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Exit aus der EU. Ein Beamter trägt die britische Flagge aus einem Sitzungssaal in Brüssel hinaus.
© REUTERS

Brexit: EU reagiert zurückhaltend auf Londons Plan

Die britische Regierung legt ihren Plan für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zur EU vor - die ersten Reaktionen von Seiten der Europäischen Union sind verhalten.

Acht Monate vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU kommt weitere Bewegung in die Brexit-Verhandlungen. Die Regierung in London legte am Donnerstag ein 98 Seiten starkes Weißbuch vor, in dem die Briten ihre Vorstellungen für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU darlegen. Allerdings dürften die verbleibenden 27 EU-Staaten die Londoner Vorschläge nicht ohne Weiteres schlucken. Darauf deuteten die ersten Reaktionen in Brüssel hin.

Bislang hatten sich die EU und Großbritannien in den Verhandlungen über die Bedingungen der Scheidung zu einem guten Teil angenähert und sich unter anderem auf die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien geeinigt. Bei dem am Donnerstag vorgelegten Weißbuch geht es nun um die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU beim Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen sowie bei der Personenfreizügigkeit. Nach dem Brexit im März 2019 werden in einer Übergangsphase bis Ende 2020 erst einmal die bisherigen Handelsregeln weitergelten. Aber danach wird es ernst: Großbritannien will dann nicht nur politisch, sondern zum Teil auch wirtschaftlich andere Wege gehen.

Der neue Brexit-Minister Dominic Raab, der den zurückgetretenen Amtsvorgänger David Davis ersetzt, erklärte, dass mit dem Weißbuch das Ergebnis des Brexit-Referendums umgesetzt werde. Gleichzeitig trage das Papier, dessen Grundzüge bei einer Kabinettsklausur auf dem Landsitz im englischen Chequers beschlossen worden waren, den Wirtschaftsinteressen Rechnung.

Regierungschefin Theresa May will einen „harten Brexit“ vermeiden, wie ihn Davis und der ebenfalls zurückgetretene Außenminister Boris Johnson anstreben. Im Kabinett muss sie nach den Rücktritten inzwischen keine Revolte mehr befürchten. Dafür hat sich die politische Front ins Unterhaus verlagert.

Tumult im Unterhaus

Dort kam es am Donnerstag zu einem Tumult, als Brexit-Minister Raab das Papier vorstellte. Etliche Unterhausababgeordnete waren aufgebracht, weil ihnen das Papier noch nicht vorlag, als Raab mit seinen Ausführungen begann. Regierungschefin May muss weiterhin befürchten, dass es die Verfechter eines „harten Brexit“ im Unterhaus auf ihren Sturz anlegen. Im Gegenzug könnte die Premierministerin darauf hinarbeiten, ein Bündnis mit der oppositionellen Labour-Partei zu schmieden.

Im Detail sieht das Weißbuch vor, dass Großbritannien beim Austausch von Waren und Agrarprodukten auf Zollschranken zur Europäischen Union verzichtet. Bei Dienstleistungen strebt London hingegen eine Loslösung vom EU-Binnenmarkt an. Zudem will sich Großbritannien grundsätzlich aus der EU-Personenfreizügigkeit Ende 2020 ausklinken. Dennoch sollen dem Papier zufolge Studenten aus der EU weiterhin problemlos in Großbritannien studieren können.

Die ersten ersten Reaktionen von der EU-Seite lassen darauf schließen, dass noch keineswegs sicher ist, ob die von May angestrebte „weiche“ Lösung tatsächlich kommt oder ob im Gegenteil die EU und Großbritannien sich über den Brexit komplett zerstreiten. Der EU-Chefverhandler Michel Barnier warnte, dass sich beide Seiten weiterhin auf ein Scheitern der Verhandlungen vorbereiten müssten.

London will Neuregelung bei Finanzdienstleistungen

Als Stein des Anstoßes könnte sich Londons Wunsch erweisen, dass es künftig zwischen der EU und Großbritannien bei Finanzdienstleistungen „neue regulatorische Vereinbarungen“ geben soll. Barnier wies die Regierung in London vor der Veröffentlichung des Weißbuchs darauf hin, dass der Zugang zum EU-Binnenmarkt für britische Finanzdienstleistungen schwerer werden könnte, wenn London die in diesem Sektor bisher geltenden Regulierungen nicht akzeptieren wolle. Nachdem das Papier am Donnerstagnachmittag veröffentlicht war, twitterte Barnier, dass er die Vorschläge nun mit den EU-Mitgliedstaaten und dem Europaparlament analysieren werde. Die EU biete ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen an, erklärte der EU-Chefunterhändler. Zudem solle es eine „starke Sicherheitspartnerschaft“ geben, so Barnier.

EU-Abgeordneter Brok sieht noch Nachbesserungsbedarf

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sieht angesichts der Vorschläge der Londoner Regierung für das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU noch Nachbesserungsbedarf. „Das ist alles etwas unausgegoren“, sagte Brok dem Tagesspiegel. Das Weißbuch der britischen Regierung stelle eine „Grundlage für die Verhandlungen der künftigen Beziehungen“ dar. Allerdings geht der Brexit-Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament noch von langwierigen Verhandlungen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Seiten aus. „Es wird im Detail weiter verhandelt, wenn der Austrittsvertrag vom EU-Parlament ratifiziert ist“, sagte Brok. Das Europaparlament muss vor dem Brexit im März 2019 dem Austrittsvertrag zustimmen. In dem Vertrag, der unter anderem die finanziellen Bedingungen der Trennung regelt, sollen ebenfalls die Grundzüge der künftigen Wirtschaftsbeziehungen festgehalten werden.

England-Fans empört über Brüsseler Generalsekretär Selmayr

Für die kommende Woche ist die nächste Brexit-Gesprächsrunde in Brüssel angesetzt. Wie angespannt das Gesprächsklima ist, wurde am Donnerstag deutlich, nachdem der Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr, per Twitter einen etwas provokanten Kommentar zur Halbfinal-Niederlage der englischen Elf bei der Fußball-WM abgegeben hatte. Unmittelbar nach der Niederlage twitterte Selmayr eine Reihe von Fußbällen und EU-Flaggen. Dies lässt sich einerseits als Würdigung der Tatsache interpretieren, dass am kommenden Sonntag mit Frankreich und Kroatien zwei EU-Mitglieder im WM-Finale stehen. Andererseits kann man den Tweet auch als Seitenhieb gegen das Noch-EU-Mitglied Großbritannien verstehen. Zahlreiche England-Fans zogen ihre eigene Schlüsse aus dem Beitrag des Brüsseler Generalsekretärs – und traten auf Twitter einen Proteststurm gegen Selmayr los.

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