Grünen-Politikerin kritisiert Johnson-Wahl: "Tories haben sich radikalisiert"
Die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, rechnet nach Johnsons Wahl mit noch schwierigeren Brexit-Verhandlungen.
Frau Brantner, was sagt die Wahl von Boris Johnson zum Chef der Tories über den Zustand der britischen Innenpolitik aus?
Es ist ein trauriges Schauspiel. Es zeigt, dass die Populisten es wirklich geschafft haben, dieses Land zu spalten. Es zeigt auch, dass die Tories sich radikalisiert haben. Offensichtlich sind diese in keinem guten Zustand, wenn sie in ihrer großen Mehrheit einen notorischen Lügner zum nächsten Premierminister machen.
Wie schätzen Sie den neuen Premierminister Johnson als Politikertyp ein?
Als Hasardeur. Er ist jemand, der bereit ist, mit dem Teufel zu paktieren, um an die Macht zu kommen und das lässt uns ahnen, was er erst machen würde, um an der Macht zu bleiben. Er ist der Trump Europas.
Was bedeutet der Führungswechsel in Großbritannien für die Brexit-Verhandlungen mit der EU?
Diese Verhandlungen werden jetzt noch einmal schwieriger werden. Boris Johnson hat den Briten ja alles versprochen, ohne jegliche Rücksichtnahme auf Realitäten oder rechtliche Regelungen. Von daher wird man sehr geschlossen bleiben müssen, denn mit ihm ist die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit, also dem unkontrollierten Austritt aus der EU ohne Abkommen, noch einmal gestiegen. Gerade mit Blick hierauf wird es darauf ankommen, dass die Europäer geschlossen bleiben, statt auseinanderzufallen und dann bilaterale Abkommen mit den Briten schließen. Das wird Johnson versuchen. Er hat bereits angekündigt, dass er auf einzelne Länder zugehen wird. Es wird auch auf Deutschland ankommen, diese Geschlossenheit wirklich zu wahren.
Es droht also ein harter Brexit am 31. Oktober?
Zumindest hat Johnson immer wieder gesagt, er habe keine Angst vor dem harten Brexit. Ich hoffe, dass das Unterhaus ihn verhindern wird. Im Parlament wollen ja diejenigen, die auch in der Vergangenheit immer wieder die Mehrheiten dagegen organisiert haben, auch künftig alles tun, um einen harten Brexit zu verhindern. Aber Johnson hat ja natürlich die Möglichkeit, seine Regierungserklärung so lange hinauszuzögern, dass das Parlament kaum Chancen hat zu reagieren. Es wird also ein spannendes Spiel in den nächsten Wochen und Monaten.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Was meinen Sie denn, bleiben die Briten in der EU, was ist Ihr Tipp?
Oh Gott, die Glaskugel hätte ich auch gerne. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass die Illusion, man tritt aus und nichts ändert sich, dann doch so schwierig ist, dass das Drinbleiben vielleicht am Ende doch das Einfachere ist. Aber Boris Johnson wird alles dafür tun, dass Großbritannien austritt, und sei es ohne Austrittsabkommen.
Von daher glaube ich, dass man sich darauf einstellen muss, dass es so kommt und dass wir für den Fall gewappnet sein müssen. Dann müssen wir sicherstellen, dass wir in der EU nach einem möglichen harten Brexit die Einheit wahren. Zum Beispiel bei der Frage der vollen Freizügigkeit, bei der die Briten Deutschland vielleicht entgegen kommen würde – aber auch Polen?? Da müssen wir auch immer Rücksicht nehmen auf unsere Partner und geschlossen stehen.
Wie sollte die EU im Hinblick auf diese Schwierigkeiten langfristig mit Großbritannien umgehen?
Es ist wichtig, dass wir den Dialog weiter suchen, dass wir weiter im Gespräch bleiben mit unseren britischen Freunden. Und nicht, weil Boris Johnson gewählt ist, das Land abschreiben. Sondern dass wir den Dialog mit den Kräften, die für eine gute Kooperation weiterhin stehen, jetzt noch intensivieren.
Sebastian Rauball