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Trump-Unterstützer stürmen das US-Kapitol in Washington.
© imago images/UPI Photo

Sturm auf das US-Parlament: Trumps Angriff auf die amerikanische Demokratie

Der US-Präsident hat zum Angriff auf den Kongress angestachelt. Trägt er Schuld über seine Worte hinaus? Am Ende hat er sich selbst geschadet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es sind erschreckende Bilder. Bilder eines Angriffs auf die Demokratie und den Rechtsstaat. Bürger stürmen das Parlament, bedrohen gewählte Abgeordnete. Sie wollen die Volksvertreter daran hindern, den Wahlsieg Joe Bidens über Donald Trump offiziell anzuerkennen.

Wer hat sie dazu angestiftet? Der Wahlverlierer. Trump benutzt die Privilegien seines Amts, um die Lüge von der gestohlenen Wahl zu verbreiten und zu Widerstand aufzurufen. Seit Wochen und explizit nochmal am Mittwochmittag amerikanischer Zeit in einer Rede vor seinen Anhängern. Und er findet zum Teil willige Mittäter in seiner Partei, sogar gewählte Abgeordnete und Senatoren.

Die gemeinsame Sitzung des Abgeordnetenhauses und des Senats hatte am Mittwoch mit ergreifenden Reden begonnen. Reden, die ein Happy End des Streits um die Wahl nahelegten. Gerade auch, weil Republikaner sich eindeutig gegen Trumps versuchten Coupversuch wandten: Vizepräsident Mike Pence, Senatsführer Mitch McConnell, Senator Pat Toomey aus Pennsylvania. Demokraten ehrten dieses Bekenntnis zum gemeinsamen Glauben an die Kraft der Demokratie, indem sie diesen Republikanern nicht ihre vormalige Nähe zum Aufrührer Trump vorhielten.

Trumps Anhänger überrannten die wenigen Polizeikräfte

Dann kam die Gewalt - nahezu zeitgleich mit der Nachricht vom Doppelsieg der Demokraten bei den Stichwahlen in Georgia, der dem künftigen Präsidenten Joe Biden die Senatsmehrheit ermöglicht. Trumps Anhänger überrannten die viel zu spärlichen Polizeikräfte zum Schutz der Volksvertreter. Sie drangen in das Kapitol ein, manche wie irregeleitete Touristen, andere mit entschlossenen Mienen und bewaffnet.

Sturm auf ein Parlament - an was erinnern diese Bilder? Da sind zum einen die bedrückenden Assoziationen. Etwa der Brand des bereits geschlossenen Reichtags, der seiner Funktion als Volksvertretung bereits beraubt war, samt der Katastrophe unter Hitler, die folgte. Diktaturen haben immer wieder Parlamente gewaltsam geschlossen.

Zum anderen stand der Sturm auf ein Parlament aber oftmals auch für Freiheit. Das galt zumal in den Jahren des Aufbegehrens gegen die Diktatur, von Rumänien über Bulgarien bis Serbien.

Bürgerkriegsszenen vor dem Kapitol.
Bürgerkriegsszenen vor dem Kapitol.
© Julio Cortez/AP/dpa

Was unterscheidet den "guten" vom "bösen" Sturm auf ein Parlament? Vor allem die Ausgangslage. Wer unzweifelhaft in einer Diktatur lebt, mag den Sturm aufs Parlament als Akt der Befreiung empfinden - und ebenso die Augenzeugen. Wer hingegen in einem demokratischen Rechtsstaat lebt, kann sich nicht auf einen übergesetzlichen Notstand berufen, der zum Widerstand berechtigt. Man kann sich an die Volksvertreter und die Gerichte wenden. Und wenn die die Einsprüche als unbegründet ablehnen, dann ist das in einem Rechtsstaat zu akzeptieren. Das gewaltsame Aufbegehren ist dann Rechtsbruch. Und doppelt, wenn dabei frei gewählte Volksvertreter bedroht werden.

War das Vertrauen in die Demokratie zu groß?

Als Lehre aus der historischen Katastrophe schützt die deutsche Demokratie ihre Parlamente mit einer Bannmeile. Sie soll verhindern, dass die Straße unrechtmäßig Druck auf Volksvertreter ausübt.

Die USA kennen keine Bannmeile um den Kongress. Ihnen waren die traumatischen Erfahrungen der Deutschen bisher erspart geblieben. Illegal ist das Eindringen in den Kongress gleichwohl. Die demokratische Mehrheit in den USA nimmt den Gewaltakt als Zivilisationsbruch wahr.

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Der Sinn der Bannmeile ist aber auch in Deutschland Kräften rechts wie links der Mitte abhanden gekommen. Das hat das Vordringen von Corona-Protestlern auf die Stufen des Reichstags gezeigt. Und ebenso das Eindringen von Klimaaktivisten in das Berliner Abgeordnetenhaus gegen den Willen des Hausherrn. Beide Aktionen haben bei Weitem nicht die Dimension des Aufruhrs in Washington. Aber die Mahnung bleibt: Wehret den Anfängen. Bannmeilen müssen geschützt werden.

Unterstützer von US-Präsident Trump stehen vor Polizeien auf dem Gang vor der Senatskammer im Kapitol.
Unterstützer von US-Präsident Trump stehen vor Polizeien auf dem Gang vor der Senatskammer im Kapitol.
© dpa/ Manuel Balce Ceneta

Der Sturm auf den Kongress war womöglich kein spontanes Aufbegehren empörter Bürger. War es ein geplanter Aufstand? Führen womöglich Spuren zu Trump? Trägt er eine Schuld über seine Worte hinaus? Das muss untersucht werden. Und womöglich ist dann ein Prozess gegen ihn fällig. Quasi ein zweites Impeachment, auch wenn der Nachfolger bereits in zwei Wochen ins Amt eingeführt wird. Der Name des Verfahrens wäre zweitrangig, Wichtig ist, dass ein solches Verbrechen gegen die Demokratie, sofern Trump eine Beteiligung nachgewiesen werden kann, auch bestraft wird.

Und Bidens Amtsantritt wird durch die Entwicklung ein kleines bisschen leichter. Trump ist nach diesem Gewaltakt nicht mehr mehrheitsfähig. Wichtige Republikaner setzen sich von ihm ab.

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