Künftiger britischer Premier: Was qualifiziert Boris Johnson für die May-Nachfolge?
Boris Johnson steht vor seinem größten Triumph: Er wird Großbritannien voraussichtlich als Regierungschef aus der Europäischen Union führen. Ein Porträt.
An diesem Dienstag entscheidet sich, wer die britischen Konservativen künftig führt. Nachdem die britische Premierministerin Theresa May im Mai ihren Rücktritt angekündigt hatte, starteten die Torys ein innerparteiliches Rennen um ihre Nachfolge. In den zurückliegenden vier Wochen standen sich dabei nur noch zwei Kontrahenten um das Amt des Parteivorsitzenden gegenüber – der frühere Außenminister Boris Johnson und der derzeitige Amtsinhaber Jeremy Hunt. Nicht einmal Hunt zweifelt mehr daran, dass sich die 160.000 Parteimitglieder für Johnson entscheiden werden. Am Mittwoch wird er dann von der Queen empfangen und zum neuen Premierminister ernannt.
Wer ist dieser Boris Johnson und was qualifiziert ihn für das Amt?
Alexander Boris Johnson wurde in New York geboren und wuchs weitgehend in Brüssel auf, wo sein Vater für die EWG-Kommission arbeitete. Er ist Abkömmling der französischen Adelsfamilie de Pfeffel, einer illegitimen Tochter des Prinzen Paul von Württemberg sowie eines türkischen Dichters, kurzum: ein Europäer par excellence. Familiäre Verbindungen verschafften dem Altphilologen einen Job bei der „Times“, wo er wegen eines gefälschten Zitats gefeuert wurde.
Der „Daily Telegraph“ schickte den hervorragend Französisch Sprechenden jungen Mann als Korrespondenten nach Brüssel, wo Johnson mit bis zugespitzten und teils erlogenen Artikeln Furore machte. Als Chefredakteur der rechten Wochenzeitschrift „Spectator“ zog der liberale Konservative 2001 für den Wahlkreis Henley-on-Thames- ins Unterhaus ein.
Welche politischen Ämter hat er bisher ausgeübt?
Der verheiratete Vater von vier Kindern war kulturpolitischer Sprecher der Partei und wurde 2004 gefeuert, weil er über die Affäre mit einer Kollegin gelogen hatte. Als im Jahr darauf der zwei Jahre jüngere David Cameron konservativer Parteichef wurde, wandte Johnson seinen politischen Ehrgeiz dem Bürgermeisteramt der Hauptstadt London zu. Sein Triumph in der eigentlich Labour zuneigenden Metropole machte ihn 2008 endgültig zum politischen Star auf der Insel. Nach seiner Wiederwahl vier Jahre später verschafften ihm die gelungenen Olympischen Spiele auch internationale Aufmerksamkeit.
Den Londonern hatte der Bürgermeister versprochen, während seiner Amtszeit keine anderen Ämter anzustreben. Dennoch bewarb er sich 2015 im West-Londoner Wahlkreis Uxbridge erneut um ein Unterhausmandat und wurde auch gewählt. Die Zeit im Londoner Rathaus hat der 55-Jährige als Blaupause für ganz Großbritannien hingestellt. Dabei fand der versprochene soziale Wohnungsbau nicht statt, und mit teuren Prestigeprojekten wie einer unrentablen Seilbahn über die Themse sowie der nie gebauten Gartenbrücke verschleuderte Johnson Millionen.
Verfügt er über Erfahrungen auf internationaler Bühne?
Theresa May berief den Brexit-Vormann 2016 in ihr Kabinett und machte ihn zum Außenminister. 2018 trat er aus Protest gegen einen Brexit-Kompromiss zurück. Über seine zwei Jahre im Foreign Office hat Johnson selten geredet, von einer Erfolgsbilanz kann keine Rede sein. Die britische Antwort auf Russlands Chemiewaffen-Angriff in Salisbury im vergangenen Jahr hat sich Johnson gern ans Revers heftet. Dabei wurde die Ausweisung zahlreicher Moskauer Diplomaten weitgehend von May selbst organisiert.
Im Rat der EU-Aussenminister fiel Johnson durch schlechte Vorbereitung auf, Geschäftsleute verschreckte er mit der knappen Mitteilung „fuck business“. Der im Iran inhaftierten iranisch-britischen Bürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe schadete Johnson, indem er indirekt den Vorwurf des Regimes bestätigte, Zaghari-Ratcliffe habe junge Journalisten ausgebildet, während die Angeklagte von einem privaten Besuch in der Islamischen Republik sprach.
Die diplomatische Krise mit Teheran wegen des beschlagnahmten Öltankers an der Strasse von Hormus kommt zur Unzeit. Der Churchill-Biograph Johnson verfügt, anders als sein großes Vorbild, über keinerlei militärische Erfahrung. In einer vernichtenden Kolumne für die „Times“ attestierte der frühere Tory-Abgeordnete Matthew Parris dem Parteifreund eine Reihe von Charaktermängeln: „lässige Unehrlichkeit, Grausamkeit, Verrat; das Fehlen jeglicher echten Ambition, mit dem Amt etwas anzufangen, das man erreicht hat“.