Israel: Der Kampf um den Tempelberg
In Jerusalem stehen einige der größten Heiligtümer der Juden und Muslime. Derzeit entzündet sich dort wieder der alte Streit, wem das Areal des Tempelbergs in der Altstadt gehört. Vor 14 Jahren hat der Besuch Ariel Scharons die zweite Intifada ausgelöst.
Als hätten sie nur auf einen wie ihn gewartet, beginnen die Frauen zu rufen. „Allahu akbar“, hallt es über den Platz direkt vor dem Felsendom mit seiner goldenen Kuppel, als Akiva an diesem sonnigen Herbstnachmittag Haram al Scharif, den Tempelberg in Jerusalem, betritt. Die Rufe unterbrechen die idyllische Ruhe, übertönen das Vogelgezwitscher. Mit jedem Schritt, den Akiva in Begleitung von zwei Polizisten geht, stimmen mehr und mehr Muslime auf dem Tempelberg mit ein. „Allahu akbar“ – Gott ist größer. Ein Moslem schimpft auf Hebräisch: „Nur ein Dieb muss sich hier beschützen lassen.“
In den Augen der Muslime ist der Jude Akiva, ein 25 Jahre alter Mann mit Kippa, ein Dieb, der ihnen den Tempelberg wegnehmen möchte. Sie sehen seinen Besuch als Provokation. Die Polizei begleitet ihn zur Sicherheit. Denn mit den zunehmenden Besuchen von Juden auf dem Tempelberg in den vergangenen Monaten steigt auch die Zahl der Krawalle.
Für beide Seiten ein Heiligtum
Der Nahostkonflikt tritt hier inmitten der Altstadt Jerusalems in seiner reinsten Form zutage: Muslime und Juden streiten sich darüber, wer das Recht auf das Stückchen Land hat, das für beide ein heiliger Ort ist. Hier steht der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee, der drittheiligste Ort für Muslime. Hier soll Prophet Mohammed seine Himmelsreise angetreten haben. Für religiöse Juden ist es der Ort, an dem der erste und der zweite jüdische Tempel standen, letzterer wurde im Jahr 70 nach Christus von den Römern zerstört.
Einige religiöse Juden wollen deshalb auch an bestimmten Orten auf dem Tempelberg beten – was Nicht-Muslimen generell verboten ist. „An jedem anderen Ort könnte man fragen: Warum sollen nicht auch Nicht-Muslime dort beten dürfen? Aber man muss es im Kontext des gesamten Konfliktes sehen. Es geht hier um Politik, nicht um das Recht auf Gebet“, erklärt Aviv Tatarsky von Ir Amim, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Koexistenz in Jerusalem einsetzt.
Abbas will den Siedlern den Zutritt verwehren
Der Status quo lautet: Die jordanische Waqf, eine Art muslimische Stiftung, verwaltet den Tempelberg, die israelische Polizei kümmert sich um die Sicherheit. Anfang des Jahres wurde in der Knesset über den Status quo auf dem Tempelberg diskutiert. Muslime werten es als Zeichen dafür, dass ihnen der Tempelberg weggenommen werden könnte. Nicht umsonst sprach Palästinenserpräsident Mahmud Abbas deshalb vergangene Woche davon, dass den „Siedlern“ der Zutritt verweigert werden sollte und dass diese kein Recht hätten zu kommen und den Ort zu entweihen. Abbas meinte nicht die Ultraorthodoxen mit ihren langen, schwarzen Mänteln und den großen Hüten, sondern die Nationalreligiösen mit gehäkelten Kippot und T-Shirts. Sie sind nicht nur religiös, sondern auch nationalistisch. „Der Tempel ist Teil des Judentums. Deshalb zerbrechen wir bei Hochzeiten Glas. Wir erinnern damit an die Zerstörung des Tempels. Es ist also ein legitimes Ziel, dass der Tempelberg wieder jüdisch wird“, erklärt Yisrael Medad von der Organisation El Har HaShem, die sich seit den 70er Jahren genau dafür einsetzt.
Die Nationalreligiösen provozieren
Die Nationalreligiösen wollen Präsenz zeigen, fast täglich kommen sie mittlerweile auf den Tempelberg. Sie sind in Israel längst keine Randgruppe mehr, sondern gewinnen auch in der Knesset immer mehr Unterstützung. So sorgen Politiker aus dem rechten Lager für mediale Aufmerksamkeit, wenn sie über den Tempelberg spazieren. Doch Aktionen wie diese sind äußerst heikel: Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg im Jahr 2000 war ein Funke, der die zweite Intifada mitentfachte. Aus Sicherheitsgründen ist es jungen Muslimen deshalb an bestimmten Tagen untersagt, den Tempelberg zu besuchen.
Vor allem an hohen Feiertagen müssen muslimische Männer unter 50 Jahren draußen bleiben. Der 25-jährige Jamal ist davon betroffen. „Letzte Woche haben sie da vorne Barrieren aufgebaut“, sagt er. Es war das jüdische Fest Sukkoth, an dem viele jüdische Gläubige den Tempelberg besuchen. „Sie haben uns nicht reingelassen. Aber wir lassen uns nicht davon abhalten, es trotzdem zu versuchen. Wir haben dann vor den Barrieren gebetet.“ Nicht selten fliegen auch Steine. Die Polizisten, die die Eingänge zum Tempelberg bewachen, sind für Krawalle gerüstet. Sie tragen Schlagstöcke bei sich, Schutzschilder stehen bereit. Die jungen Muslime sind frustriert: „Es wird immer schlimmer. Sie provozieren uns und wollen uns den Tempelberg wegnehmen. Aber das ist unser Heiligtum.“
Und so ist der Besuch von Akiva auch ein nationalistischer Akt, der die Muslime verärgert. „Raus hier“, ruft ihm ein älterer Mann beim Vorbeigehen entgegen. „Ruhe“, kontert einer der Polizisten, der Akiva begleitet. Akiva aus der Siedlung Kiryat Arba im Westjordanland besucht den heiligen Ort zum ersten Mal. In einer Reihe mit Touristen hat er vor der Mughrabi Brücke neben der Klagemauer gewartet – dem einzigen Zugang für Nicht-Muslime, der nur zu bestimmten Zeiten geöffnet ist. „Es ist mein Geburtstag nach jüdischem Kalender, deshalb wollte ich endlich herkommen“, sagt er.