Ukraine nach Maidan-Bewegung: "Systematische Verschleppung" nach der Revolution
Die Maidan-Aktivisten kämpften für eine andere Ukraine, doch ein Jahr nach der Revolution schreitet der Umbau des Landes nur langsam voran. Kritiker sprechen von „systematischer Verschleppung“.
Vor einem Jahr hat die erste Regierung von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk ihre Arbeit aufgenommen. Vor seiner Wahl zum Regierungschef hatte die Ukraine die schwersten politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte erlebt. Übergangsregierungschef Jazenjuk versprach seinen Landsleuten, das Land komplett umzukrempeln. Doch dieser Prozess verläuft schleppend.
Die Forderungen der Demonstranten auf dem Maidan sahen den Kampf gegen die Korruption, die Neustrukturierung des Energiemarktes sowie einen Umbau der Verwaltung nach europäischem Vorbild vor. Mittlerweile sind die Gesetze für diese Vorhaben weitgehend verabschiedet und größtenteils in Kraft getreten. Doch an der Umsetzung hapert es.
Die größten Probleme scheinen der Energiemarkt und die Änderungen in Justiz und Verwaltung zu sein. In der Politik gibt es nach wie vor einflussreiche Gruppen, die diesen Prozess bremsen. Selbst Regierungsmitglieder wie Energieminister Wladimir Demtschschin kritisieren den immer noch starken Einfluss der Oligarchen auf die Politik. In einem Interview mit dem ukrainischen Wochenmagazin „Fokus“ klagte der Minister: „In den nächsten Jahren müssten 20 Prozent der Arbeitsplätze der Bergarbeiter wegfallen, 52 000 Menschen verlören ihren Job, doch die Eigner machen nicht mit.“ Gemeint sind Großindustrielle wie Rinat Achmetow und Igor Kolomoiskjy. Die reichsten Männer des Landes verfügen über „ihre“ Abgeordneten im Parlament und üben damit stetigen Einfluss aus.
Doch die Oligarchen tragen die Schuld nicht alleine. „Ministerpräsident Arseni Jazenjuk steht im Wege, anstatt zu unterstützen“, beklagt sich Energieminister Demtschschin auffallend offen über den Regierungschef.
Die gleiche Kritik äußerte die größte ukrainische Tageszeitung „Segodna“ an Präsident Petro Poroschenko. Er habe es sich in seinem Amtssessel bequem gemacht und bringe mit immer neuen Slogans die Bevölkerung mehr und mehr gegen sich auf. Den zehn zentralen Reformprojekten stehe seit Amtsantritt von Poroschenko im Juni 2014 der Krieg in der Ostukraine gegenüber, doch der könne nicht alle Versäumnisse entschuldigen. Ohne den Druck der Geldgeber wie des Internationalen Währungsfonds, der EU und der USA wären die Reformvorhaben wahrscheinlich noch nicht einmal angeschoben, schreibt die Zeitung.
Keine spürbaren Verbesserungen
Auch Sozialminister Pawel Rozenko, Mitglied der Udar-Partei von Vitali Klitschko, beschwert sich darüber, dass der Umbau der Sozialsysteme nicht vorangeht. Eigentlich habe die Regierung alle notwendigen Gesetze auf den Weg gebracht, um eine Sozialversicherung zu schaffen, von deren Zahlungen die Menschen tatsächlich leben können. „Doch nach den Wahlen im Oktober 2014 meldeten dann die örtlichen Behörden Änderungsbedarf an, der Prozess dauert bis heute an. Ich würde fast von systematischer Verschleppung sprechen.“
Ein ähnliches Schicksal droht der Behörde zur Bekämpfung von Korruption. Seit die zweite Regierung Jazenjuk im Dezember 2014 ihre Arbeit aufgenommen hat, wird offenbar alles getan, um diesem Amt im Vorfeld alle Zähne zu ziehen. Seit Präsident Poroschenko das Projekt unter seine Fittiche genommen hat, wächst die Zahl der Kritiker, die davor warnen, dass der Kampf gegen das Hauptübel der ukrainischen Gesellschaft nicht aufgenommen werden soll. Erst nach massiver internationaler Kritik wies Finanzministerin Natalia Jaresko im Haushalt für 2015 der neu zu schaffenden Behörde Mittel in ausreichender Höhe zu. Eigentlich sollte sie ihre Arbeit bereits Ende 2014 aufgenommen haben.
Stattdessen wird seit Monaten ein Behördenchef gesucht. In einem aufwendigen Verfahren soll ab dieser Woche aus mehr als 150 potenziellen Kandidaten ausgewählt werden. Kritiker wie der Bürgerrechtler Vitali Schabunin bemängeln, dass die Administration des Präsidenten sich zu viel Mitspracherecht herausnehme.
Nicht nur viele Bürger, sondern auch frühere Maidan-Aktivisten wie Schabunin wenden sich von der Regierung ab. „Wir haben nicht das Gefühl, dass man noch länger an dem Input von Bürgergruppen interessiert ist. Seit den Parlamentswahlen ist die ukrainische Politik wieder das, was sie in den vergangenen 20 Jahren war: ein geschlossener Verein, in dem Oligarchen und Abgeordnete das Land unter sich aufteilen. Die Bevölkerung hat nicht mitzureden“, lautet Schabunins bitteres Fazit.