Migration: Studie: Asylzentren in Afrika sind chancenlos
Die EU möchte über Asyl und Visa lieber fern der eigenen Haustür entscheiden. Wissenschaftler vermuten, dass das auch weiter nicht funktionieren wird.
Migrationszentren außerhalb Europas werden die Wanderung Richtung EU nicht vermindern. Zu diesem Schluss kommt ein aktuelles Papier der Bertelsmann-Stiftung, das vor allem Lageberichte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ausgewertet hat. Solche Zentren aufzusuchen, wäre für Schutzsuchende nur dann eine Alternative zur gefährlichen Flucht übers Mittelmeer, wenn sie dadurch Möglichkeiten sähen, ihre Lage zu verbessern, schreiben die Autoren des Papers „Todesfalle Mittelmeer“ Klaudia Wegschaider und Mehrdad Mehregani. Für Menschen mit Schutzbedarf nach internationalem Recht – zum Beispiel Kriegsflüchtlinge – gelte das nur, „wenn sie Aussicht auf Neuansiedlung in aufnahmebereite Staaten hätten“. Ob etwa die europäischen Staaten dafür genügend Plätze zur Verfügung stellen würden, sei aber fraglich. Noch weniger attraktiv seien Asylzentren für die, die keine Aussicht auf solchen internationalen Schutz hätten – der Text spricht neben Arbeits- auch von „Überlebensmigranten“. Sie würden sofort als nicht schutzberechtigt identifiziert und zurückgeschickt oder aber, wenn dies nicht möglich sei, auf Dauer in den Zentren festgehalten, die so „de facto Haftlager würden“.
Afrika fehlen Geld, Personal - und Vertrauen zur EU
Die Einrichtung externer Zentren, vor allem in West- und Nordafrika ist eine alte Idee der Europäer, seit Dänemark sie Mitte der 1980er Jahre erstmals vorschlug. Vor vier Jahren brachte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière „Willkommens- und Ausreisezentren“ in die EU-Debatte. Wenn im Juli Österreich die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, dürfte die rechte Regierung in Wien ihren Vorschlag auf die Tagesordnung setzen. In sogenannte Rettungszentren sollen Migranten gebracht werden, die im Mittelmeer aufgefischt wurden.
Bisher scheiterte solche Projekte daran, dass es dafür keine Mehrheit in der Europäischen Union gab; die Bertelsmann-Studie weist darauf hin, dass auch mögliche afrikanische Partnerländer kein Interesse hätten: Woran schon Europas normalerweise funktionstüchtige Polizeien scheiterten, wäre für sie erst recht nicht zu stemmen. Sie müssten zudem fürchten, selbst verstärkt Fluchtziel zu werden. Zudem fehle nach jahrzehntelangen schlechten Erfahrungen mit europäischer Migrationspolitik „oft das nötige Vertrauen“ zur EU. Fazit der Studie: „Die Einrichtung externer Asylzentren kann nicht einlösen, was sie verspricht.“
Mehr aufnehmen, aber auch Nachbarn der Krisenstaaten stärken
Mehregani und Wegschaider schlagen stattdessen eine gemischte Lösung vor. Europa solle einerseits mehr „Resettlement“-Plätze anbieten, das heißt die dauernde Niederlassung Geflüchteter, und mehr Visa für Arbeitsmigranten, „nicht nur für Hochqualifizierte“. In Resettlement-Programmen arbeiten Aufnahmeländer mit den UN zusammen, die besonders Schutzbedürftige vor Ort auswählen. Das letzte Wort hat aber der Aufnahmestaat. Drittens gälte es, die Erstaufnahmestaaten zu stärken, damit Geflüchtete, die zunächst in der Nachbarschaft ihrer Herkunftsländer strandeten, schon dort „auf ein Leben in Sicherheit Selbstständigkeit und Würde“ hoffen könnten. Internationale Hilfe sei vor allem nötig, damit Bildungs- und Gesundheitssysteme dieser Länder besser würden und sie Arbeit anbieten könnten. Ob Geld von außen nicht Korruption in den Ländern befeure oder lokale Märkte austrockne, wie Entwicklungshilfekritiker oft anführen, sei „eine offene Frage“, sagte Ko-Autor Mehregani dem Tagesspiegel. „Geflüchtete brauchen aber schon in den Erstaufnahmestaaten Hilfe und Perspektiven.“ Und am Beispiel Türkei sehe man „Anhaltspunkte dafür, dass die internationale Unterstützung wirken kann. Laut UNHCR dürfen syrische Flüchtlinge dort, anders als zuvor, inzwischen arbeiten, und die Mehrheit der Kinder geht zur Schule“. Für all dies, so Mehregani, brauche man keine neuen Asylzentren. Es gebe bereits bewährte UNHCR-Strukturen, die man stärken sollte.
Weniger Ankömmlinge, aber höhere Todesrate
Zweifel meldet das Bertelsmann-Papier auch an den neuerdings geringeren Zahlen toter Flüchtlinge im Mittelmeer an – und kritisiert damit die Abschottungspolitik der EU. Zwar sei die Zahl der Toten von mehr als 5000 im Jahr 2016 im Jahr darauf auf über 3000 zurückgegangen. Weil sie aber wieder verstärkt auf die längere und gefährlichere zentrale Mittelmeerroute von Libyen nach Italien angewiesen seien, steige seit 2015 der Anteil derer, die diesen Weg nicht überlebten, kontinuierlich: „Von 1000 Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchteten, starben im Jahr 2015 vier Personen, 2017 waren es bereits 18 Menschen.“ Allein in den ersten Monaten dieses Jahres (Stand 21. Mai) verloren schon 23 Menschen ihr Leben.
Einen einigermaßen verlässlichen Überblick gibt es nur von den Totenziffern im Mittelmeer. Wieviele Migranten auf dem Weg dorthin ums Leben kommen, ist unbekannt. Im vergangenen Jahr wurde durch Berichte der Vereinten Nationen, von Hilfsorganisationen und schließlich durch Aufnahmen des US-Senders CNN bekannt, dass viele von ihnen in Libyen festgehalten, gefoltert, versklavt oder getötet werden. Die EU rüstet vor allem seit dem letzten Jahr die libysche Küstenwache aus, um Migranten von der Überfahrt ab Libyen abzuhalten. Italien geht seit Sommer 2017 zudem gegen NGOs vor, die Flüchtlinge im Mittelmeer auf eigenen Schiffen aufnehmen.
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