Der US-Präsident auf Europa-Tour: Trumps Strategie: Maximale Verwirrung
Donald Trump kapert den Nato-Gipfel für seine eigenen Botschaften. Das ist spektakulär. Aber ist es auch schädlich? Ja, vor allem auf lange Sicht. Ein Kommentar.
Atemberaubend. Unfassbar. Noch nie dagewesen. Reaktionen, die auf fast jeden von Donald Trumps Auftritten folgen. Wenn sich die Aufregung legt, der Rauch sich verzieht, beginnt die Analyse. Was genau hat er gesagt? Was nicht? Und was will er damit erreichen? Willkommen im Trump-Zirkus, es ist Tag zwei seiner siebentägigen Europa-Reise.
Der Auftritt des US-Präsidenten kurz vor Ende des Nato-Gipfels, als all die anderen mit Sacharbeit beschäftigt waren, mit Details, die ihn nicht weiter interessieren, ist spektakulär. Nur wenige Stunden, nachdem mehrere Nato-Partner von harten Drohungen berichteten, tritt Trump vor die versammelte Weltpresse, bekennt sich zum Bündnis und verkündet gleichzeitig den Sieg über die Alliierten: Die Nato-Partner seien seiner Aufforderung gefolgt, künftig viel mehr für Verteidigung auszugeben. Hab’ ich was verpasst, fragt sich ungläubig der Zuschauer.
Was bleibt: Maximale Verwirrung
Es ist genau das, was Donald Trump erreichen wollte, sein 30-minütiger Auftritt ist ein Musterbeispiel für seine Taktik. Maximale Verwirrung, Botschaften, die unterschiedlich interpretiert werden können, von den Partnern im Westen ganz anders als von der eigenen Basis in der Heimat. Die einen fangen an zu rechnen, zu hinterfragen und zu überprüfen, ob überhaupt stimmt, was der Präsident da herausposaunt hat.
Dass, zum Beispiel, die anderen Nato-Partner sich spontan und als Reaktion auf seinen maximalen Druck zu so viel höheren Verteidigungsausgaben verpflichtet hätten: 33 Milliarden Dollar, vielleicht sogar 40! Die Zeit, die verstreicht, bis die Analyse abgeschlossen ist, dauert aber zu lange für die anderen, die hören: Wow, er hat sich schon wieder durchgesetzt, und er hat ja recht, wir zahlen wirklich zu viel, wie unfair. Löst sich man sich von diesen unmittelbaren Reaktionen, stellt sich die einfache Frage: Steht die Nato, steht der Westen als Ganzes besser oder schlechter da? Trump sagt: Eindeutig besser. Weil die Nato reicher sei als vor zwei Tagen, stärker, geeinter, das Verhältnis der Bündnispartner sei besser denn je.
Die Katastrophe ist abgewendet - oder?
Und wie ist es wirklich? Der Optimist kann sagen: Für den Moment, und nur der scheint zu zählen bei diesem Präsidenten, ist die Katastrophe abgewendet. Die Katastrophe, dass sich die USA aus der Nato zurückziehen und ihr „eigenes Ding machen“, wie es Trump angedroht haben soll. Die von ihm ganz besonders angegriffene Bundeskanzlerin vermerkt kühl im Anschluss, Deutschland müsse sich angesichts der andauernden Diskussion über höhere Militärausgaben „immer wieder fragen, was können wir gegebenenfalls noch mehr tun“. Angela Merkel ignoriert Donald Trumps Provokationen und verweist auf das „Ergebnis“: ein „klares Bekenntnis aller zur Nato und eine deutliche Bereitschaft aller auch, angesichts veränderter Sicherheitslagen den eigenen Beitrag zu leisten“. Also alles nicht so schlimm?
Kurzfristig ist es das, was zählt: Es hätte schlimmer kommen können. Langfristig hat erstmals in der fast 70-jährigen Geschichte des Bündnisses ein amerikanischer Präsident die Frage gestellt, ob die Nato überflüssig sei. Das hören sie in seiner Heimat sehr genau, wo der Nutzen der transatlantischen Verteidigungsallianz von vielen nicht mehr automatisch gesehen wird. Die Zustimmung zur Nato ist in den USA in jüngster Zeit bereits dramatisch zurückgegangen. Wo politische Führung dringend notwendig wäre, um die historische Bedeutung dieses so erfolgreichen Bündnisses verständlich zu machen, zu erklären, warum die Nato in den vergangenen Jahrzehnten ein Garant für Frieden war und in der Zukunft sein muss, macht Trump das Gegenteil. Er greift den Unwillen über internationale Zusammenarbeit und Engagement auf und verstärkt ihn noch. Das macht seine Rhetorik so gefährlich.
Warum er das tut, darüber zerbrechen sich viele den Kopf. Eine Erklärung könnte sein, dass er das Russland von Wladimir Putin nicht als Bedrohung empfindet. „Putin ist nicht mein Feind“, sagt der US-Präsident, er sei nur „ein Wettbewerber“. Wo der Feind fehlt, braucht es kein Verteidigungsbündnis. Ist es so einfach? Es ist erst Tag zwei seiner Europa-Reise. Am Montag trifft Trump Putin.