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Bodo Ramelow regiert in Thüringen.
© Martin Schutt/dpa

100 Tage Rot-Rot-Grün in Thüringen: Die Revolution ist ausgeblieben

100 Tage regiert Rot-Rot-Grün in Thüringen unter der Führung des Linken Bodo Ramelow. Die Bilanz fällt mager aus.

Eine Revolution hat Rot-Rot-Grün in den ersten 100 Tagen seiner Regierung in Thüringen nicht angezettelt – im Gegenteil: Das Bündnis unter dem Linken Bodo Ramelow agierte zurückhaltend und vorsichtig. Ob das Schwäche ist oder Kalkül, lässt sich noch nicht absehen. Und Bananen gibt es auch noch, wie Ramelow gern witzelt. Diese Frotzelei ist freilich nicht unbedingt nach dem Geschmack der Thüringer, die ihre Erfahrungen mit der DDR-Mangelwirtschaft gemacht haben.

Nicht nur die Revolution ist in Erfurt ausgefallen. Auch der heftige Protest gegen Rot-Rot-Grün war mit der Wahl des Linken-Ministerpräsidenten schlagartig vorbei. Clarsen Ratz, Unternehmer und CDU-Mitglied, hat voriges Jahr zwei Großdemonstrationen in Erfurt organisiert. Er warnte, die Linke wolle eine "sozialistische Republik". Davon ist der Freistaat bisher so weit entfernt wie die hiesige Landwirtschaft vom Bananenanbau.

Für Ratz sind jedoch "gewisse Tendenzen erkennbar". Diese zeigten sich etwa im geplanten Gesetz zur Bildungsfreistellung. Grundsätzlich hält er die rot-rot- grüne Bilanz für "destaströs". So bekämen die Kommunen entgegen den Wahlversprechen nicht mehr Geld. "Dafür wurden wie im Sozialismus Statistiken gefälscht", sagt Ratz. Nach seiner Ansicht wären Neuwahlen die beste Lösung für Thüringen.

Ramelow gab sich präsidial, seine Minister wirkten unauffällig bis unsicher

Linke, SPD und Grüne hatten selbst einen "Politikwechsel" angekündigt. Die ersten 100 Tage ihrer Regierung waren jedoch keineswegs ein Aufbruch oder ein Feuerwerk an Ideen und Initiativen. Ramelow gab sich präsidial, seine Minister wirkten unauffällig bis unsicher. "Verwalten geht vor Gestalten", urteilt ein Kritiker aus den rot-rot-grünen Reihen. "So bald es um harte Politik geht, ist nichts zu sehen."

Als einzige handfeste Initiative gilt bisher der Gesetzentwurf zur Bildungsfreistellung. Arbeitnehmer sollen für die politische Weiterbildung fünf Tage bezahlten Urlaub pro Jahr bekommen. "Rot-Rot-Grün ist wirtschaftspolitisch Gift-Gift", klagt deshalb der Erfurter IHK-Präsident und Sparkassen-Direktor Dieter Bauhaus. Das Linkssein der Linksregierung zeigt sich auch im Abschiebestopp für Flüchtlinge, den in diesem Winter neben Thüringen nur Schleswig-Holstein erlassen hat. CDU- Mann Ratz begrüßt diese Entscheidung: "Wenn 1933 die Welt gesagt hätte, wir nehmen keine Deutschen auf, wäre das kompliziert geworden."

Oppositionsführer Mike Mohring kritisiert den Umbau der Ministerien

Für Oppositionsführer Mike Mohring (CDU) bedeutet Rot-Rot-Grün „Wortbruch, Stillstand, Frustration, Ideologie“. Er kritisiert, dass mit dem Landeshaushalt für 2015 erst im Sommer zu rechnen sei und die Regierung in großem Stil die Ministerien umbaue. So wurde das Umweltministerium, das die Grünen leiten, die Landwirtschaft los – ein Zugeständnis Ramelows an die Schlimmes befürchtenden Bauern. Mohring spricht von einem „widersinnigen Umbau der Landesverwaltung“. Die Regierung sei „nur mit Umzügen beschäftigt“. Und mit Reden. Das Klima gilt – im Unterschied zur vorherigen CDU-SPD-Koalition – als ausgesprochen kollegial. In dem Bündnis, das nur über eine Stimme Mehrheit verfügt, soll eine regelrechte "Wohlfühlatmosphäre" herrschen. Ramelows Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), früher Staatssekretär in Berlin, beschreibt sich selbst als "Frühwarnradar", das Risiken für das gegenseitige Vertrauen erkennen und beseitigen soll. "Es gibt mehr Abstimmungsbedarf und mehr Abstimmungswillen", sagt auch Innenminister Holger Poppenhäger (SPD). Er war unter Schwarz- Rot Justizminister. Ihm zufolge haben Linke und Grüne ein großes Diskussionsbedürfnis.

Die SPD wirk nach ihrem Absturz auf 12,4 Prozent wie gelähmt

Die bisherige politische Zurückhaltung erklärt ein anderer wichtiger SPD-Mann so: "Man kann nicht am Anfang ein Feuerwerk veranstalten und steht dann mit verkohlten Raketenstäben da." Die Wähler wollten gar nicht, dass das Land sofort gedreht werde. Allerdings wirkt die SPD nach ihrem Absturz auf 12,4 Prozent auch wie gelähmt. Etwa 130 der rund 4000 Genossen im Land haben die Partei wegen des Linksbündnisses verlassen.

Bodo Ramelow hat zwar seine Karl-Marx-Figur mit in die Erfurter Staatskanzlei genommen; und schon träumen die ersten von einer Linksregierung auch im Bund, für die Thüringen Vorbild sein könnte. Doch in dem gut zwei Millionen Einwohner zählenden Land fragen sich die Menschen zuerst, ob die Regierung gut oder schlecht für sie ist. "In der Substanz wird Thüringen nicht gut regiert", sagt ein Kritiker aus den rot- rot-grünen Reihen.

Das kostenfreie Kita-Jahr will die Regierung frühestens 2017 einführen

Das könnte so weitergehen. Denn die Sollbruchstellen der Koalition – fragiles Drei-Parteien-Bündnis, hauchdünne Mehrheit, Finanznöte des Landes – bleiben bestehen. Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass sie zu weitreichenden Entscheidungen kommt. Das versprochene kostenfreie Kita-Jahr will die rot- rot-grüne Regierung frühestens 2017 einführen. Auch eine Gebietsreform ist bisher nur eine Absichtserklärung. Oppositionsführer Mohring gibt sich überzeugt: "Es wird in dieser Wahlperiode keine ernsthafte Gebietsreform geben. Rot-Rot-Grün hat dafür weder Kraft noch Mehrheit, noch den Willen."

Eike Kellermann

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