Boris Johnson: Ein Premier ohne Plan – aber mit großen Ambitionen
Am Mittwoch wird Boris Johnson zum Premier ernannt. Dies spricht Bände über den Zustand der britischen Politik. Ein Kommentar.
Boris Johnson ist am Ziel. Der Mann, der sich gerne wie Winston Churchill gebärdet und schon seit langem britischer Premierminister werden will, ist zum Vorsitzenden der Tories gewählt worden. Morgen wird er die Nachfolge von Theresa May in der Downing Street antreten.
Anders als sonst üblich war es die Parteibasis und nicht der exklusive Zirkel der Tory-Unterhausabgeordneten, die eine Entscheidung über den künftigen Premierminister traf. Das Verfahren spielte Johnson in die Hände. Eine große Mehrheit unter den 160.000 Parteimitgliedern hielt ihn für einen besseren Premier als seinen Kontrahenten, den oftmals technokratisch wirkenden Außenminister Jeremy Hunt.
Die neu aufgeflammte Liebe zwischen der Basis der Konservativen und dem blonden Machtpolitiker sagt viel aus über den Zustand der britischen Politik. Johnson hat in den vergangenen Wochen während des innerparteilichen Schaulaufens vor allem mit Abseitigem Anlass zur Berichterstattung gegeben. Boris und seine Freundin, Boris und seine unehelichen Kinder, Boris und sein zugemülltes Auto – die Details der großen Johnson-Show boten den Briten und auch den Tory-Mitgliedern eine willkommene Abwechslung.
Das große Johnson-Kino ist Ausdruck einer zunehmenden Infantilisierung
Weinkisten-Bastelei statt Backstop, Kokain-Vorwürfe statt Zollunion und Binnenmarkt: Die Frage, wie es beim Brexit unter dem nächsten Premierminister weitergeht, wurde beim Rennen unter den Tories eher zur Nebensache. Das große Kino, das Johnson seinen Anhängern bietet, ist auch Ausdruck einer zunehmenden Infantilisierung im Politikbetrieb. Sie lässt nichts Gutes ahnen für den weiteren Fortgang des Brexit-Dramas. Denn einen richtigen Plan, wie die Verhandlungen mit der EU gestaltet werden sollten, hat auch Johnson nicht.
Seine Strategie: Auf ein Einknicken der EU hoffen
Wenn man seine vollmundigen Ankündigungen zum Nennwert nimmt, dann besteht Johnsons Strategie in erster Linie darin, die EU irgendwie in die Knie zu zwingen. Je näher der 31. Oktober und damit auch die Aussicht auf einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens rückt, umso größer werde auch die Bereitschaft der EU zum Einlenken werden. So lautet Johnsons Kalkül.
Im Kern dreht sich der Streit zwischen Großbritannien und der EU immer noch um den Backstop – also jene Regelung, die eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ausschließt und bis auf Weiteres einen Verbleib Nordirlands in der EU-Zollunion erfordert. Für Johnson und die Brexiteers, welche der britischen Regierungspolitik ab dieser Woche mehr denn je ihren Stempel aufdrücken werden, ist eine enge Verbindung mit dem Kontinent allerdings Teufelszeug. Es ist daher überhaupt nicht auszuschließen, dass der Streit zwischen Brüssel und London über den Backstop vor Ende Oktober derart eskaliert, dass Großbritannien dann in den No-Deal-Brexit hineinschliddert.
Weggefährten, die Johnson gut kennen, halten ihn zwar für intelligent genug, dass er eine solche Entwicklung mitsamt ihren negativen wirtschaftlichen Folgen für die Insel trotz aller gegenteiligen Drohgebärden letztlich verhindern will. Allerdings könnte er als Nachfolger von Theresa May die Geister nicht mehr loswerden, die er gerufen hat. Johnson hat sich seit der Brexit-Entscheidung vom Juni 2016 immer enger an die Hardliner gekettet. In dieser Situation wird ein innerparteilicher Kompromiss im Brexit-Streit noch schwieriger zu finden sein als während der Amtszeit von Theresa May.
Das wissen auch die Tory-Rebellen wie Justizminister David Gauke und Schatzkanzler Philip Hammond, die bereits vorsorglich ihren Rücktritt erklärt haben. Besonnene Politiker wie Gauke und Hammond könnten im Unterhaus den Sturz Johnsons herbeiführen, falls dieser tatsächlich auf einen No-Deal-Brexit zusteuern sollte. Und damit wäre dessen Traum als Premierminister auch sehr schnell wieder ausgeträumt.