Krieg zwischen Israel und der Hamas: Der Scherbenhaufen des Benjamin Netanjahu
Nach dem Ende der Feuerpause mit der Hamas zeigt sich: Israels Premier Netanjahu fehlt ein Plan B, um den Gazakonflikt zu beenden. Das ermuntert die Hardliner in seinem Kabinett, ihre eigene Agenda zu verfolgen.
Offiziell ging es am Mittwochnachmittag bei der Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts um das Wiederaufflammen der Kämpfe mit der Hamas. Doch tatsächlich stand die Suche nach einem Ausweg aus der politischen Sackgasse im Mittelpunkt, in die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Mosche Jaalon das Land nach Ansicht vieler manövriert haben. Selbst in der Regierung herrscht die Meinung vor, der Premier stehe vor einem Scherbenhaufen.
Die Kritik von Politikern, Experten und Kommentatoren ist einhellig. Netanjahu hätte voraussehen müssen, dass ein für Israel akzeptables Waffenstillstandsabkommen unrealistisch sei und man mit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch die Hamas habe rechnen müssen. Außenminister Avigdor Lieberman und Wirtschaftsminister Naftali Bennett, als Hardliner bekannt, fordern nun lauter denn je, der Hamas militärisch den Garaus zu machen – und wissen weitere Minister sowie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Dies würde zwar den erneuten Einmarsch der Bodentruppen erfordern, hätte aber keine anhaltende Besatzung des gesamten Gazastreifens zur Folge, behaupten sie. Es genüge, vorübergehend bis zum Mittelmeer vorzustoßen und das Herrschaftsgebiet der Hamas zu zerstückeln. Netanjahu dürfte dieses Ansinnen allerdings aus zwei Gründen ablehnen: die zu befürchtenden eigenen Verluste und die negative Reaktion auch des befreundeten Auslandes.
Kein Wunder, dass zwei prominente Oppositionelle Netanjahu dazu drängen, endlich eine politische Lösung anzustreben. Der ehemalige Geheimdienstchef Dani Jatom verweist auf den zwölf Jahre alten, aber immer noch aktuellen Friedensplan der Arabischen Liga. Ex-Verteidigungsminister Shaul Mofas schlägt vor, Israel solle den Wiederaufbau des Gazastreifens nur im Tausch für die Zerstörung der Tunnel und die Demilitarisierung zulassen. Auf jeden Fall brauche man jetzt rasch eine vernünftige, vor allem dauerhafte politische Lösung.
Ähnlich sieht das Shimon Stein, Israels ehemaliger Botschafter in Deutschland. Er ist der Überzeugung, dass Netanjahu angesichts der Krise – im Vergleich zu einigen seiner Minister – bislang sehr zurückhaltend reagiert. „Viele wichtige Entscheidungen trifft der Ministerpräsident quasi im Alleingang, stellt seine Kabinettskollegen vor vollendete Tatsachen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Das wiederum gibt den Ministern die Gelegenheit, ihre eigene politische Agenda zu verfolgen – und macht sie so zu Konkurrenten.“ Vor allem Wirtschaftsminister Bennett und Außenminister Lieberman möchten sich, glaubt Stein, gleichermaßen als Hardliner profilieren, um das rechte Lager für sich zu gewinnen. „Das macht das Regieren in einer Krisenzeit nicht gerade einfacher.“
Aber dies sei eben nur ein Teil des Problems. Entscheidender ist nach Steins Auffassung die Frage: „Wie löst man die Krise, so dass wir nicht binnen kürzester Zeit wieder vor einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung stehen?“ Ein neues Denken sei erforderlich. Das bisherige, allein auf Konfrontation ausgerichtete, müsse als gescheitert betrachtet werden. „Wenn es um die Einheitsregierung von Fatah und Hamas geht, die Stärkung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas oder Grenzöffnungen für den Güterverkehr nach Gaza, muss die Antwort künftig wohl ein klares Ja sein.“ Nur so sei es möglich, den Rückhalt der Hamas in der Bevölkerung entscheidend zu verringern und so den Islamisten ihre Herrschaftsgrundlage zu entziehen.
Eine Gruppe von deutschen Nahostexperten setzt sogar auf den Dialog mit den Islamisten und fordert deshalb von der Bundesregierung, mehr Druck auf Jerusalem auszuüben. „Die Hamas bleibt, ungeachtet der Aktivitäten ihres militärischen Flügels, eine populäre politische Partei“, heißt es in einem offenen Brief zur Gazakrise. Dieser Austausch müsse die Forderung nach einer Anerkennung Israels im Zuge eines Friedensabkommens beinhalten. Gleichwohl sind die 90 Unterzeichner des Aufrufs davon überzeugt, dass der jüdische Staat die „destruktive Blockade“ des Gazastreifens aufgeben und Kompensation für die Zerstörung der dortigen Infrastruktur leisten müsse – und Deutschland solle dies einfordern. Auch sei es an der Zeit, dass die Bundesrepublik ihre Haltung bei Waffenlieferungen überdenke. „Wir bitten Sie, die restriktiven deutschen Rüstungexportbestimmungen auch im Nahen Osten auf alle Konfliktparteien anzuwenden sowie die militärische Zusammenarbeit mit Israel auf den Prüfstand zu stellen.“ Eine Bitte, der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel wohl kaum folgen werden.
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