Deutschland und die USA: Gabriel fordert neues Verhältnis zu den USA
Deutschland und Europa sollten ihre USA-Politik neu ausrichten, sagt der Außenminister. Notfalls müsse man gegenüber Washington auch "rote Linien" ziehen.
Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat in einer Grundsatzrede eine Wende in der deutschen Außenpolitik gefordert, hin zu mehr Unabhängigkeit von den USA, hin zu mehr europäischer Eigenständigkeit. Gabriel sagte am Dienstag in einer Grundsatzrede beim „Berlin Foreign Policy Forum“ der Körber-Stiftung, einem hochrangig besetzten Treffen von Außenpolitikern und Außenpolitikexperten in Berlin, die USA seien nicht länger ein „verlässlicher Garant des liberal geprägten Multilteralismus“. Gleichzeitig habe sich der amerikanische Blick auf Deutschland verändert.
Die USA unter Donald Trump sähen Deutschland nicht nur als Partner, sondern auch als „Wettbewerber, manchmal sogar als ökonomischer Gegner“. Die Haltung der derzeitigen amerikanischen Regierung gegenüber Europa sei „ausgesprochen distanziert“. Deshalb sei es nötig, dass Europa seine eigenen Interessen definiere und verfolge. „Dazu gehört es, ein neues Verhältnisses zu den USA zu finden.“ Gabriel sagte weiter: „Es gibt keinen Platz mehr an der Seitenlinie der Außenpolitik, weder für uns Deutsche, noch für Europa.“
Drei Punkte des Konflikts zwischen Deutschland und den USA
Der geschäftsführende Außenminister nannte drei Punkte, in denen die Interessen Europas und die Interessen der USA aus seiner Sicht derzeit besonders stark auseinanderfallen: Ersten, die von den USA verabschiedeten Sanktionen gegen Russland, die Konsequenzen für deutsche und europäische Unternehmen haben könnten, die sich an russischen Pipeline-Projekten beteiligen - gemeint ist unter anderem die Nord Stream 2-Pipeline, die bis 2019 gebaut werden soll. „Das gefährdet unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen“, sagte Gabriel. Die USA lehnen den Bau von Nord Stream 2 ab und setzen gleichzeitig darauf, europäische Länder mit amerikanischem Flüssiggas zu beliefern.
Weiter nannte er die drohende Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran. Donald Trump hat sich kürzlich geweigert, das Funktionieren des Deals wie gesetzlich vorgeschrieben zu bestätigen und das Abkommen zur Überprüfung an den Kongress überwiesen. „Das würde unsere eigenen Interessen in unserer eigenen Nachbabschaft gefährden“, sagte Gabriel.
Drittens nannte er Nachrichten über Pläne der Trump-Administration, ein Wahlkampfversprechen wahrzumachen und Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. „Alles, was die Krise verschärft, ist kontraproduktiv“, so Gabriel. „Deutschland kann nicht darauf warten, was Washington tut Wir müssen definieren, wo Grenzen unserer Solidarität erreicht sind.“
Das Verhältnis zu Russland
Gabriel betonte, Europa müsse eine eigenständige Russlandpolitik verfolgen, die auf Dialog und Einbindung ausgelegt sei. „Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Frage, ob wir Russland für eine Rückkehr zu regelbasierter Politik gewinnen können.“ Er sprach den sich verschärfenden Konflikt um die atomare Abrüstung zwischen den USA und Russland an. Die USA werfen Russland vor, gegen den INF-Abrüstungsvertrag zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa zu verstoßen. „Mein Eindruck ist, wir könnten unmittelbar vor einem neuen atomaren Wettrüsten in Europa zu stehen. Wir in Europa wären die Leidtragenden eines solchen Kalten Krieges 2.0.“
Eine europäische Strategie
Mit seiner Rede positioniert sich der geschäftsführende Bundesminister in einer lebendigen Debatte um das transatlantische Verhältnis. Bereits Ende Mai hatte Angela Merkel international Diskussionen über die europäische Strategie ausgelöst, als sie kurz nach der ersten Europa-Reise Donald Trumps zum G7-Treffen und zum Nato-Gipfel in einem bayerischen Bierzelt gesagt hatte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind en Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen."
Führende Außenpolitik-Experten haben hingegen kürzlich in einem „transatlantischen Manifest“ „Trotzdem Amerika“ gefordert. Sie schrieben: „Jede Abkehr von dieser transatlantischen Bindung beschwört die Gefahr eines deutschen Sonderweges, stärkt linke und rechte Nationalisten und gefährdet die europäische Friedensordnung.“ Sie argumentieren, dass Trumps außenpolitische Haltung letztlich eine Minderheitenposition in der amerikanischen Politik sei. Gabriel hingegen sagte am Dienstag, die derzeitige Politik der USA sei kein vorübergehendes Phänomen. „Das Verhältnis der USA zu Europa wird auch nach Trumps Amtszeit im Weißen Haus nicht mehr das werden, was es einmal war.“
Reaktionen auf Gabriels Rede
Besucher der Konferenz reagierten irritiert auf Gabriels Rede. "Gabriel beschreibt einerseits eine Welt der Unsicherheit", sagte Thomas Kleine-Brockhoff, Leiter des Berliner Büros des German Marshall Fund of the United States. "Gleichzeitig ist er sicher, dass die USA unter Trump dauerhaft ihre langen außenpolitischen Linien definieren. Das finde ich erstaunlich."
Kleine-Brockhoff kritisierte weiter, dass Gabriel einerseits eine "französische" Position in der Verteidigungspolitik befürworte, also mehr Investitionen und verteidigungspolitische Autonomie, gleichzeitig aber höhere Rüstungsausgaben ablehne. "Hier ist Gabriel inkonsistent mit Gabriel." Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter äußerte sich ähnlich: "Das war ein Abgesang auf die USA - doch ich weiß nicht, woher Gabriel die Sicherheit nimmt. Ich hätte mehr Kritik an Russland und ein Bekenntnis zu den transatlantischen Beziehungen erwartet." Deutschland müsse jetzt alles tun, um Trump und die USA weiter in die transatlantischen Beziehungen einzubinden, statt das amerikanisch-europäische Verhältnis schon jetzt verloren zu geben." Diplomaten verschiedener westlicher deutscher Partnerländer bemerkten, die Rede sei sehr schwach gegenüber Russland gewesen. Viele Konferenzteilnehmer nahmen zur Kenntnis, dass Gabriel die NATO in seiner Rede gar nicht erwähnte.