Linken-Parteitag: Sturm in der Echokammer
Die Linkspartei betont, dass sie auch regieren kann – und streitet, ob sie das will. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer meint: „Selbstvergewisserung wird nicht reichen“ für die Bundestagswahl.
Gut vier Stunden des Linken-Bundesparteitages in Hannover sind rum, da platzt Klaus Lederer der Kragen: „Wir werden nicht gewählt, wenn wir rumjammern“, sagt Lederer, langjähriger Linken-Chef in Berlin und Kultursenator der rot-rot-grünen Landesregierung in der Hauptstadt. Und er spitzt weiter zu: „Manche unserer Debatten, die ich seit 25 Jahren kenne, die wirken auf mich wie selbst verstärkende Resonanzen in der Filterblase, in der Echokammer.“ Der Berliner Regierungs-Linke spricht von „Schulterklopfen über die eigene Großartigkeit, frei von jedem gesellschaftlichen Widerspruch“ und schließt: „Ich habe das satt. Selbstvergewisserung wird nicht reichen.“
Was ist geschehen? Die Linke regiert in drei Bundesländern mit – Brandenburg, Berlin und Thüringen. In Erfurt stellt sie mit Bodo Ramelow sogar den Ministerpräsidenten. Für den Bund wollen alle führenden Spitzenpolitiker die Konstellation nicht ausschließen, auch wenn sie nach dem Abklingen des Martin- Schulz-Hypes als unwahrscheinlich gilt und #r2g, wie das Bündnis in der Kurzformel genannt wird, von Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sogar schon für „so gut wie tot“ erklärt wurde.
Manchen der knapp 600 Delegierten aber ist so gut wie tot noch nicht tot genug. Der Alt-Linke Wolfgang Gehrcke, der im Herbst nicht mehr für den Bundestag kandidiert, und die Wortführerin der Kommunistischen Plattform (KPF), Ellen Brombacher, hatten vor dem Parteitag in der linken Zeitung „Junge Welt“ einen Brandbrief veröffentlicht und Widerstand gegen alle rot-rot- grünen Planspiele angekündigt. Ihr Misstrauen bezieht sich namentlich auf den Thüringer Regierungschef Ramelow: Dieser verbreite mit anderen Protagonisten der Partei die Illusion, „mit einer rot-rot-grünen Bundesregierung sei ein grundlegender Politikwechsel möglich“. Mit „völlig illusorischen Träumereien“ aber müsse Schluss sein – angesagt sei ein „kräftiger Oppositionswahlkampf“.
Auch die Linken-Vorsitzende Katja Kipping widerspricht in Hannover vehement: „Machen wir uns nicht kleiner als wir sind“, ruft sie in die Eilenriedehalle des Congress Centrums. Die Linke dürfe sich nicht selber auf die Oppositionsrolle reduzieren. Auch einen Regierungswahlkampf will Kipping ausdrücklich nicht planen, und sie wendet sich auch gegen einen „Lagerwahlkampf der alten Art“, bei dem „mögliche Koalitionspartner sich schon vorher zueinander bekennen wie Verlobte vor der Hochzeit“. Aber Kipping will SPD und Grüne nicht aus der Verantwortung entlassen. Der dort gängigen These, die außenpolitischen Leitlinien der Linken seien für SPD und Grüne unzumutbar, widerspricht sie: „Verlässliche Friedenspolitik wäre auch für SPD und Grüne eine echte Chance.“ Konkret: ohne Kriegseinsätze und ohne Rüstungsexporte.
„Glühende Europäerin“ nennt Kipping sich selbst in ihrer Rede, und warnt – womöglich sogar an die Adresse eigener Genossen wie Wagenknecht und deren Gatten, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine: Es wäre die schlechteste Antwort überhaupt, auf die Krise der EU mit einem Rückzug ins Nationale zu reagieren. „Was bitteschön hätten wir gewonnen, wenn die EU auseinanderfällt?“
Gegen „Ausschließeritis“ und „Anbiederitis“
Es mutet wie eine Gespensterdebatte an: Alle aktuellen Umfragen lassen eine rot-rot-grüne Mehrheit – die derzeit im Bundestag noch vorhanden ist – nach der Wahl am 24. September nicht erwarten. Aber geführt wird sie doch: Anja Stoeck, Spitzenkandidatin der Linken bei der Niedersachsen-Wahl im Januar 2018, wendet sich sowohl gegen „Ausschließeritis“ wie auch gegen „Anbiederitis“. KPF-Spitzenfrau Brombacher meint, ein klarer Oppositionswahlkampf sei auch notwendig, um den „Demagogen der AfD keine Möglichkeit“ zu bieten, „sich als wahre Oppositionskraft darzustellen“. Der Bundestagsabgeordnete Gehrcke bekommt Applaus für seine Bemerkung: „Wir sollten uns nicht an diesen komischen Schulz binden und damit absacken.“
Aber auch die Berliner Linken-Chefin Katina Schubert bekommt Beifall für ihren Hinweis: „Wir schaffen in Berlin eine Menge und zeigen, dass Regierungen auch funktionieren können.“
Geht es nach der Parteiführung, ist klar: Rot-Rot-Grün darf nicht aus den Augen verloren werden. Ähnlich wie Kipping kritisiert auch ihr Ko-Chef Bernd Riexinger die SPD dafür, dass sie das mehrheitlich anders sehen: „Ja geht’s noch?“, fragt Riexinger, weil Ralf Stegner und Hannelore Kraft vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen das Ziel ausgaben, die Linke aus den Landtagen zu halten. Wichtigstes Ziel sei, die AfD aus den Parlamenten herauszuhalten: „Es geht doch um einen Richtungskampf gegen die Rechten – und nicht gegen die Linken!“. Die SPD aber habe „leichtfertig und verantwortungslos ihr bisschen Mut über Bord geworfen, anstatt die Segel zu hissen für einen Politikwechsel“.
Am Samstagabend hielt dann auch der ehemalige Spitzenkandidat Gregor Gysi seine Rede:
Spitzenkandidatin Wagenknecht wollte am Sonntag zu den Delegierten sprechen. Dann soll auch das Wahlprogramm verabschiedet werden – für das 1223 Änderungsanträge gestellt wurden.