Neue Spannungen in Israel: Tempelberg in Jerusalem nach Anschlag wieder geöffnet
Im Streit um den Tempelberg wurde ein bekannter jüdischer Aktivist niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Bei der Fahndung kam es zu einem tödlichen Schusswechsel. Der Tempelberg wurde zwischenzeitlich abgeriegelt. Unterdessen gibt Schweden als erstes westliches EU-Land die Anerkennung Palästinas bekannt.
Yehuda Glick, kämpft um sein Leben. Er ist Mittwochnacht von einem Aktivisten des extremen „Islamischer Dschihad“ in Jerusalem niedergeschossen worden. Stunden später kam der mutmaßliche Attentäter bei einem Schusswechsel mit der israelischen Polizei in seinem Haus in Ost-Jerusalem ums Leben.
Der israelisch-amerikanische Doppelbürger Rabbi Yehuda Glick, der nach Not-Operationen weiterhin in Lebensgefahr schwebt, ist zwar der Anführer derjenigen Israelis, die frei auf dem Tempelberg beten wollen, doch passt er nicht ins übliche Klischee rechtsextremer Fanatiker. Unmittelbar vor dem Anschlag leitete er eine Diskussion über die von israelischen Ultranationalisten geforderte Änderung des Status Quo des Tempelberges. Seiner Ansicht nach sollen Muslime weiterhin auf dem Tempelberg beten können. Die extremistischsten Fanatiker unter Israels Ultranationalisten streben dagegen gar die Zerstörung der Al-Aksa-Moschee und die Errichtung einen „Dritten (jüdischen) Tempels“ an, was ohne Zweifel zu einem umfassenden Krieg der gesamten islamischen Welt gegen den jüdischen Staat Israel führen würde.
Nach der Diskussion wandte sich ein Motorradfahrer mit den hebräischen, aber in arabischem Akzent ausgesprochenen Worten an Glick: „Ich bedaure, dass ich das machen muss“ – schoss ihn aus nächster Distanz nieder und flüchtete auf seinem Motorrad. Doch der israelischen Polizei war der 32-jährige Moataz Hejazi als Aktivist des „Islamischen Dschihad“ bekannt. Wenige Stunde nach dem Anschlag wurde er aufgespürt und kam bei einem Schusswechsel ums Leben.
"Islamischer "Dschihad" bekennt sich zur Tat
Obwohl man bisher offiziellerseits von einem Einzeltäter ausgeht, übernahm der „Islamische Dschihad“ die Verantwortung für die Tat und gratulierte, ebenso wie die Hamas. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte seinerseits die israelische „Aggression gegen heilige Stätten“ als „Kriegserklärung gegen das palästinensische Volk“. Der israelische Bürgermeister der Stadt, Nir Barkat, sprach im Radio von einem "terroristischen Angriff", der offenkundig mit dem jüngst eskalierten Streit über den Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt zu tun habe. Berichte darüber, dass Israel möglicherweise Gebete von Juden auf dem für Muslime heiligen Areal erlauben wolle, hatten in den vergangenen Wochen zu Krawallen geführt. .
Tempelberg zwischenzeitlich abgesperrt
Israels Minister für öffentliche Sicherheit, Jitzchak Aharonovitsch, untersagte das Betreten des Tempelberges für alle, Juden und Muslime, um Ausschreitungen und Unruhen zu vermeiden, mit denen vor allem anlässlich der Beerdigung des Attentäters und am Freitag, dem Ruhetag der Muslime, zu rechnen ist, sollten die Muslime nicht ihr traditionelles Freitagsgebet auf dem Tempelberg abhalten können. Am frühen Abend wurde das Zugangsverbot wieder aufgehoben. Es war das erste Mal seit 1967, dass der Tempelberg vollständig abgeriegelt wurde. An verschiedenen Orten im annektierten arabischen Ost-Jerusalem kam es daraufhin zu Zusammenstößen zwischen palästinensischen Jugendlichen und der israelischen Polizei – wie seit Ende Juni fast täglich. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin forderte ein hartes Durchgreifen gegen die palästinensischen Unruhestifter. Wirtschaftsminister Naftali Bennett, Chef der radikalen Siedlerpartei, sagte, mit den Schüssen im Herzen Jerusalems sei „eine rote Linie aus Blut“ überschritten worden.
"Eine rote Linie aus Blut" wurde überschritten
Der Tempelberg in der Altstadt Jerusalems ist einer der umstrittensten Orte der Welt. Er ist Juden und Muslimen heilig. Juden ist es jedoch verboten, auf dem Tempelberg zu beten. Die drittheiligste Stätte des Islam mit der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom gilt als einer der Brennpunkte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Seit Wochen kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Die Polizei bereitet sich auf mögliche Racheakte radikaler jüdischer Siedler vor. Barkat rief die Israelis auf, keine Selbstjustiz auszuüben. Der Chef der extrem rechten Siedlerpartei, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, sagte, mit den Schüssen im Herzen Jerusalems sei „eine rote Linie aus Blut“ überschritten worden. Für den heutigen Donnerstag haben rechtsorientierte jüdische Aktivisten zu einem Marsch zum Tempelberg-Gelände aufgerufen.
Heute wollen jüdische Aktivisten zum Tempelberg marschieren
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Mittwoch angekündigt, trotz der wachsenden Kritik an den Siedlungsprojekten in den besetzten Gebieten festhalten. "Ich werde keine Zugeständnisse machen, die unser Land in Gefahr bringen", sagte er im israelischen Parlament. Für Israel gehe es um die "Sicherheit und Einheit Jerusalems". Netanjahu reagierte damit auf einen am Dienstag im Netz veröffentlichten Artikel des US-Magazins "The Atlantic", in dem ein Mitarbeiter des Weißen Hauses ihn wegen der Baupläne kritisierte. "Er wird nichts tun, um eine Einigung mit den Palästinensern oder den arabischen Staaten zu erreichen", wurde der namentlich nicht genannte US-Regierungsvertreter in dem Bericht zitiert. Netanjahu sei ein "Feigling" und denke nur an seine politische Karriere.
Der israelische Regierungschef verbat sich die Verbalattacke. "Ich wurde einzig und allein angegriffen, weil ich den Staat Israel verteidige", erklärte Netanjahu. Am Montag hatte Netanjahu angeordnet, dass die Planungen für den Bau von 400 Wohnungen in der Siedlung Har Homa im Süden sowie von 660 Wohnungen in Ramat Schlomo im Norden von Ostjerusalem beschleunigt werden. Am Mittwoch (Ortszeit) beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat in New York auf einer Dringlichkeitssitzung mit dem brisanten Thema. "Die Besatzungsmacht Israel muss aufgefordert werden, umgehend und vollständig seine illegalen Siedlungsaktivitäten in den besetzten Palästinensergebieten einzustellen, einschließlich in Ost-Jerusalem", sagte der palästinensische UN-Botschafter Rijad Mansur bei der Sitzung, die von Jordanien beantragt worden war. Eine völkerrechtlich bindende Resolution gab es nicht.
Schweden gibt Anerkennung Palästinas bekannt
Unterdessen hat Schweden hat die Anerkennung Palästinas als eigenständigen Staat bekanntgegeben. "Die Regierung fällt heute die Entscheidung, den Staat Palästina anzuerkennen", erklärte Außenministerin Margot Wallström am Donnerstag. Schweden ist das erste westliche EU-Land, das diese Entscheidung getroffen hat.
Die Anerkennung sei ein "wichtiger Schritt", der die Rechte der Palästinenser auf Selbstbestimmung bestätige, schrieb Wallström in einer Stellungnahme in der Tageszeitung "Dagens Nyheter". Schwedens neuer Ministerpräsident Stefan Löfven hatte die Anerkennung Palästinas bei seiner Antrittsrede Anfang Oktober angekündigt. Israel hatte dies scharf kritisiert. Von den EU-Staaten erkannten bisher mit Malta und Zypern nur zwei kleinere und neuere Mitgliedsländer Palästina als Staat an. In London sprach sich das britische Unterhaus vor zwei Wochen ebenfalls für den Schritt aus. Das Votum ist aber nicht bindend für die Regierung.
Streit um Siedlungsbau eskaliert erneut
Der stellvertretende UN-Generalsekretär Jeffrey Feltman forderte Israel zur Einstellung des Siedlungsbaus auf, der gegen internationales Recht verstoße und einer Zweistaatenlösung widerspreche. Feltman sagte, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sei "alarmiert" über die neusten Pläne, die "wieder einmal ernste Zweifel an Israels Willen wecken, dauerhaften Frieden zu erreichen". Feltman forderte eine Deeskalation und betonte, beide Seiten könnten sich nach dem Gaza-Krieg mit mehr als 2000 getöteten Palästinensern keine neue Verschärfung der Spannungen leisten.
Der israelische UN-Botschafter Ron Prosor Vorwürfe zurück, die Bautätigkeit würde den Frieden gefährden. Er warf den UN zudem vor, eine palästinensische "Kampagne zur Verteufelung" seines Landes zu unterstützen. Zwar gebe es viele Sicherheitsrisiken im Nahen Osten, die israelische Siedlungspolitik gehöre aber nicht dazu. AFP/dpa