Schottland will Brexit nicht mitmachen: Sturgeon kündigt Antrag auf Unabhängigkeitsreferendum an
Die Schottische Regierungschefin sieht den Wahlerfolg der SNP als Votum für Selbstbestimmung. Ein Telefonat zeigt den Dissens mit Premier Boris Johnson.
Im Streit um ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Schottland sind die Regierungen in London und Edinburgh auf Kollisionskurs. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte einen formellen Antrag auf ein neues Referendum an. Premierminister Boris Johnson machte seine Ablehnung in einem Telefongespräch mit Sturgeon deutlich.
Die Schottische Nationalpartei (SNP) hatte bei der Parlamentswahl am Donnerstag deutlich zugelegt. Sie gewann 48 der 59 Sitze in Schottland. Das sei ein neues Mandat für ein Referendum, sagte Sturgeon am Wahlabend. Sie braucht dafür grünes Licht aus London. Es gehe nicht darum, Boris Johnson oder einen anderen Politiker in Westminster um Erlaubnis zu bitten, sagte sie. Sie mache lediglich das demokratische Recht der Schotten geltend, über ihre eigene Zukunft zu bestimmen.
Johnson will davon aber nichts wissen. „Der Premierminister hat klar gemacht, dass er gegen ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist“, sagte ein Sprecher am Amtssitz Johnsons nach dem Telefonat mit Sturgeon von Freitagabend. „Er fügte hinzu, dass das Ergebnis 2014 klar war und respektiert werden sollte.“
Sturgeon antworte auf Twitter umgehend: „Und ich habe klar gemacht, dass das Mandat der SNP, den Menschen eine Wahl zu ermöglichen, respektiert werden muss.“
Die Schotten waren schon immer Remainer
Im Jahr 2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen die Abspaltung vom Vereinigten Königreich (England, Schottland, Wales, Nordirland) gestimmt. Sturgeon argumentiert aber, die Schotten hätten sich damals mehrheitlich für einen Verbleib im Königreich und in der EU ausgesprochen. Mit dem Votum für einen EU-Austritt 2016 habe sich die Lage geändert.
Die Landesteile Schottland und Nordirland hatten bereits beim Referendum im Juni 2016 mehrheitlich gegen den EU-Austritt gestimmt. Während in England mehr als 53 Prozent der Wähler für den Brexit stimmten, waren in Schottland 62 Prozent für den Verbleib. In Nordirland wäre eine Mehrheit von knapp 56 Prozent lieber Teil der EU geblieben.
So ging Sturgeon in ihrer Rede auch nicht auf das Für und Wider des Brexits ein, sondern thematisierte in erster Linie die Selbstbestimmung Schottlands. „Zweifelsohne ist die Zukunft, die von der Mehrheit in Schottland erwünscht wird, ganz anders als das, was von der Mehrheit im restlichen Vereinigten Königreich gewählt worden ist“. Dass die überwältigende Mehrheit der Menschen in Schottland in der EU bleiben wolle, habe sich beim Referendum 2016, bei der Parlamentswahl 2017 und bei der EU-Wahl 2019 gezeigt und sei bei der aktuellen Wahl noch einmal deutlich bestätigt worden, sagte Sturgeon. „Ich sehe ein, dass er [Boris Johnson] ein Mandat für einen Brexit in England hat. Aber er hat kein Mandat, Schottland aus der EU zu führen.“
Bei der Parlamentswahl am Donnerstag hat die SNP innerhalb von Schottland 45 Prozent der Stimmen gewonnen, 8 Prozent mehr als bei der letzten Unterhaus-Wahl im Juni 2017. Wegen des Mehrheitswahlrechts gehen in Schottland sogar 80 Prozent der Sitze an die SNP. Mit Blick auf ganz Großbritannien macht der Anteil der Schottischen Nationalpartei allerdings nur 3,9 Prozent der Stimmen aus. (Tsp, dpa)