Risse in der Führung der US-Republikaner: Trump und Ryan sind auf Kollisionskurs
Auch im dritten Anlauf droht die Gesundheitsreform von Donald Trump zu scheitern. Der US-Präsident und der Parlamentspräsident geben sich gegenseitig die Schuld. Eine Analyse.
Für den heutigen Mittwoch hat US-Präsident Donald Trump die Abstimmung im US-Kongress über die Abschaffung von "Obamacare" versprochen. Zwei Anläufe zur Korrektur der Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama sind bereits gescheitert. Auch für den dritten Versuch hat Paul Ryan, der "Speaker" des Repräsentantenhauses und Chef der republikanischen Mehrheitsfraktion die nötigen Stimmen offenbar nicht zusammen.
Die republikanische Mehrheit existiert nur auf dem Papier
Das hat Folgen für das Verhältnis von Trump und Ryan. Sie geben sich gegenseitig die Schuld daran, dass der Präsident bei seinen zentralen Wahlversprechen nicht vorankommt. Formal haben die Konservativen die ganze Macht in den Händen: das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses. Doch wenn es darauf ankommt, können sie ihre Stimmenmehrheit nicht mobilisieren. Das gilt nicht nur für die vergeblichen Versuche, "Obamacare" abzuschaffen. Sondern auch für Trumps geplante Steuerreform.
Auf einen Staatshaushalt hat sich das Parlament am Wochenende zwar geeinigt. Aber dieser "Deal" kam ohne den angeblichen "Dealmaker" Trump zustande. Man kann den Kompromiss zwischen Republikanern und Demokraten sogar als gemeinsame Verhinderung von Teilen der Trump'schen Agenda verstehen. Trump bekam kein Geld für den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko. Auch die geforderten Kürzungen bei der Finanzierung von "Obamacare", der Umweltschutzbehörde EPA, der Diplomatie und der Bildung kamen nicht zustande.
Trump und Ryan geben sich gegenseitig die Schuld
Aus Trumps Sicht kann Ryan nicht liefern. Wenn er nur wollte, so stellt der Präsident sich das vor, müsste der Anführer der republikanischen Abgeordneten mit Druck und Überredungskünsten zur Fraktionsdisziplin zwingen können. Da ist es nicht weit zum Misstrauen, Ryan habe seine eigene Agenda und sabotiere die Trump-Präsidentschaft gezielt - womöglich weil Ryan selbst bei der Präsidentenwahl 2020 antreten wolle. Die Rivalität zwischen den beiden Männern war bereits im Wahljahr 2016 deutlich geworden.
Ryan wiederum steht unter dem Eindruck, dass Trump mit dem Kopf durch die Wand wolle, kein Verständnis für und keine Geduld mit den zeitaufwändigen Prozeduren in einem Parlament habe und bisweilen zudem das Unmögliche verlange. Die geltenden Abstimmungsregeln erlauben es den Republikanern nicht, Gesetze gegen eine geschlossene Ablehnungsfront der Demokraten zu machen. Sie sind darauf angewiesen, eine gute Handvoll demokratischer Senatoren für ein Vorhaben zu gewinnen.
Der Präsident will dem Kongress neue Regeln vorschreiben
Trumps einzige Antwort darauf ist: Dann ändern wir eben die Abstimmungsregeln und schaffen den so genannten "Filibuster" im Senat ab. Dann könnte er mit seiner knappen Parlamentsmehrheit in beiden Kammern des Kongresses durchregieren.
Auch das ist freilich fern der Realität. Die Republikaner sind nicht so geschlossen, wie Trump sie gerne hätte. Die Hinweise auf den Zwang zum Kompromiss mit den Demokraten sind nur eine Ausrede. Auch einige Republikaner halten den Kurs bei Gesundheits- und Steuerreform für falsch - und den Mauerbau für Geldverschwendung.
Es hat inhaltliche Gründe, warum Ryan die Stimmen für die Abschaffung von "Obamacare" nicht zusammen bekommt. Im ersten Anlauf nahm er Rücksicht auf die moderaten Konservativen, die einige Elemente von "Obamacare" beibehalten wollen. In der Bevölkerung sind zum Beispiel die Bestimmungen populär, dass Kinder in Ausbildung bis 26 Jahre mit den Eltern versichert werden können - und ebenso das Verbot von Klauseln, die Krankenversicherungen in bestimmten Fällen von der Leistungspflicht entbinden, darunter das "Lifetime Maximum" und die "Preexisting Condition".
Was Ryan rechts gewinnt, verliert er in der Mitte. Und umgekehrt
Als Ryan im ersten Anlauf die Wünsche der Moderaten berücksichtigte, kündigte der staatsskeptische rechte Flügel der Fraktion Widerstand an. Diese Abgeordneten wollen "Obamacare" komplett streichen, weil sie darin einen zu weit gehenden Eingriff des Staates in die Entscheidungsfreiheit der Bürger sehen.
Nun ist Ryan diesem Flügel entgegengekommen und hat einige Elemente aus dem Entwurf zur Reform der Obama-Reform herausgenommen, die den Moderaten wichtig ist. Dadurch gewinnt er den Rückhalt der "Rechten" in der Fraktion, verliert aber postwendend die Unterstützung einiger Moderater, darunter der einflussreiche Abgeordnete Fred Upton aus Michigan.
Streit um die "Preexisting Condition"
In der Sache dreht sich der Konflikt derzeit um die so genannte "Preexisting Condition". Früher hatten Versicherungsverträge eine Klausel, wonach Krankheiten, die bei Vertragsabschluss bereits bekannt sind, nicht mitversichert werden. Das hatte zur Folge, dass zum Beispiel eine Frau, die mit 45 mit Krebs diagnostiziert wurde, nicht mehr umziehen oder den Job wechseln konnte. Denn bei einem neuen Arbeitgeber oder beim Umzug in einen anderen Bundesstaat hätte sie die Versicherung wechseln müssen - und dort wäre ihre nun bekannte Krebs-Krankheit als "Preexisting Condition" nicht mehr mitversichert worden. Mit "Obamacare" wurde diese Praxis verboten.
Moderate Republikaner wollen dieses Verbot beibehalten. Die Konservativen wollen es wieder abschaffen, weil es zum Anstieg der Versicherungsprämien beigetragen habe.
Der Streit geht so weit, dass die Republikaner sich nicht einmal einigen können, welche Folgen die vorliegenden Reformentwürfe für solche Aspekte wie die "Preexisting Condition" habe. Präsident Trump behauptet, der jüngste Entwurf behalte das Verbot bei. Abgeordnete wie Fred Upton sagen, das sei nicht wahr. Und deshalb werden sie in diesem dritten Anlauf nicht für die Reform stimmen.
Christoph von Marschall