Tories, Labour und der Brexit: Theresa Mays Flop, Jeremy Corbyns Flip
Die britische Premierministerin muss ihren Parteitag an diesem Wochenende fürchten. Der Labour-Chef dagegen hat seinen gut bestanden.
Der Ausflug nach Florenz war nicht der erhoffte Erfolg. Mit ihrer toskanischen Rede am Freitag vor einer Woche, pendelnd zwischen partnerschaftlichem Ton und Distanzierungsrhetorik, wollte die britische Premierministerin Theresa May die stockenden Brexit-Gespräche in Brüssel voranbringen. Und auch schon mal „bella figura“ machen für den Parteitag ihrer Konservativen, der an diesem Wochenende in Manchester beginnt.
Aber beim EU-Treffen in Tallinn waren die kontinentalen Partner am Freitag wenig geneigt, May die erhoffte Hilfestellung zu geben, die den Parteitagsdelegierten als erfolgreiches Fortkommen beim Austritt hätte verkauft werden können. Nach Gesprächen mit Kanzlerin Angela Merkel und weiteren Regierungschefs drang nur durch, was der irische Premier Leo Varadkar in den Satz fasste: „Die Fortschritte reichen nicht aus, um in die nächste Stufe der Gespräche einzusteigen.“ Florenz war, jedenfalls auf kurze Distanz, ein Flop.
Und Manchester kann der nächste werden. Denn als erfolgreiche Staatsfrau reist May nicht an. Die vorgezogene Unterhauswahl im Juni hat sie vergeigt. Die angekündigte Parteireform – die Tories sollten attraktiv werden für die „just about managing“, die Abgehängten – ist im Sand verlaufen, wohl zur Zufriedenheit der Freie-Markt-Anhänger, die einen sozialen Konservatismus für Gedöns halten und den Brexit als Befreiung aus dem regulatorischen Würgegriff der EU feiern.
Die latente Uneinigkeit im Kabinett zeigt die Grenzen von Mays Autorität. Nach einer Umfrage unter Mitgliedern rangiert Außenminister Boris Johnson als Thronanwärter wieder vorn. Er kann der Liebling des Parteitags werden. Denn die Tory-Basis will einen harten Brexit, härter als das, was May in Florenz vortrug. Und von Johnson glauben viele, dass er ihn liefern würde.
Dass May den Spitzenbeamten aus dem Brexit-Ministerium von David Davis abzog, um ihm in der Downing Street die zentrale Schaltstelle für die Gespräche mit der EU anzuvertrauen, dürften jedenfalls die Brexit-Hardliner in der Partei als Beweis werten, dass May ihn nicht liefern will. Für sie gehört die Premierministerin ohnehin zu den "wets" - als "Jammerlappen" bezeichnete einst Margaret Thatcher ihre innerparteilichen Gegner, und Thatcher ist nach wie vor die ideologische Leitfigur der EU-Gegner bei den Tories.
Noch tiefer gespalten beim Brexit
Jeremy Corbyn dagegen hat gut lachen. Der Labour-Chef brachte seinen Parteitag in Brighton gerade so erfolgreich über die Bühne, mit Jubelarien und demonstrativer Unterstützung der Delegiertenmehrheit, dass seine innerparteilichen Gegner erst einmal verstummt sind.
Dabei spaltet der EU-Austritt Labour weitaus tiefer als die Tories. Ein Teil der Fraktion im Unterhaus akzeptiert den EU-Austritt nicht wirklich und versucht, ihn unter Führung von Corbyns Gegenspieler Keir Starmer in einen „weichen“ Brexit umzuwandeln – mit weiterem Zugang zum Binnenmarkt, einschließlich Personenfreizügigkeit, und der Mitgliedschaft in der EU-Zollunion. Vor allem in London und einigen Uni-Städten ist das populär, nicht dagegen in Labour-Hochburgen im Norden Englands, wo die klassische Arbeiterklientel gegen die EU votierte.
Um die Spaltung zu kaschieren, hat Corbyn, unterstützt von seiner linken Basisbewegung „Momentum“, das Thema in Brighton von der Agenda nehmen lassen. Er setzt ganz auf sein Vorhaben, die Ära von „New Labour“ unter Tony Blair zu beerdigen. Corbyn verspricht ein Ende der Sparpolitik, die Renationalisierung der privatisierten Bahnen, der Royal Mail und der Wasser- und Energieversorger, ein Ende öffentlich-privater Partnerschaften in vielen Sektoren, mehr Geld für den Nationalen Gesundheitsdienst, eine Kürzung der hohen Studiengebühren, eine Deckelung der Mieten, die vor allem Jüngere stark belasten, die sich angesichts der überteuerten Immobilienpreise keine eigenen Wohnungen mehr leisten können.
Damit findet Labour Zustimmung weit in die Mitte hinein, was es Corbyns Gegnern schwer macht, ihn als „Radikalinski“ bloßzustellen. Corbyn und seinem Schatten-Finanzminister John McDonnell (auch er ein Parteilinker) aber ist die EU suspekt, weil sie glauben, Brüssel würde ihre Kehrtwende hin zu einem moderaten Sozialismus erschweren. Die Mehrheit der Partei folgt ihnen da mittlerweile.
Immer mehr drängt sich so der Eindruck auf, dass die britische Politik in jene Polarisierung zurückgleitet, die sich in den Siebzigerjahren bildete, als der wirtschafts-und sozialpolitische Konsens zwischen Labour und Tories aus der Nachkriegszeit zerfiel und sich bei Labour die harte Linke immer mehr durchsetzte, während Thatcher die Konservativen zur Politik des unbedingten freien Marktes bekehrte. Das Verblüffende ist: Die Polarisierung mit Blick auf den EU-Austritt, die man angesichts des knappen Ergebnisses beim Referendum (52 zu 48 Prozent) im vorigen Jahr hätte erwarten können, tritt weiterhin nicht ein.