INF-Vertrag zwischen USA und Russland: Trump will atomares Abrüstungsabkommen kündigen
Russland halte sich nicht an den Vertrag, heißt es aus Washington. Der Kreml warnt vor Gegenmaßnahmen im Fall eines Rückzugs der USA.
Die USA stehen nach den Worten von Präsident Donald Trump kurz vor dem Rückzug aus dem mit Russland geschlossenen INF-Vertrag zur Abschaffung von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen. Moskau halte sich nicht an das Abkommen, "also werden wir das Abkommen beenden", sagte Trump am Samstag zu Journalisten in Elko im Bundesstaat Nevada. Aus dem russischen Außenministerium hieß es, die USA träumten von der alleinigen Weltherrschaft.
Der Kreml warnte vor Gegenmaßnahmen im Fall eines Rückzugs der USA. „In diesem Fall muss Russland nach einer Wiederherstellung des Gleichgewichts in diesem Bereich suchen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau. Sollten die USA tatsächlich aus dem sogenannten INF-Vertrag aussteigen, würde Washington genau die Systeme entwickeln, die durch das Abkommen verboten wurden. „Deshalb muss Russland Maßnahmen ergreifen, um seine eigene Sicherheit zu garantieren“, sagte er der Agentur Tass zufolge.
Washington beschwert sich seit zwei Jahren, dass Moskaus Raketensystem 9M729 gegen den 1987 geschlossenen Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme verstoße. Der INF-Vertrag verpflichtet die USA und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion zur Abschaffung aller landgestützten, nuklear bestückbaren Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern.
"Russland hat das Abkommen verletzt", sagte Trump. "Sie haben es viele Jahre lang verletzt." Er wisse nicht, warum die Vorgängerregierung unter Präsident Barack Obama nicht verhandelt habe oder sich aus dem INF-Vertrag zurückgezogen haben. "Wir werden es nicht zulassen, dass sie ein Nuklearabkommen verletzen" und sich Waffen zulegen, "während es uns nicht erlaubt ist".
Nato geht nicht von Vertragsverletzung aus
Trump sagte, seine Regierung werde solche Waffen bauen, sollten Russland und auch China nicht einem neuen Abkommen dazu zustimmen.
Die Nato geht davon aus, dass die Reichweite des russischen Raketensystems 9M729 in dem im INF-Vertrag genannten Bereich liegt. Auch Moskau hatte wiederholt bestritten, dass sein Raketensystem gegen den Vertrag verstößt.
Auch russische Parlamentarier übten Kritik. Die USA hätten keine Beweise für Verstöße Russlands gegen den INF-Vetrag, sagte Franz Klinzewitsch, Mitglied des Föderationsrates. Allerdings sei die Entscheidung Trumps „nicht überraschend“, zitierte ihn die Agentur Tass.
Diese Entscheidung sei zudem noch ohne Berücksichtigung der Interessen der europäischen Verbündeten getroffen worden. „Man will uns, wie seinerzeit die Sowjetunion, in einen Rüstungswettlauf drängen“, sagte der Verteidigungs- und Sicherheitsexperte. „Das wird nichts. Ich habe keinen Zweifel, dass unser Land unter allen Umständen seine eigene Sicherheit garantieren kann.“
Trump nationaler Sicherheitsberater John Bolton wird kommende Woche in Moskau zu Gesprächen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Beratern von Präsident Wladimir Putin erwartet. Auch ein "mögliches Treffen" mit Putin selbst wurde nach Angaben von Kremlsprecher Dmitri Peskow vorbereitet. Bolton gilt als Gegner des INF-Vertrags.
Die Beziehungen zwischen Russland und den USA stehen unter starkem Druck. Washington wirft Moskau vor, sich in die Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren eingemischt zu haben. Zudem sorgt Russlands Unterstützung der syrischen Regierung und der Ukrainekonflikt für Spannungen.
Bei der Reise Boltons könnte es um auch um die Vorbereitung eines erneuten Gipfeltreffens zwischen Trump und Putin gehen. Die beiden Präsidenten werden beide am 11. November in Paris erwartet, zur Gedenkfeier an das Ende des Ersten Weltkriegs.
Bundesregierung entsetzt über Trumps Drohung
Die Bundesregierung hat sich entsetzt darüber gezeigt, dass US-Präsident Donald Trump aus einem wichtigen Abrüstungsvertrag mit Russland aussteigen will. Außenminister Heiko Maaß (SPD) schrieb in einer Pressemitteilung: Die Ankündigung der USA sich aus dem INF-Vertrag zurück ziehen zu wollen, ist bedauerlich. Sie stellt uns und Europa vor schwierige Fragen." Man habe "Russland in der Vergangenheit bereits mehrfach aufgefordert, die schwerwiegenden Vorwürfe der Verletzung des INF-Vertrags auszuräumen. Bisher hat Russland dies nicht getan."
Es sei eine „verheerende Entscheidung von Präsident Trump, den INF-Vertrag aufzugeben“, schrieb der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), am Sonntag im Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir werden weiter für nukleare Abrüstung arbeiten.“ Auch Russland sei gefordert, sich an seine Verpflichtungen zu halten. „Europa muss jetzt eine neue Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen verhindern“, betonte Annen.
Scharfe Kritik kam auch aus der Opposition in Deutschland. Der Linke-Verteidigungspolitiker Alexander Neu betonte, die Aufkündigung des INF-Vertrages erhöhe die Gefahr eines Nuklearkrieges immens „aufgrund massiv verkürzter Vorwarnzeiten, wenn landgestützte Mittelstreckenraketen wieder in Europa stationiert würden.“ Seine Partei fordere die Bundesregierung auf, auf keinen Fall einer Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland zuzustimmen.
Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger sagte zu Trumps Plänen: „Dem US-Präsidenten scheint gleichgültig zu sein, welchen immensen Scherbenhaufen er mit allen seinen nationalen Alleingängen hinterlässt.“ Die EU müsse nun klare Signale der Abrüstung senden. FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff forderte von der US-Regierung, die Nato-Verbündeten in ihre Planungen einzubeziehen. Zudem müsse sich Russland den Vorwürfen stellen.
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Sigmar Gabriel warnt vor "atomarem Wahnsinn"
Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem Tagesspiegel: „Manchmal wäre man froh, wenn man falsch gelegen hätte: vor einem Jahr habe ich vor einer neuen Spirale des atomaren Wettrüstens in Europa und der Welt gewarnt. Jetzt ist es offenbar leider soweit." Er betonte, dass der INF-Vertrag die Europäer und vor allem die Deutschen davor geschützt habe, Austragungsort eines bedrohlichen atomaren Wettrüstens zu werden. Das tiefe Misstrauen des kalten Krieges sei nun zurück.
"Was wir beim INF Vertrag jetzt sehen, ist es der Anfang. Auch alle anderen atomaren Abrüstungsverträge wie der START Vertrag über interkontinentale Atomraketen stehen auf dem Spiel", so Gabriel. Wenn es nicht gelinge, diese atomare Spirale erneut zu stoppen, werde Zentraleuropa wieder "Schauplatz des atomaren Wahnsinns".
Anders als damals Reagan, handele Trump nicht im Auftrag der NATO. "Er kann den Vertrag einseitig aufkündigen", so Gabriel. Aber um Atomraketen in Europa zu stationieren, brauche Trump Staaten, die ihm dazu ihre Länder anbieten. "Für uns Deutsche sollte klar sein, dass es für uns keinen Automatismus dafür gibt." Es brauche jetzt einen neuen Anlauf für Rüstungskontrolle. "Gegenseitige Rüstungskontrolle ist ein Instrument für schlechte Zeiten, um das Misstrauen wieder zu bekämpfen", so Gabriel. Russland sei gefordert, dabei mitzumachen. Denn auch Russland trage Verantwortung für diese verhängnisvolle Entwicklung. "Es gibt jetzt keine wichtigere Aufgabe für die Bundesregierung als dieses atomare Wettrüsten in Europa zu verhindern. Es braucht jetzt eine deutsche Initiative in Europa für Abrüstung“, sagte Gabriel dem Tagesspiegel.
Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff forderte am Montag einen Sondergipfel der Nato, um über den gefährdeten Vertrag und die Zukunft der Abrüstungspolitik zu diskutieren. Lambsdorff warnte, es drohe ein neues Hochrüsten zwischen den ehemaligen Feinden im Kalten Krieg.
Atomwaffengegner warnen vor unkontrollierbarem Wettrüsten
Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) hat die Bundesregierung zur Vermittlung im Streit zwischen den USA und Russland aufgefordert. Zugleich kritisierte die Organisation die Ankündigung von US-Präsident Trump, den INF-Vertrag zur Kontrolle von Mittelstreckenraketen zu verlassen. Damit öffne Trump die Türen für ein unkontrolliertes atomares Wettrüsten zwischen den USA und Russland, erklärte Johannes Mikeska, Mitglied im Vorstand von Ican Deutschland, am Sonntag in Berlin. Das bedrohe massiv die Sicherheit der Menschen in Europa. „Daher muss die Bundesregierung nun dringend zwischen den USA und Russland vermitteln“, sagte Mikeska. Ican wurde 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Netzwerk mit Hauptsitz in Genf umfasst Organisationen in 100 Ländern. (AFP, dpa, epd)