Brexit: Theresa May - eingezwängt zwischen zwei unversöhnlichen Lagern
Sie sei zwar im Amt, nicht aber an der Macht sagen Mays Kritiker. Die Premierministerin laviert sich mit Zugeständnissen durch schicksalhafte Tage in Zeiten des Brexit.
Es ist eine Formulierung, die die komplette Kritik zusammenfasst, die Theresa May in diesen Tagen von allen Seiten abwehren muss: Die Premierministerin sei zwar im Amt, sagt der Parlamentsvorsitzende der schottischen Nationalpartei, Ian Blackford, aber sie sei nicht an der Macht.
Wäre es nur Blackford, der so denken würde! Diese Woche wurde der lange Kampf um den Brexit im britischen Parlament fortgesetzt, und die Premierministerin musste nicht nur mit dem Zorn der Oppositionspolitiker rechnen, sondern auch schon wieder mit heftiger Kritik innerhalb ihrer eigenen Partei. Sowohl von den Brexit-Hardlinern als auch von den Pro-Europäern.
Kampf ums politische Überleben
Zeit zum Luftholen gab es also nach dem chaotischen Staatsbesuch von US- Präsident Donald Trump für die Premierministerin nicht. In den letzten Tagen musste sie – in der Debatte über den Gesetzesentwurf zur Handelspolitik nach dem Brexit – wieder um ihr Brexit-Weißbuch und um ihr politisches Überleben kämpfen. Das Weißbuch, das zu den Rücktritten von Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis geführt hat, soll ihre Partei hinter einer Linie einigen, die sie dann als Verhandlungsposition gegenüber der EU präsentieren könnte. Die letzten Tage haben aber gezeigt, dass May nach wie vor zwischen zwei unversöhnlichen Lagern eingezwängt ist.
Jeden Tag eine neue schlechte Nachricht
Am Montagabend räumt sie vier Änderungen zum Handelsentwurf ein, die von der „European Research Group", einer Hinterbänkler-Gruppierung von Brexit- Hardlinern um den Konservativen Jacob Rees-Mogg, vorgeschlagen worden waren. Das hat für Furore unter den Pro-Europäern in ihrer Partei gesorgt, und zwölf von ihnen rebellierten gegen die Regierung. Am Dienstag schlugen die Rebellen eine weitere Novellierung vor, die die Option einer Zollunion ins Spiel brachte, falls es bis Januar keine Einigung mit der EU über den Handel gäbe. Diese Novellierung wurde bei der parlamentarischen Abstimmung nur abgelehnt, weil sechs Labour-Abgeordnete mit der Regierung gestimmt haben. Die Rebellen in der Opposition retteten May vor ihren eigenen Rebellen.
May vermied dadurch nicht nur eine peinliche Niederlage, sondern auch den möglichen Zusammenbruch ihrer Partei. Hätte sie die Abstimmung verloren, fürchtete die Premierministerin, wären die Brexit-Hardliner um Jacob Rees- Mogg nicht mehr zu beschwichtigen gewesen. Sie fürchtete im Falle einer Niederlage ein Vertrauensvotum und argumentierte laut Medienberichten sogar mit diesem Schreckgespenst, als sie am Dienstag versuchte, die zwölf Rebellen auf Linie zu bringen. Für Anna Soubry, eine der prominentesten „Pro-Europäer in Mays Partei, war das unerträglich. „Das Problem ist, dass die Premierministerin nicht mehr am Steuer ist“, sagte Soubry am Mittwochvormittag der BBC. „Das Land wird im Moment von Jacob Rees-Mogg geführt.“
Die Opposition ist so geschwächt wie die Regierung
Wie Blackford sieht Soubry eine Premierministerin, die zwar noch im Amt ist, aber vor Angst vor der Spaltung in ihrer Partei machtlos geworden ist. Soubry und andere pro-europäische Konservative wie Nicholas Soames reden jetzt öffentlich von einer möglichen „Einheitsregierung“, die die Moderaten aus allen Parteien zusammenbringen würde. Schließlich ist die Opposition durch interne Spaltungen genauso geschwächt wie die Regierung. Zum wiederholten Mal musste sich Labour-Parteichef Jeremy Corbyn diese Woche Antisemitismus-Vorwürfen stellen. Zudem hat die Abstimmung am Dienstag bewiesen, dass es keine parlamentarische Mehrheit für eine Zollunion gibt, worauf die Labour-Partei bei ihrer Brexit-Strategie immer gepocht hatte.
Die Ablehnung einer möglichen Zollunion ist auch deswegen bedeutend, weil sie eine weitere Annäherung an die Positionen der EU höchst unwahrscheinlich werden lässt. Viele hatten gehofft, dass das Weißbuch den ersten Schritt in Richtung eines möglichen Kompromisses mit den EU-Unterhändlern darstellt. Spätestens seit Theresa May am Montag den Hardlinern in vier Punkten nachgegeben hat, ist klar, dass sie sich einen weiteren Schritt in Richtung eines „weichen Brexits“ nicht mehr zutraut. Gleichzeitig wird aber auch nicht erwartet, dass die EU die aktuelle Position der britischen Regierung klaglos akzeptiert.
Bis zum März müssen Verträge und Abkommen stehen
Wie Jeremy Corbyn am Mittwoch bei der Befragung der britischen Premierministerin sagte: „Können Sie sich wirklich vorstellen, dass die 27 EU-Mitgliedsstaaten ihre eigene bürokratische Infrastruktur zur Einziehung der Tarife etablieren werden, nur um die Querelen innerhalb Ihrer Partei zu beruhigen?“ Dass der neue Brexit-Minister Dominic Raab offenbar bei einer Verhandlungsrunde in Brüssel am Dienstag nicht anwesend war, hat die Hoffnung auf Fortschritte weiter getrübt.
Nach wie vor tickt allerdings die Uhr. Bis Oktober sollen die Verhandlungen mit der EU abgeschlossen werden, damit alle neuen Verträge rechtzeitig ratifiziert werden können, bis der Brexit im März 2019 wirksam wird - also in einem dreiviertel Jahr. Bis dahin muss sich irgendetwas bewegen, sonst läuft Mays Regierung Gefahr, ohne jegliche Verträge und Abkommen aus der EU auszutreten und damit auf jeden Fall wirtschaftliches Chaos zu riskieren.
Sommerpause bringt kurze Auszeit
Ein bisschen Zeit hat May bis dahin – auch weil am Dienstag die parlamentarische Sommerpause anbricht. So dürfte die Gefahr, durch ein Vertrauensvotum gestürzt zu werden, zumindest über den Sommer beseitigt worden sein. Bis zum Oktober sollte Theresa May allerdings bewiesen haben, dass sie nicht nur überleben kann, sondern auch einen Weg aus der aktuellen Zwickmühle findet. Irgendwann muss sie nämlich nicht nur im Amt bleiben, sondern auch Macht ausüben.