Ministerpräsident Bodo Ramelow im Interview: "Thüringen belegt: Rot-Rot-Grün geht"
Heute ist der Linke Bodo Ramelow als thüringischer Ministerpräsident seit 100 Tagen im Amt. Im Interview spricht er über den Umgang mit Pegida, Unrecht in der DDR, den nächsten Bundespräsidenten - und was er mit Volker Bouffier gemeinsam hat.
Herr Ramelow, als erster linker Ministerpräsident sind Sie nun 100 Tage im Amt. Fühlen Sie sich immer noch als eine Art Paria der deutschen Politik?
Ich kann mir im Bundesrat den Status als Blockfreier erlauben. Und das genieße ich. Es gestattet mir, zwischen meinen christdemokratisch regierten Nachbarn und jenen, die sich sozialdemokratisch aufstellen, vermitteln zu können.
Keine Anfeindungen von der Union?
Überhaupt nicht. Es geht im Bundesrat oft sogar fröhlich zu. Der hessische Ministerpräsident Bouffier kam auf mich zu, strahlte mich an, und sagte: „Ramelow, wissen Sie eigentlich, dass wir bei Karstadt zusammen gearbeitet haben?“ Das war der Eisbrecher. Und Herr Seehofer kam bei einer Bundesratssitzung freundlich auf mich zu und wünschte mir alles Gute. Er hat gesagt, ich soll ihn nicht mit Ideologie belästigen und mit meiner Partei auch nicht unbedingt. Aber Gottes Segen würde er mir schon wünschen. Als Christen könnten wir schon miteinander gut reden.
Thüringen ist ein sehr konservativ geprägtes Land. Wie tragen Sie dem Rechnung?
Alles, was Wert erhalten bedeutet, ist für mich konservativ. Natur hat einen Wert, Regionalität hat einen Wert, Identität hat einen Wert. Aber Weltoffenheit hat eben auch einen Wert. Wir brauchen so viel Klarheit im Fundament, dass wir es auch schaffen, das Land in einer kritischen Situation wie jetzt mit den wachsenden Flüchtlingszahlen weiter in Richtung Weltoffenheit zu bringen. Da muss man dann aufpassen, dass konservativ nicht mit Chauvinismus verwechselt wird.
Vor ein paar Tagen protestierten in Gera 2000 Menschen gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Wie gehen Sie damit um?
Offensiv. Wir müssen mit den Menschen reden, die Ängste haben. Und wir müssen einen klaren Strich ziehen zu denen, die die Ängste schüren. Ähnlich ist das gerade in Suhl. Dort haben wir inzwischen 1200 Flüchtlinge. Zu den Demonstrationen des Pegida-Ablegers Sügida waren anfangs bis zu 350 Hardcore-Nazis unter den Demonstranten, jetzt werden es weniger. Die Landesregierung war dann bei den Bürgerforen und den Gegendemonstrationen vertreten und hat so deutlich gemacht: Hier ist kein Platz für Ausländerfeindlichkeit und Ressentiments. Und wir hören zu.
Was sagen Sie denen, die gegen eine angebliche Islamisierung demonstrieren?
Islamistischer Terror und Islam, das sind zwei Dinge. In Sachsen hat der Ministerpräsident gesagt: Der Islam gehört nicht zu Sachsen. Ich sage: Die 7000 Muslime in Thüringen gehören zu Thüringen. Also gehört auch deren Glauben und die Verteidigung ihres Glaubens zu Thüringen. Das Grundgesetz sieht Glaubensgewährung für jeden vor. Heißt also ausdrücklich: Auch der Islam gehört zu Thüringen.
Sind die Ängste vor Zuwanderung irrational?
Ängste, die keinen direkten Bezug haben zu einer Bedrohung, sind immer irrational. Wenn mir Menschen in Gera-Liebschwitz sagen, die Errichtung einer Erstaufnahmestelle ruiniere alle Verkaufseinrichtungen, dann ist das irrational, weil es gar keine gibt. Oder wenn behauptet wird, dass die Werte ihrer Einfamilienhäuser jetzt rapide sinken würden. Ein paar Kilometer von Gera entfernt, in der Nähe der Hohenwartetalsperre, steht in Orten jedes fünfte Haus leer und keiner will sie. Was soll man da noch an Werten senken?
Haben Ängste vor Zuwanderung mit der DDR zu tun?
Da tue ich mich schwer. Auch die Bundesrepublik kannte Antisemitismus immer am häufigsten dort, wo es gar keine oder fast keine jüdische Bevölkerung gab. Was stimmt: In der DDR gab es so gut wie keine Ausländer – und die, die es gab, waren sie quasi kaserniert. Da fehlt dann eine normale Beziehung, wie ich sie aus Hessen kenne. Dort sind, beispielsweise in Frankfurt, der Iraner, der Ebbelwoi-Verkäufer und der türkische Süßigkeitenhändler Laden an Laden in Frankfurt an der Berger Straße. Bei uns in Erfurt gibt’s wegen der wenigen Nichtdeutschen gelegentlich abfällige Bemerkungen. Aus fünf türkischen Geschäften an der Bahnhofstraße wird dann ein angebliches Neu-Ankara. Aber so ist das: Manchmal kommt nicht einmal der katholische Teil eines Landes mit dem evangelischen klar. Dort, wo ich in Marburg gelebt habe, gab’s in der Umgebung drei katholische Dörfer. Da sind wir als junge Kerle nicht hin. Weil wir wussten, wir bekommen bei der Kirmes Prügel.
Wie begegnet Ihnen die Menschen im Eichsfeld, der katholischen Diaspora in Thüringen?
Ich bin dort sehr gerne. Es ist angenehm, dort mit den Menschen zu reden. Das Eichsfeld war immer katholisch. Und das ist in hohem Maße identitätsstiftend. Das ist ja alles CDU da – und trotzdem habe ich zu denen eine gute Beziehung. Demnächst werde ich dort eine Lesung machen. Der Schriftsteller Landolf Scherzer schreibt nämlich gerade ein Buch über mich.
Dann stehen Sie ja bald in einer Reihe mit dem SED-Kreischef von Bad Salzungen, über den Scherzer 1986 noch in der DDR das Buch „Der Erste“ geschrieben hat.
Das Witzige: Ich bin damit immer schon verbunden gewesen. „Der Erste“, Hans-Dieter Fritschler, ist 1999 mein Wahlkampfmanager gewesen. „Der Zweite“, ein CDU-Landrat, war der, gegen den ich als Landtagsabgeordneter am schlimmsten gekämpft habe, zigmal haben wir uns verklagt. Heute ist er der Chef des Bauernverbandes und wir haben einen unglaublich guten Draht. Und das dritte Buch hieß „Der Letzte“ und darin komme ich schon vor als Landtagsabgeordneter der PDS. Scherzer ist jetzt hier wochenlang unterwegs, beobachtet mich, spricht mit den Kraftfahrern, schleicht durch die Staatskanzlei. Ich bin sehr gespannt auf das, was er schreibt.
Gegen Ihre Wahl zum Ministerpräsidenten gab es viele Vorbehalte, insbesondere von Opfern des DDR-Regimes. Wie hat sich das seit dem 5. Dezember entwickelt?
Das hat sich nach meinem Eindruck etwas beruhigt. Das hat auch damit zu tun, dass ich von Anfang an deutlich gemacht habe, dass mir die Opfer der DDR eben nicht egal sind, ganz im Gegenteil.
Kommt Ihnen heute das Wort „Unrechtsstaat“ für die DDR leichter über die Lippen? Es wurde ja ganz schön gekämpft, bevor das Wort dann tatsächlich im Koalitionsvertrag stand.
Da war gar nicht so viel Kampf. Es wurde von außen viel hineingeheimnist. Aber es stimmt, ich habe mich mit diesem Wort immer schwer getan. Aber nicht wegen meines Parteibuches oder weil ich die DDR verharmlosen wollte. Die DDR war für mich eine Diktatur und eine Diktatur ist für mich nicht steigerungsfähig. Das Wort „Unrechtsstaat“ ist indes für mich immer mit den Auschwitz-Prozessen verbunden gewesen. Es war immer meinem Respekt vor dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer geschuldet. Und deswegen ist mir eine Inflationierung des Wortes als Lippenbekenntnis ohne jeden Kontext auf die Nerven gegangen. Dafür musste ich mich immer wieder verprügeln lassen. Ich bin da stur. Ich rede nicht nach Gefälligkeit. Das Unrecht der DDR habe ich nie geleugnet. Es gibt kein Wackeln, was wir im Koalitionsvertrag formuliert haben, steht.
Ramelow: Lieber eine Frau als Steinmeier an der Spitze des Staates
Der SPD in Thüringen hat die Annäherung an die Linkspartei nicht genutzt. Auf die Wahlschlappe am 14. September folgten Parteiaustritte nach der Regierungsbildung. Wie gefährlich ist das für die Stabilität Ihrer Koalition?
Wir haben kein Interesse daran, dass ein Koalitionspartner in Schwierigkeiten kommt. So etwas geht auf Dauer nicht gut. Die SPD wird selbst ihren Weg gehen. Meine Aufgabe ist, die drei Parteien so zu repräsentieren, dass alle davon Vorteile haben. Das ist in meinem ureigensten Interesse. Denn die Linke ist bei der letzten Wahl an ihre Wachstumsgrenzen gestoßen, viel mehr wird kaum gehen.
Das heißt, Sie machen keine Parteipolitik mehr?
Ich bin Repräsentant der drei Regierungsparteien. Damit kehre ich zurück zu meinen eigentlichen Wurzeln. Nämlich zur „Erfurter Erklärung“, die ich als damals als thüringischer HBV-Chef mit initiiert habe. 1997 ging es darum, SPD, die Grünen und die damalige PDS aufzufordern, der Verantwortung für einen Wechsel zu Mitte-Links nicht ausweichen, sobald die Mehrheit dafür da ist. Dafür stehe ich bis heute, auch mit Blick auf den Bund.
Und wie stehen die Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund?
Ich habe 1997 gesagt, dass alle drei Parteien ihre Grabenkämpfe beenden und das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellen müssen. Nur so wird eine Veränderung der Politik dauerhaft möglich. Das gilt bis heute. Das heißt aber nun nicht, dass ich einen Plan in der Tasche habe, wie Rot-Rot-Grün nach Thüringer Modell auf Bundesebene funktionieren könnte.
Warum wollen Sie ihr Bündnis in Erfurt nicht als Testlauf für Berlin verstehen?
Die Akteure in Erfurt und in Berlin sind andere. Wir in Thüringen sind der Beleg dafür, dass Rot-Rot-Grün geht. Aber die Bedingungen dafür waren, dass wir zwei Jahre vor der Landtagswahl aufeinander zugegangen sind, miteinander gearbeitet haben, uns nicht gegenseitig in die Kniekehlen getreten haben.
Genau das aber passiert auf Bundesebene im Verhältnis zwischen SPD, Linken und Grünen.
Man muss rechtzeitig miteinander reden, wenn es etwas werden soll. Für den Bund wäre dieser Schritt dann irgendwann in diesem Jahr fällig. Aber ich habe da keine Ratschläge zu geben. Ich habe vor der Regierungsbildung in Thüringen ein langes Gespräch mit Sigmar Gabriel gehabt. Mein Eindruck war: Er ist kein Freund von Rot-Rot-Grün in Erfurt. Aber ich hatte das Gefühl, dass er uns keine Knüppel zwischen die Beine werfen will.
Ist die Linkspartei im Bund überhaupt regierungsfähig?
Ich bin – damals als Beauftragter für die Fusion von PDS und WASG – mitverantwortlich dafür, dass es die Linke so gibt, wie sie heute ist. Damit sich die Partei neben der SPD behaupten kann, braucht sie Alleinstellungsmerkmale und starke Strömungen. Sie hat nur als Mosaiklinke eine Chance, da halte ich es ganz mit dem IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban. Und wenn sie etwas mehr Gelassenheit entwickeln würde, ihre Unterschiedlichkeit auch auszuhalten.
Die Flügelfrau Sahra Wagenknecht hat gerade angekündigt, doch nicht für den Vorsitz der Bundestagsfraktion kandidieren zu wollen. Bedauern Sie das?
Ich halte sie nach wie vor für einen der profiliertesten Köpfe der Linken. An ihren Analysen zu Finanzströmen und Finanzmarktarchitekturen habe ich nie gezweifelt. Sie hat aber auch die Bildung unserer Regierung in Thüringen massiv unterstützt. Sie kann also durchaus pragmatisch sein. Sie ist eine Analytikerin, Mahnerin und Denkerin. Und sie hält jede Talkshow eisern durch. Ich respektiere ihre Entscheidung.
Wäre es gut, wenn SPD, Linke und Grünen einen gemeinsamen Kandidaten für die nächste Bundespräsidentenwahl nominieren? Den jetzigen Außenminister Steinmeier vielleicht?
Ich werde da jetzt keine Personalvorschläge machen. Warum sollte es einen solchen gemeinsamen Kandidaten nicht geben? Aber das müssten die Parteivorstände miteinander verabreden. Es wäre durchaus klug, sich darüber zu verständigen. Besser noch wäre eine Kandidatin. Da wiederum wäre es dann schlecht mit Steinmeier.
Wechseln Sie zurück in die Bundespolitik, wenn Rot-Rot-Grün dort Realität werden sollte?
Ich habe immer gesagt, dass ich in Thüringen verwurzelt bin und in Thüringen lebe. Ich strebe nicht nach irgendetwas anderem. Das einzige, nach dem ich noch strebe, ist der Besuch bei Papst Franziskus. Und der ist auch schon in Planung.
Bodo Ramelow (59) ist Ministerpräsident des Freistaates Thüringen. Er ist der erste Linke-Politiker an der Spitze der Regierung eines Bundeslandes. Das Gespräch führte Matthias Meisner.