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Schulter an Schulter - irgendwie: US-Präsident Trump und Bundeskanzlerin Merkel.
© Kay Nietfeld/dpa

Vor dem Nato-Gipfel: Zerschlägt Trump auch noch das Verteidigungsbündnis?

Am Mittwoch beginnt der Nato-Gipfel in Brüssel. US-Präsident Donald Trump fordert mehr Geld aus Europa. Jetzt könnte er nach den G7 auch die Verteidigungsallianz erschüttern.

Ältere Herren mit miesen Umgangsformen kreuzen derzeit öfter Angela Merkels Weg, aber Donald Trump ist nochmal eine spezielle Nummer. Am Mittwoch sehen sich die Deutsche und der Amerikaner beim Nato-Gipfel. Es droht massiver Streit ums Geld. Trump hat einen bösen Brief nach Berlin geschrieben, am Donnerstag legte er nach: „Weißt du, Angela ...“ fing seine Gardinenpredigt vor Anhängern in Montana an und endete mit dem Satz: „Und wir sind die Deppen, die für die ganze Sache bezahlen!“

In Brüssel fürchten manche schon die Wiederholung der Trump-Show in Kanada, als der US-Präsident per Twitter nachträglich das G-7-Treffen zersprengte. Dass er kurz nach den Nato-Partnern den russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft, trägt nicht zur Beruhigung der Verbündeten bei. Trump, der Autokratenkumpel und Verächter komplizierter Bündnispolitik, könnte auch die Verteidigungsgemeinschaft in Frage stellen.

Wie ist der Stand bei den Finanzen?

Dass die USA sich von Nato-Partnern ausgenutzt fühlen, ist ein altes Thema. Auch Barack Obama hatte geklagt; dass der Nato-Gipfel in Wales 2014 die Selbstverpflichtung auf das Zwei-Prozent-Ziel festschrieb, war nicht nur dem Erschrecken über die russische Aggression gegen die Ukraine geschuldet, sondern auch Folge dieses Drängens. Nur wenige Verbündete sind bisher im Ziel oder ihm wenigstens nahe. Die anderen haben sich lange darauf verlassen, dass man auch in Washington genau liest: Bis 2024, lautet die Formel von Wales, wolle man die Verteidigungsausgaben „in Richtung auf“ zwei Prozent vom Bruttosozialprodukt steigern.

US-Verteidigungsminister James Mattis liest genau. Als die Kollegin Ursula von der Leyen ihn vor Kurzem besuchte, bescheinigte ihr der Ex-General, die Deutschen seien auf dem richtigen Weg. Tatsächlich steigt der Wehretat. Im Pulverdampf der Unionskrise weitgehend unbemerkt genehmigte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) der CDU-Kollegin für 2019 einen Aufwuchs um rund vier Milliarden auf 42,9 Milliarden Euro. Die Nato- Quote steigt damit auf 1,31 Prozent.

Das klingt gut mit Blick auf Leyens Ansage an die Nato, bis 2024 wolle Berlin bei 1,5 Prozent liegen. Tatsächlich droht die Quote aber nach der Finanzplanung in den Folgejahren wieder zu sinken. Denn sie steht ja in Beziehung zum Wachstum, und das wird nach den aktuellen Prognosen weit schneller steigen als die Ausgaben für die Bundeswehr.

Aber selbst wenn 1,5 Prozent und also ein Zuwachs um 80 Prozent erreichbar wären – der Chef des General Mattis liest nicht gern genau. Trump hat sich von Anfang an auf „zwei Prozent“ versteift. Das Argument lässt ihn dabei völlig kalt, dass Deutschland als mit Abstand größter Nato-Truppensteller allein in Afghanistan seine Schuldigkeit mehr als erfülle. Merkel hat denn auch gerade erst im Bundestag zugegeben, gemessen an dem was andere täten, sei der deutsche Finanzbeitrag „bei Weitem nicht ausreichend“.

Kann Trump die Partner zwingen?

Plumpen Druck ausüben, um sein Ziel zu erreichen, kann auch ein US-Präsident natürlich nicht. Indirekt geht schon mehr. Die Europäer hoffen auf Zusagen im Handelsstreit, sie wollen das von Trump gekündigte Iran-Atomabkommen in den Grundzügen aufrecht erhalten – der Geschäftsmann im Weißen Haus hätte hier einige Ansatzpunkte, um sich Entgegenkommen bezahlen zu lassen.

Strafaktionen als Nadelstiche gegen aus US-Sicht säumige Zahler wären durchaus möglich, sind aber offenbar nicht geplant. Zwar gab es in den vergangenen Tagen Spekulationen über einen Abzug von US-Truppenteilen aus Deutschland. Hierzulande sind rund 35.000 US-Soldaten stationiert, nach Japan und vor Südkorea das zweitgrößte Auslandskontingent.

Aber unter deutschen Experten lösten die Meldungen keine Besorgnis aus. Großstandorte wie das Luftkreuz Ramstein, das Lazarett Landstuhl oder das Regionalkommando in Heidelberg lassen sich kaum verlegen. Polen hat zwar schon länger ein Lockangebot unterbreitet, für einen größeren US-Standort bis zu zwei Milliarden Dollar auf den Tisch zu legen. Ein Umzug käme trotzdem weit teurer als der Status Quo.

In einer Telefon-Pressekonferenz im Vorfeld des Gipfels erklärte denn auch die US-Botschafterin bei der Nato, Kay Bailey Hutchison, von Verlegeplänen habe sie absolut nichts gehört. Im Gegenteil: Der Standort bleibe enorm wichtig. Tatsächlich baut die Nato ja gerade erst ein neues Logistikkommando in Ulm auf – mit Zustimmung der USA, versteht sich.

Aber steht Trump politisch überhaupt noch hinter den Zielen der Nato?

Trumps früher Spruch, dass das Bündnis „überflüssig“ sei, erwies sich als Übersetzungsfehler – gemeint war offenbar „renovierungsbedürftig“. Der Schrecken hat aber die Klarstellung irgendwie überlebt. Außerdem hat niemand in Brüssel vergessen, dass sich der Amerikaner bei seinem ersten Besuch geweigert hatte, das Beistandsversprechen für das Bündnis zu bekräftigen.

Auf der anderen Seite stellt ein deutscher Experte für transatlantische Beziehungen nüchtern fest: So wüst Trump bei Klima, Handel oder der Nahost-Politik gegen die Partner agiere – „es gibt einen Bereich, in dem wir uns bisher nicht beschweren können über die Zuverlässigkeit des Präsidenten“. Das Militärbündnis scheint relativ immun gegen Trumps Unilateralismus, schon weil es der „America first“- Strategie gar nicht im Wege steht. Selbst die Klage über die schlechte Zahlungsmoral in der Alten Welt relativiert sich – diesen Außenposten gegen den Rivalen in Moskau müsste die Weltmacht USA so oder so besetzen.

Auch auf der Fachebene sind keine Klagen zu hören. Im Gegenteil: Minister Mattis und seine Militärs gelten in Berlin als Partner von altem Schrot und Korn, die mit den Twitter-Ein- und Überfällen des Präsidenten nichts zu tun haben. Umgekehrt liebt und bewundert der ungediente Trump das Militär. Am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, der im ganzen Land mit Paraden, Feuerwerk und Barbecue gefeiert wird, zeigt sich der Präsident mit Soldaten und lobt sie in den allerhöchsten Tönen: „Unsere Freiheit gibt es nur wegen der mutigen Amerikaner, die bereit sind, ihr Leben zu geben, um unser großartiges Land zu verteidigen!“

Manche Experten vermuten sogar, dass das Kriegshandwerk eines der wenigen Gebiete ist, auf denen Trump nicht alles zu wissen glaubt. „Er hat Respekt vor der Truppe“, sagt einer in Berlin. Unter seinen Beratern waren und sind auffällig viele Ex-Soldaten. Minister Mattis, Spitzname „Mad Dog“, zählt zu den wenigen Verbliebenen der ersten Tage.

Und Militärs sind Rationalisten. Sie denken nicht im Traum daran, am Nato-Bündnis zu rütteln. Sie wären auch die ersten, die intervenieren würden, wenn ihr Präsident dem russischen, Wladimir Putin, ähnlich bedenkliche Geschenke machen würde wie neulich dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un. Dem hatte Trump den Verzicht auf Militärmanöver mit Südkorea auf das vage Versprechen hin zu Füßen gelegt, der Norden strebe die Denuklearisierung ganz Koreas an.

Droht in Helsinki ein ähnliches Geschäft zu Lasten der Nato-Europäer?

Wenn es mit Vernunft zugeht, eher nicht. Nato-Botschafterin Hutchison und der US-Botschafter in Russland, Jon Huntsman, sprachen in der Telefonpressekonferenz deutlich von „bösartigen Aktivitäten“ der Russen. Trump wolle diese auch in seinem Gespräch mit Putin am 16. Juli in Helsinki zum Thema machen. Gemeint sind damit sowohl die russische Einmischung in mehrere Wahlen als auch das militärische Vorgehen in der Ukraine.

Ob Trump selbst auch solch harte Worte wählen wird? Was die Einmischung in Wahlen angeht, steckt er in einer Zwangslage, versucht er doch mit allen Mitteln dem Verdacht entgegen zu treten, dass er sich von Putins Russland heimlich ins Amt helfen ließ. Was den Rest angeht, schwebt über dem Helsinki-Gipfel wie über dem Nato-Treffen das Risiko des Trumpschen Eigensinns. Der Mann hält sich nun einmal für den besseren Weltdiplomaten.

Echten Diplomaten bereitet das arge Kopfzerbrechen, zumal solchen, die wissen, wie charmant der kalt kalkulierende Ex-KGB-Agent Putin Gesprächspartner einwickeln kann – und ganz besonders solche, die sich selber für die Größten halten. Der Präsident des renommierten Council on Foreign Relations und langjährige Diplomat Richard N. Haass twitterte sorgenvoll, wenn Trump im Vier-Augen- Gespräch auf eigene Rechnung agiere, drohe danach große Konfusion über das angeblich Vereinbarte. Auch andere Experten warnen, so wie der Korea-Gipfel sei auch dieser viel zu unvorbereitet und früh.

Seine Mitarbeiter dürfen das naturgemäß nicht so sehen: „Der Präsident hat entschieden, dass jetzt die Zeit für direkte Kommunikation ist“, sagt Botschafter Huntsman. Ein Abbau der Spannungen, eine veränderte Atmosphäre könne erstaunlich viel bewegen. Und außerdem: „Man kann keine Probleme lösen, wenn man nicht miteinander spricht.“ Bei der Nato hoffen sie, dass der Präsident das auch in Brüssel beherzigt – und nicht mit großer Geste vor der Zeit vom Tisch aufsteht und abdampft.

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