Kritik von prominenten Republikanern: Trumps Schutzmauer bekommt gefährliche Risse
Bislang hielt der Wall, den Trump um sich und die Republikaner im Kongress errichtet hat. Doch die Kritik am Präsidenten wird lauter und heftiger. Eine Analyse.
Sie gehen sonntags in die Kirche, predigen Charakter und Moral, berufen sich auf christliche Werte und waren eine treibende Kraft, als im Jahre 1998 gegen den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton ein Amtsenthebungsverfahren wegen der Lewinsky-Affäre eingeleitet wurde.
„Es ist dumm zu glauben, dass ein Mensch, dem Anstand und moralische Integrität fehlen, eine Nation und die Welt führen kann“, sagte James Dobson, einer der prominentesten Vertreter der „Christian Coalition“, die aus überwiegend konservativen weißen Evangelikalen besteht.
Das ist dieselbe Gruppe von Menschen, die heute Donald Trump unterstützt – einen Präsidenten, der zum dritten Mal verheiratet ist, selten in die Kirche geht, Hass und Hetze verbreitet, sich rassistisch und sexistisch äußert und mit Übergriffen auf Frauen prahlt.
Am Montag nutzte Trump die Bibel für ein Foto vor einer Kirche. Er las nicht aus ihr oder rief das Land zur Versöhnung auf, sondern missbrauchte die Heilige Schrift, um unausgesprochen zu einer Art Glaubenskrieg aufzurufen. Warum hält dieses Bündnis aus bibeltreuen Christen und einen die Bibel instrumentalisierenden Präsidenten?
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Ganz einfach: weil er liefert. Trump stellt sich gegen die Ehe für alle, das Abtreibungsrecht, den Feminismus, er nominiert konservative Verfassungsrichter und streitet für ein Groß-Israel mit Jerusalem als ewiger Hauptstadt. Das gefällt den weißen Evangelikalen. Deshalb sehen sie über charakterliche Defizite hinweg. So jedenfalls war es bislang. Bleibt es auch so?
Mattis, Esper und diverse Veteranen
Der 90-jährige Pat Robertson ist deren graue Eminenz. Der TV-Prediger ist einer der Gründer der „Christian Coalition“, christlicher Zionist und Ex-Kanzler einer evangelikalen Universität. Doch die Drohung Trumps, das Militär gegen gewalttätige antirassistische Demonstranten einzusetzen, hat Robertson kritisiert.
„So etwas sollten Sie nicht tun, Herr Präsident“, sagte er, „es ist einfach nicht cool.“ Andere Christen, Katholiken wie Protestanten, verurteilten insbesondere Trumps Bibel-Pose.
Einen Tag später gingen gleich zwei Verteidigungsminister – ein ehemaliger, James Mattis, und der amtierende, Mark Esper – auf Abstand zu Trump. Mattis, der Trump zwei Jahre lang treu gedient hatte, äußerte sich scharf und pointiert über „drei Jahre ohne reife Führung“, der Auftritt des Präsidenten vor der Kirche sei ein „Missbrauch der Regierungsmacht“.
„Republican Voters Against Trump“
Bröckelt der Wall, den Trump um sich und die Republikaner im Kongress hochgezogen hat? Bislang war der Preis, den Dissidenten zu zahlen hatten, hoch. Entweder wurden sie rhetorisch abgewatscht wie Mitt Romney und George W. Bush, oder die Abgeordneten werden in eine parteiinterne Vorwahl gegen Trump-Vasallen gezwungen.
Romney war der einzige republikanische Abweichler im Amtsenthebungsverfahren, und die Umfragewerte des Präsidenten unter Republikanern sind weiterhin hoch.
Doch Ende Mai gründete sich eine neue Gruppe mit dem Namen „Republican Voters Against Trump“. Sie will ihre Botschaften demnächst mit einer zehn Millionen Dollar teuren Anzeigenkampagne sowohl digital als auch übers Fernsehen verbreiten. Rund einhundert persönliche Video-Aussagen von Ex-Trump-Wählern wurden erstellt, die begründen, warum sie in diesem Jahr nicht für ihn stimmen werden.
Manchmal kommt eins zum anderen – ein Christ, der sich abwendet, ein Minister, der abweicht, eine Gruppe, die sich formiert. Eine Bewegung mögen die „Never Trump Republicans“ noch nicht geworden sein.
Aber der zynisch inszenierte Foto-Termin Trumps vor der „St. John’s Episcopal Church“, verbunden mit dem bizarren Bild maskierter Uniformierter auf den Stufen des Lincoln Memorials, könnte der Moment sein, in dem in der Tat der Wall bröckelt. Vielleicht ist es gar der Moment, in dem das Land der Freien und die Heimat der Mutigen („land of the free and the home of the brave“) wieder zu sich findet.