.
Diesen Teil der Partei wird Biden in den kommenden vier Jahren umwerben wollen, umwerben müssen, um seine Politikvorhaben durchzusetzen. Gut möglich, dass dieser Teil am Mittwoch deutlich gewachsen ist. Eine Reihe von bis dahin Trump-loyalen Republikanern nahm zudem noch am Abend Abstand davon, die Wahl Bidens weiter anzuzweifeln.
Der Sturm auf das Kapitol bedeutet eine Zäsur für die Vereinigten Staaten von Amerika. Es liegt nun an Biden, daraus das Beste zu machen. Mit seiner jahrzehntelangen Washington-Erfahrung könnte der 78-Jährige, der nur eine Amtszeit regieren will und sich selbst als Brückenbauer bezeichnet, genau der Richtige für diesen sensiblen Zeitpunkt sein.