„Eine fantastische Frau“: Trump schwärmt beim G20-Gipfel von Merkel
Gleich zu Beginn des G20-Gipfels trifft die Kanzlerin den US-Präsidenten. Der überrascht mit einer Charmeoffensive. Doch politisch bleiben viele Konflikte.
Es herrscht ein ziemliches Gedränge vor Raum L-6, ein paar Meter entfernt bügeln zwei Japanerinnen noch schnell die Sterne auf der blauen Europafahne glatt für den G20-Gipfel. Dann öffnet sich in dem tristen Messegelände in Osaka die Tür zu dem Raum, amerikanische und deutsche Journalisten dürfen kurz rein. Vorne sitzen US-Präsident Donald Trump und Angela Merkel.
Die Kanzlerin hat einen elfstündigen Flug hinter sich und stürzt sich sofort wieder ins Getümmel. Ihren Zitteranfall vom Vortag will sie schnell vergessen machen, doch sie wird jetzt bei jedem Termin noch genauer beobachtet. Bis zur „New York Times“ wurde groß über das erneute Zittern berichtet, erst in der prallen Sonne beim Empfang des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dann acht Tage später drinnen im Schloss Bellevue bei der Vereidigung der neuen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Erklärungen werden offiziell nicht genannt. Merkel betont, alles sei okay.
Doch das Programm mit Trump ist erst der Anfang eines strapazenreichen Gipfelmarathons, eineinhalb Tage G20-Gipfel, Zeitunterschied sieben Stunden zu Deutschland. Samstag elf Stunden zurück, Sonntag sofort weiter nach Brüssel, dort sicher bis tief in die Nacht ein EU-Sondergipfel, um den Streit um die Top-Jobs wie das Amt des Kommissionspräsidenten zu lösen. Und leichter ist es auch in Osaka nicht.
Beim Familienfoto drängt sich ausgerechnet der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman in die Mitte, breit grinsend, mit Trump scherzend, der milliardenschwere Rüstungsverträge mit ihm abgeschlossen hat. Merkel hingegen meidet bin Salman tunlichst nach der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. So ein G20-Gipfel ist auch immer ein Gipfel der Botschaften, ein Spiegel zur Lage der Welt. Der nächste wird übrigens 2020 ausgerechnet in Saudi-Arabien stattfinden.
In Raum L-6 bleibt Donald Trump sich treu, hier gibt es Zuckerbrot, die Peitsche folgte sicher später wieder. „Sie ist eine fantastische Person, eine fantastische Frau, ich bin sehr froh, sie hier zu haben als Freundin“, sagt er zu seiner Sitznachbarin Angela Merkel, im Hintergrund die amerikanische und die deutsche Fahne.
Die Bundeskanzlerin wiederum versucht auch Trump zu umgarnen, sie muss Strafzölle der US-Regierung für deutsche Autobauer fürchten, das wäre Gift für die Konjunktur. Die deutsche Wirtschaft investiere sehr stark in den Vereinigten Staaten, betont sie. „Wir haben nicht nur Handel, sondern auch sehr viele Investments.“ Man darf nicht vergessen, dass das größte BMW-Werk der Welt in Spartanburg im US-Staat South Carolina steht.
Einigt Trump sich mit China – und greift dann die EU an?
Gelöst ist weiterhin nichts. In der deutschen Delegation gibt es durchaus Sorge, dass Trump bei einer Einigung mit Chinas Staatschef Xi Jinping – sie treffen sich am Samstag zu einem Lösungsversuch in Osaka – sich wieder dem Zollstreit mit der EU zuwenden könnte, der erstmals nur vorübergehend ruht.
Trump kämpft vor allem gegen den großen Handelsüberschuss Deutschlands im Verhältnis zu den USA an. Und er kritisiert auch das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nordstream 2 scharf – er sieht es auch als Hindernis für den Verkauf von US-Flüssiggas in Europa an.
Die Demokraten-Debatte ist Trump wichtiger als Merkel
Trump geht gar nicht auf Merkels Investitionshinweise in den USA ein. Ihn kümmert mehr die Innenpolitik – ein Affront. So geht er auf die TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftsbewerber ein. „Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben. Es war nicht sehr aufregend, kann ich Ihnen sagen“, sagt Trump, der sich gute Chancen ausrechnet, 2020 wiedergewählt zu werden. Merkel sitzt mit unbewegter Miene daneben. Und Trump macht erst einmal seinem Ärger über eine Entscheidung des Kongresses in der Heimat Luft, den die Demokraten kontrollieren.
Der hat gerade ein 4,6 Milliarden Dollar umfassendes Hilfspaket verabschiedet, um die Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko zu lösen – Trump würde ja einfach am liebsten alle Probleme hinter einer Mauer verschwinden lassen. Er kritisiert den Beschluss scharf. Kurz vor dem Treffen mit Merkel hat er bei Twitter kundgetan, dass die Demokraten am liebsten für „Millionen illegaler Aliens“ eine unbegrenzte Gesundheitsversorgung ermöglichen wollten.
„Kardinalfehler“: Putin geht Merkel in Interview an
Dass Trump Merkels Flüchtlingspolitik für einen historischen Fehler hält, ist bekannt. Es passt ins Bild des Zustands der Welt und der G20-Gruppe, dass Trump für seine Mauer-Pläne Lob von Wladimir Putin bekommt. Der russische Präsident erklärt in einem Interview mit der „Financial Times“ passend zum Gipfel: Merkels Entscheidung, dass im Jahr 2015 Hunderttausende Flüchtlinge in Deutschland Zuflucht suchen konnten, sei ein historischer „Kardinalfehler“.
Dagegen lobt er Trump. Er könne zwar schlecht beurteilen, ob es richtig sei, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen. Schlecht sei aber, wenn angesichts von Massenmigration niemand etwas unternehme. Putin meint zudem, die liberale Idee habe sich überlebt. Trump nennt er einen talentierten Menschen. „Er weiß sehr gut, was seine Wähler von ihm erwarten.“ Er habe seine eigene Vision der Welt, sagte der russische Staatschef.
Man darf nie vergessen: Trump ist Schauspieler. Er trägt die Maske, die ihm gerade opportun erscheint. Unmaskiert glaube ich schon, dass er Merkel verachtet.
schreibt NutzerIn Gophi
Die internationale Kooperation ist in einer schweren Krise
Eine anti-liberale Vision, die Angela Merkel und anderen in der EU große Sorgen bereitet – auch die Eskalation mit dem Iran spielt auf den Fluren in Osaka übrigens eine Rolle. Die Probleme türmen sich auf. So ist alles labil, je nachdem wie es mit der großen Koalition weitergeht, könnte es Merkels letzter G20-Gipfel sein. Besonders beim Handel und Klimaschutz gibt es mehr Gegen- als Miteinander. Die Beschlüsse dürften mau ausfallen – und die USA ihren Sonderweg nach dem Ausstieg beim Paris-Abkommen in Sachen Klimaschutz bekräftigen. Auch Saudi-Arabien könnte noch von der Stange gehen. Der Multilateralismus ist mehr als in einer schweren Krise.
Es passt fast ins Bild dieses Unsortierten, dass beim Trump-Merkel-Treffen die Delegationen falsch sitzen. Die deutsche Seite, unter anderem Vizekanzler Olaf Scholz, Regierungssprecher Steffen Seibert und Merkels Gipfel-Sherpa Lars-Hendrik Röller, sitzen auf Trumps Seite, während dessen Entourage, unter anderem US-Außenminister Mike Pompeo, Sicherheitsberater John Bolton und Trumps Tochter Ivanka, auf Merkels Seite Platz genommen haben. Trump nennt das Verhältnis der beiden schlicht „grandios“. Die Blicke im Raum sagen etwas anderes. Aber immerhin sitzt Trump da und kopiert ein Merkmal der Kanzlerin: Er hat die Hände zur Merkel-Raute gespreizt.