Anordnung ermöglicht Klagen gegen Twitter: Trump unterzeichnet Dekret zur Beschneidung sozialer Medien
Der US-Präsident inszeniert sich als Verteidiger der Meinungsfreiheit und will soziale Netzwerke für Inhalte haftbar machen. Das Thema hat er schon länger auf der Agenda.
Donald Trump hat seine Drohung wahrgemacht und den Streit mit dem Kurznachrichtendienst Twitter weiter eskaliert. Der US-Präsident unterzeichnete am Donnerstag eine Verfügung, mit der der Schutz sozialer Medien wie Twitter und Facebook vor Strafverfolgung beendet werden soll. Gemäß der Anordnung soll zudem die Möglichkeit der Plattformen beschnitten werden, Inhalte zu moderieren.
Auslöser für diesen Schritt ist ein Streit Trumps mit Twitter: Das kalifornische Unternehmen hatte in dieser Woche erstmals zwei Tweets des Präsidenten als irreführend gekennzeichnet. Trump sprach daraufhin von Zensur.
Trump begründete seinen Schritt am Donnerstag mit dem Vorwurf, die Plattformen seien nicht länger neutral, sondern betrieben politischen Aktivismus. "Wir sind heute hier, um die Meinungsfreiheit gegen eine ihrer größten Bedrohungen in der amerikanischen Geschichte zu verteidigen", sagte Trump.
Trump spricht von Monopolisten
"Eine kleine Zahl mächtiger Social-Media-Monopolisten kontrolliert einen großen Teil aller öffentlichen und privaten Kommunikation in den Vereinigten Staaten." Sie versuchten, Ansichten, die ihnen nicht gefielen, zu unterdrücken. Das werde er nicht weiter zulassen, sagte der Präsident, der auch eine Zerschlagung der Konzerne ins Spiel brachte, wenn dies rechtlich möglich sei. "Diese Zensur und Voreingenommenheit ist eine Bedrohung für die Freiheit."
Die Verfügung wird nach Ansicht von Experten vor Gericht rasch angefochten werden. Auch Trump selbst gab das kurz vor der Unterzeichnung im Oval Office zu. "Ich gehe davon aus", sagte er, aber das sei ja immer der Fall.
Auf die Frage, warum er nicht einfach seinen Twitter-Account lösche, sagte der Präsident: "Wenn wir eine faire Presse in diesem Land hätten, würde ich das sofort tun."
80 Millionen Follower hat der US-Präsident
Trump folgen auf Twitter mehr als 80 Millionen Menschen. Über den Online-Dienst kommuniziert er direkt mit seinen Anhängern - und kann so die klassischen Medien umgehen, die er immer wieder wegen ihrer kritischen Berichterstattung angreift.
Konkret sieht die Verfügung vor, über die Medien wie die "Washington Post" vorab berichtet hatten, dass das Wirtschaftsministerium die Telekommunikations-Aufsicht FCC dazu aufrufen soll, den Geltungsbereich einer als "Section 230" bekannten Regelung zu prüfen. Gemäß der Regelung, die Teil eines Gesetzes von 1996 ist, werden Online-Dienste nicht für von Nutzern veröffentlichte Inhalte wie Kommentare und Videos haftbar gemacht.
Zugleich erlaubt die "Section 230" den Plattformen, gegen bestimmte Inhalte oder Nutzer vorzugehen. Außerdem soll die für Verbraucherschutz zuständige Aufsichtsbehörde FTC mit der Prüfung von Beschwerden über politische Voreingenommenheit betraut werden. Zudem sollen Bundesbehörden dazu verpflichtet werden, ihre Ausgaben für Werbung in sozialen Medien zu überprüfen.
Grundsatzdebatte über Meinungsfreiheit
Es gibt in den USA kaum eine Debatte, die grundsätzlicher ausgetragen wird als der Streit um die Meinungsfreiheit. Der erste Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert die "Freedom of Speech" – und schützt damit nach gängiger Auffassung selbst die Äußerung unwahrer Tatsachen.
Aber nicht erst, seit sich in der Coronakrise Verschwörungstheorien und Falschnachrichten rasant verbreiten, gibt es Bestrebungen, gegen diese vorzugehen. So verschärfte Twitter vor gut zwei Wochen seine Regeln und begann damit, in seinem Netzwerk verbreitete Falschinformationen und irreführende Gerüchte zum Coronavirus mit Warnhinweisen zu versehen.
Dass dies nun auch mit zwei Trump-Tweets geschah, der erklärt hatte, dass Briefwahl Wahlbetrug ermögliche, wollte der Präsident nicht auf sich sitzen lassen. Am Mittwochabend hatte das Weiße Haus angekündigt, dass der Präsident mit einer Verfügung gegen Online-Plattformen vorzugehen gedenke, die "konservative Meinungen" unterdrückten.
Es ist aber auch kein spontaner Impuls: Die Trump-Regierung diskutiert bereits seit 2018 über dieses Thema.
Der US-Präsident inszeniert sich als Vorreiter für die Meinungsfreiheit
Vor einem Jahr startete das Weiße Haus einen Social-Media-Aufruf: Nutzer sollten sich melden, die nach eigener Auffassung von Plattformen wie Facebook, Youtube, Instagram und Twitter unsichtbar gemacht oder zensiert werden. Zur Begründung hieß es, viele Social-Media-Accounts von Amerikanern seien wegen unklarer Verstöße gegen Nutzerrichtlinien geschlossen, gesperrt oder missbräuchlich gemeldet worden. Dies verstoße womöglich gegen die "Freedom of Speech". Der Präsident kämpfe für die Meinungsfreiheit.
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Trump selbst behauptet immer wieder, rechte Standpunkte und Meinungen würden in den USA von sozialen Netzwerken systematisch unterdrückt. Kürzlich hatte Facebook erstmals in seiner Geschichte Verschwörungstheoretiker wie Milo Yiannopoulos und Alex Jones dauerhaft aus dem Netzwerk ausgeschlossen. Mitte Mai twitterte Trump dann, die "Radikale Linke" habe "völlige Kontrolle" über Facebook, Instagram, Twitter und Google.
Am Mittwochabend behauptete er auf Twitter, große Technologiekonzerne unternähmen alles, um vor der Präsidentschaftswahl Zensur auszuüben. "Wenn das geschieht, haben wir unsere Freiheit nicht mehr. Das werde ich niemals zulassen!" Trump will im November wiedergewählt werden.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg: Sind keine Schiedsrichter
Dass die Online-Netzwerke keine einheitliche Linie fahren, legten Äußerungen von Mark Zuckerberg nahe. Der Trump-freundliche Sender Fox News veröffentlichte Auszüge eines Interviews mit dem Facebook-Chef. Darin sagt Zuckerberg, er glaube "fest daran, dass Facebook nicht der Schiedsrichter über die Wahrheit bei allem sein sollte, was die Leute online sagen". Bei Facebook gibt es zwar Faktenchecks, aber grundsätzlich nicht zu Äußerungen von Politikern.
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Twitter-Chef Jack Dorsey erklärte dagegen, man werde weiterhin "auf falsche oder umstrittene Informationen" über Wahlen weltweit hinweisen. Das mache Twitter nicht zum "Schiedsrichter über die Wahrheit". Twitter versah derweil auch Tweets des chinesischen Außenamtssprechers mit Spekulationen über den Ursprung des Coronavirus mit einem Faktencheck-Hinweis.
Viele US-Demokraten fordern schon lange ein schärferes Vorgehen gegen "Fake News". So hatte die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton 2019 erklärt, Zuckerberg müsse sich dafür verantworten, was er "unserer Demokratie" antue, wenn er sich weiter weigere, politische Werbung in seinem Netzwerk einem Faktencheck zu unterziehen.
Clinton stellte infrage, ob so überhaupt freie und faire Wahlen möglich seien. Es sei unübersehbar, dass Falschinformationen auf Facebook einen Einfluss auf Wahlen hätten, denn "Propaganda wirkt". So habe im Wahlkampf 2016 die falsche Behauptung, dass Papst Franziskus Donald Trump unterstütze, ihrem Konkurrenten geholfen.