Der populistische Albtraum: Trumps Rassismus hat Parallelen in Deutschland
"Send her back" oder "in Anatolien entsorgen": Diskriminierungen von Politikern gibt es auch hierzulande. Das weiß auch Aydan Özoguz. Ein Gastbeitrag.
Die Autorin ist SPD-Politikerin und war von Dezember 2013 bis März 2018 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Amerika ist nicht mehr stolz auf seine Errungenschaften als Einwanderungsland. Noch findet sich im Wappen des Landes der Spruch „E pluribus unum“ – „aus vielen eins“. Präsident Donald Trump hat diesem glorreichen Motto abrupt ein Ende gesetzt.
Ausgerechnet er, der selbst deutsche Wurzeln hat, schürt in den USA eine gesellschaftliche Spaltung und führt eine Debatte, an die ich mich in Deutschland vor der Jahrtausendwende durchaus auch noch erinnere: Wer in Deutschland geboren wurde und aufwuchs, war noch lange nicht Deutsch, nicht einmal perspektivisch. Einbürgerungen waren keine Selbstverständlichkeit.
Auch nicht, wenn man nie woanders gelebt hatte und hier sehr wahrscheinlich auch einmal beerdigt würde. Um Kontingente für ausländische Studierende nicht mit „einheimischen Ausländern“ zu gefährden, nannte man uns sogar Bildungsinländer. Bildung hier ja, ansonsten aber eben doch Ausländer. Neidisch schauten wir Abkömmlinge von Einwanderern in Deutschland auf die in den USA: Dort gab man sogar damit an, ein Einwanderungsland zu sein.
Ihre Namen klingen fremd. Ihre Kritik ist darum Hass
Dieses amerikanische Selbstverständnis weicht nun einem skurrilen politischen Albtraum. In Zeiten zunehmender Betonung von Unterschieden zeichnet sich in den USA eine neue tragische Realität ab. Präsident Trump hat sich auf vier weibliche demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses eingeschossen. Sie tragen die Namen Tlaib, Omar, Ocasio-Cortez und Pressley, haben palästinensische, somalische, puerto-ricanische und afroamerikanische Wurzeln. Drei der vier Frauen sind in Amerika geboren, natürlich sind alle amerikanische Staatsbürgerinnen.
Was sie miteinander verbindet: Sie kritisieren vieles an der Politik des US-Präsidenten, insbesondere am verschärften Umgang mit Einwanderern. Trump legt dies als Hass auf Amerika aus, als unerwünschte Einmischung und Besserwisserei, um schlussendlich beim beliebten Reflex vieler Nationalisten und eben auch Rassisten zu landen: Haut ab in „eure“ Länder!
Also sind die Vereinigten Staaten doch nicht das Land von Einwandererkindern? Oder gehört das Land nur Einwandererkindern der ersten Generation? Ist es nur das Land derjenigen, die sich den Republikanern anschließen? Nur das Land von Menschen mit Wurzeln aus bestimmten Ländern? Oder nur das Land männlicher Einwandererkinder?
Ein Republikaner twitterte, dass er doch auch die Merkmale erfülle, die Trump den Frauen vorwerfe. Aber ihn nennt Trump nicht. Stattdessen greift er die Demokratinnen wiederholt direkt an – und bleibt dabei bemerkenswert vage. Sie würden mit ihren Standpunkten Amerika gar nicht lieben können.
In Deutschland gibt es das auch
Seine Anfeindungen gründen wohl eher auf Kalkül als auf Ideologie und sollen vor allem Wählerstimmen bringen. Dass die Rechnung aufgehen kann, zeigt die bittere Tatsache, dass Trump mit ähnlich diskriminierender Rhetorik Präsident werden konnte. Als solcher forciert er nun die Debatte darum, wessen Land die Vereinigten Staaten eigentlich sind. Und der nächste Wahlkampf steht schon an.
Die strategische Nutzung diskriminierender, meist an der Grenze zum offenen Rassismus liegender, Äußerungen gepaart mit dem Abstreiten eben solcher Überzeugungen, sehen wir leider auch wieder immer häufiger in politischen Auseinandersetzungen Deutschlands.
Vor knapp zwei Jahren sprach Alexander Gauland, heute Bundestagsabgeordneter und AfD-Fraktionschef, bei einem Wahlkampfauftritt im Eichsfeld – nachdem er sich wohl zunächst über meinen Namen lustig gemacht hatte – öffentlichkeitswirksam davon, man möge mir dort zeigen, was „spezifisch deutsche Kultur ist“ und könne mich danach „Gott sei Dank auch in Anatolien entsorgen“.
Das war seine Art von Reaktion auf einen Kommentar zur deutschen Leitkultur, den ich in dieser Zeitung schrieb. Auch wenn die Generalstaatsanwaltschaft in Thüringen offenbar keine Verknüpfung der angekündigten Entsorgung meiner Person in Anatolien zu meiner Herkunft sah und sie als eine „normale“ Äußerung im Wahlkampf deutete – die deutsche Öffentlichkeit tat es in großen Teilen doch.
Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering fragt in seiner Schrift über die „Rhetorik der parlamentarischen Rechten“, warum ich denn, nachdem mir von den Bewohnern Eichsfelds gezeigt worden wäre, was deutsche Kultur sei, dort nie wieder hinkommen würde.
„Welches Spezifikum der spezifischen deutschen Kultur sollte hier Frau Özoguz vermittelt werden? Welcher Art ist diese Vermittlung, wenn die Adressatin anschließend ,entsorgt’ werden muss?“ Es ist auffällig und sicher kein Zufall, dass Äußerungen von Anhängern rechter Bewegungen meist mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten.
Wer gewinnt, wenn jemand verunglimpft wird?
Seit 2017 wurde in Deutschland mehrfach gegen dunkelhäutige Prominente gehetzt, der Nationalsozialismus verharmlost, im Plenum des Deutschen Bundestages pauschal gegen „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ gewettert.
Schärfste Provokationen gefolgt von halbherzigen Dementis sind gängige Methode der Rechtspopulisten. Sie reklamieren Meinungsfreiheit für sich und greifen unmittelbar an, wenn sie selbst in die Kritik geraten. Sie werfen anderen Hetze vor, dabei haben sie selbst nur wenig anderes zu bieten. Immer wieder alles umdrehen und größtmögliche Verwirrung erzeugen.
Genau das dürfen demokratische Kräfte in unserem Land nicht hinnehmen. Wer bis heute nicht verstanden hat, dass auch in unserem Land eine reale rechte Gefahr droht, der will es eben auch nicht wahrhaben. Auch die hat es immer schon gegeben. Die anderen, die Meinungsmache und Hetze auf Kosten der Menschenwürde nicht hinnehmen wollen, dürfen sich weder von Ignoranz noch von Angriffen beeindrucken lassen. Es braucht deutliche Widerworte, wo immer Menschen ausgegrenzt und verunglimpft werden.
Wann immer sich Hunderte oder Tausende Menschen rechten Bewegungen auf unseren Straßen entgegenstellen, feiert die Demokratie ihre Stärke. Das amerikanische Beispiel ist bei uns nicht denkbar. Man stelle sich vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel attackiert auf Twitter Bundestagsabgeordnete mit familiärer Einwanderungsgeschichte und legt ihnen nahe, doch bitte in die kaputten und kriminellen Länder zurückzukehren, aus denen ihre Vorfahren gekommen seien. Alle wissen: So etwas würde sie niemals tun und fühlen sich gut.
Seht her, wir können euch Angst machen
Aber im Herbst sind Wahlen in drei Bundesländern, darunter Sachsen. Und da scheint es viele zu geben, die rassistische Äußerungen nicht schlimm finden, jede rechtsmotivierte kriminelle Tat relativieren und sich vielleicht sogar ein Stück bedeutender fühlen, seitdem sie die Keule der AfD schwingen können: Seht her, wir können euch allen Angst machen.
Fragt sich, wem das am Ende nutzen wird. Wer in Sachsen bekommt ein besseres Leben, weil andere beleidigt, beschimpft oder ausgegrenzt werden? Ich war dort einige Male eingeladen und habe gesehen: Diejenigen, die dort tapfer für Demokratie und Rechtsstaat, gegen Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit einstehen, brauchen mehr Unterstützung. Wer hätte gedacht, dass wir einmal deutlich sagen würden: Wir wollen doch schließlich keine amerikanischen Verhältnisse.