Berlins Kultursenator Klaus Lederer: Bücher, Bumerang, Bauchredner
Ein Senator on tour: Klaus Lederer von der Linken macht sich auf durch die Berliner Bezirke. Berlins oberster Kulturpolitiker will die Basis stärken, sucht den „Dialog vor Ort“. Erste Station: Spandau.
Auf dem Programm stehen eine Jugendeinrichtung, ein Kulturhaus, eine Bibliothek, zwei kommunale Galerien und ein Burgmuseum. Nicht eben die Kategorie von Institutionen, die man in Berlin Leuchttürme nennt. Aber Klaus Lederer sucht ja auch nicht den großen Auftritt, das Rampenlicht. Sondern er will, wie die Fußballer sagen würden, dahin gehen, wo es wehtut. In die Bezirke. Und damit die Messlatte für Herausforderungen gleich mal hochhängt, startet er in Spandau.
„Kulturdialog vor Ort“ heißt die Überschrift dieser Tour, mit der sich der Senator in den kommenden Monaten einen Überblick verschaffen will, was wirklich gebraucht wird in der Stadt. Geld, schon klar. Aber vielleicht geht’s ja ein bisschen genauer. Die erste Station des Tages liegt in einer Wohnsiedlung, in der die Straßen nach Ruhrpottstädten benannt sind. Gelsenkirchen, Recklinghausen, Unna. Seit fast 30 Jahren existiert die Jugendtheaterwerkstatt Spandau, „ein Jugendkulturzentrum in der besonderen Form eines Jugendtheaters“, wie es in der eigens für diesen Tag gefertigten Präsentationsmappe heißt. Hier gibt es Aufführungen, Festivals, generationenübergreifende Projekte, Kursangebote, kurzum: wichtige Arbeit unterhalb des allgemeinen Aufmerksamkeits-Radars.
Lederer und seine Entourage kommen pünktlich, die Leiterin Anja Kubath führt ihn durchs Haus. Theatersaal, Tonstudio, Kostümfundus, Holzwerkstatt. „Werden hier auch Bühnenbilder gebaut?“, will Lederer wissen. „Ja, und Bumerangs. Wir geben auch Bumerang-Kurse“. Der Senator nickt und sagt Sätze wie: „Ich habe früher selber mal in einer Jugendfreizeitstätte gearbeitet, ich weiß, wie das ist“. Kubath geleitet ihn derweil in einen verspiegelten Saal, in dem Tänzer und Schauspieler proben können. „Kathi Angerer hat früher mit mir gespielt, im Sommernachtstraum“, erzählt sie. „Nicht schlecht“, lobt Lederer. Die Kathi, die kennt er. Auch wenn die Volksbühne gerade ziemlich weit weg zu sein scheint.
Die Jugendtheaterwerkstatt bräuchte einen langjährigen Nutzungsvertrag
Kurz darauf sitzt die Runde beim Kaffee zusammen. „Es gibt auch Kuchen“, wird der Senator ermuntert, „wer weiß, wann Sie das nächste Mal was zu essen bekommen?“ „Um 13 Uhr 45“, entgegnet Lederer ungerührt. Er kennt seinen Zeitplan. Also, dann mal ans Eingemachte. Die Jugendtheaterwerkstatt hat Bedarf. Sie bräuchte einen langjährigen Nutzungsvertrag, momentan ist sie theoretisch binnen zwei Wochen kündbar. Und sie wünscht sich die Anerkennung als Kulturstätte, um mehr Förderung zu bekommen, mehr Anträge stellen zu können. Das Haus wird mit lediglich 120 000 Euro aus der Jugendabteilung des Bezirks subventioniert. Lederer hört sich das alles an, dann sagt er: „Ich würde den sicheren Hafen der Jugendhilfe trotzdem nicht aufgeben, auch wenn dort manchmal Ebbe herrscht.“.
Es gibt den Politikertypus des Traumverkäufers, der viel lächelt und für jeden ein Versprechen hat. Lederer verkörpert so ziemlich das Gegenteil. Seit dem 8. Dezember ist der Jurist als Kultursenator im Amt. Den Posten gab es ja lange nicht in Berlin. Als Kulturstaatssekretäre wirkten zuvor der mondäne André Schmitz und der joviale Tim Renner, grundverschiedene Charaktere, aber jeweils mit klarer Agenda.
Was Lederer will, ist noch nicht wirklich erkennbar. Mit dem Antritt des Mannes von der Linken werde Kulturpolitik ideologisiert, ging die Befürchtung anfänglich bei nicht wenigen Kulturschaffenden. Dafür gibt es keine Anzeichen. Egal, ob in den großen Institutionen oder in der Freien Szene, kaum jemand spricht nach den ersten Monaten schlecht über ihn, allerdings ist auch kaum jemand entflammt. Man befindet sich noch immer in der wechselseitigen Abtastphase.
Im Kulturhaus Spandau, nahe der Einkaufszone, gibt es einen Selbsthilfetreff für Alkoholiker, Übergewichtige und einsame ältere Menschen; einen nicht barrierefreien Galerieraum, in dem ab kommender Woche Behindertenwerkstätten aus dem Bezirk ausstellen; ein Programmkino und ein Theater mit 144 Plätzen. Kulturhausleiterin Britta Richter steht auf der Bühne und führt Dias vergangener Events vor. Zaubershows, Freiluftspektakel, Kinder am Käsebrötchenstand. Bald, erzählt sie, tritt hier Sascha Grammel auf, „der berühmte Bauchredner“. Der habe früher die Werbezettel für seine Shows selbst auf den Klos der Altstadtkneipen in Spandau geklebt, „heute kennt ihn jeder, und er kommt immer noch her.“
Lederer sagt an diesem Tag oft "Wow!" und "Respekt!"
Kultursenator, das versteht man in diesem Moment, ist ein Job mit extremem Glamourgefälle. Hier die große Staatsopern-Premiere, dort Sascha Grammel, der berühmte Bauchredner.
Das Kulturhaus Spandau stemmt 300 Veranstaltungen im Jahr, die Außenspielstätten dazugenommen, und das mit dreieinhalb festen Stellen. „Und einem Etat von einer Million!“, ruft Bezirksstadtrat Gerhard Hanke von der CDU in den Raum, ein hemdsärmeliger Lokalmatador. „War Spaß“, schiebt er hinterher. „Gar kein Etat“. Lederer sagt „Wow“, und „Respekt“, häufig gebrauchte Wörter an diesem Tag. Er hat in den bedingungslosen Anerkennungs-Modus geschaltet, ein Hoch auf die Bezirksarbeit, aber was soll er auch sagen?
Nächste Station: Zentralbibliothek. Oben im Lesesaal verteilt Heike Schmidt Infobroschüren und berichtet von einer Machbarkeitsstudie über geplante Umbau- und Aufrüstungsmaßnahmen in ihrem Haus. Mehr digitale Angebote sollen her, mehr PC-Plätze, das Gesamtvolumen der Pläne beläuft sich auf rund vier Millionen Euro. „Von Ihnen hätte ich gern 600 000 Euro“, flötet die Bibliothekarin Richtung Lederer. Der verzieht keine Miene. So was hört er jetzt vermutlich jeden Tag. Dafür lauscht er geduldig den detailreichen Schilderungen aus dem Bücherei-Alltag. Aha, es gibt einen Schwerpunkt Leseförderung für Kitas, „Respekt“, die Bibliothek hat einen Heimlieferservice für ältere Menschen, interessant, man würde gerne zur „Open Library“ mit Rückgabemöglichkeit auch außerhalb der Öffnungszeiten, aber die böse Gewerkschaft schießt quer und verlangt eine Technologie-Folgekosten-Abschätzung.
Je trockener die Materie, desto gebannter scheint Klaus Lederer. Überbezirkliche Bibliothekskooperationen, Module für die Besetzung der Musikschulleitungen, Bedarfskalkulationen hier, Kosten-Leistungsrechnungen dort – damit kennt er sich aus.
Im Historischen Keller läuft Lederer etwas verloren durch die Gewölbe
Er hat seine Zahlen und Fakten zur Hand, er erklärt den Leuten: „Wir wollen als Kulturverwaltung nicht nur Förderausschüttungsinstitution sein.“ Wenn er, wie kürzlich bei der Konferenz „Theater und Netz“, einen Innovationsfonds ankündigen kann, ist er in seinem Element. Welche Kultur er will, bleibt abzuwarten.
In der Galerie im Historischen Keller, wo Katharina Pöhlmann und Adrian Faes ausstellen, ein niederländisch-deutsches Künstlerpaar, läuft Lederer ein bisschen verloren durch die Gewölbe. Faes fertigt Objekte aus kleinen Plastiksteinchen, die, wie erläutert wird, „von Zerbrechlichkeit erzählen“. Der Senator lässt sich nicht anmerken, was er von Zerbrechlichkeit hält. Er mustert alles mit dem gebotenen Interesse, dann lobt er die in den Siebzigern erneuerte Architektur des Kellers, der im 15. Jahrhundert mal zur Bürgermeisterresidenz gehörte. „Stabil gebaut“, sagt Lederer. „Wow“.