Verkehrspolitik: Streit um den Autobahnausbau
Die große Koalition will mehr Macht für den Fernstraßenbau. Das verärgert die Länder. Vor allem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer ist dagegen
Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer sind nicht die engsten politischen Freunde. Bei den Bund-Länder-Finanzen und der Erbschaftsteuer hat sich der bayerische Ministerpräsident im abgelaufenen Jahr dem Bundesfinanzminister in den Weg gestellt. Beide Male musste Schäuble zurückrudern, denn Seehofer gehört als CSU-Chef auch zum obersten Dreigestirn der Koalition. Nun aber hat Schäuble bei einem neuen Projekt, das Seehofer ablehnt, auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) an seiner Seite.
Es geht um den Ausbau der Infrastruktur, ein Vorhaben, das die große Koalition forciert. Dazu will sie mehr Macht für den Straßenbau, vor allem bei den Autobahnen. Mit im Boot ist, sogar federführend, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), Seehofers politisches Ziehkind. Der sich anbahnende Streit dürfte daher in den nächsten Monaten zu einer spannenden Angelegenheit werden – zumal Schäuble eine Art Ultimatum ausgesprochen hat.
Eigentlich Sache der Länder
Im Kern geht es um die Gründung einer Bundesautobahngesellschaft, ein Zentralisierungsprojekt, das in den Ländern und vor allem in Bayern auf Missfallen stößt. Bisher gibt es bei Autobahnen und Bundesstraßen eine Arbeitsteilung: Der Bund macht eine bundesweite Grobplanung und steuert das Geld bei, die Detailplanung und Ausführung ist Sache der Länder, die hier viel Freiraum haben – im Rahmen der sogenannten Auftragsverwaltung. Nun will der Bund alle Aufgaben in seine Hand nehmen und zumindest die Autobahnen selber planen, betreiben und erhalten. Der Bundesrechnungshof fordert das schon lange, eine von Gabriel eingesetzte Infrastrukturkommission unter DIW-Chef Marcel Fratzscher hat die Bundesverwaltung vor einem halben Jahr ebenfalls empfohlen.
Jetzt hat das Bundesverkehrsministerium ein mit den Ressorts von Gabriel und Schäuble abgestimmtes Positionspapier an den Bundestag geschickt. Die Aufgabenverflechtung via Auftragsverwaltung wird als ineffizient bezeichnet, zudem setze sie Fehlanreize – weil der, der zahlt, also der Bund, zu wenig Möglichkeiten habe, das Vorgehen der Länder wirksam zu steuern, zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren.
Aus Sicht von Dobrindts Ressort führt die Auftragsverwaltung „immer wieder zu unwirtschaftlichem Handeln“ zu Lasten des Bundeshaushalts. Der landespolitische Einfluss sei stark und „durch Aufsichtsmittel schwer zu steuern“, der Bund habe bei der „Priorisierung von Planungsprozessen der Länder“ relativ wenig zu sagen. Kurzum: Aus Sicht des Bundes ist die Auftragsverwaltung kein gutes Geschäft.
In dem Papier wird daher die Reform der Auftragsverwaltung bei Autobahnen verlangt mit dem Ziel, sie letztlich komplett aufzulösen – letztlich auch für die Bundesstraßen. Denn der in Aussicht genommenen „Infrastrukturgesellschaft des Bundes mit Fokus auf den Bundesautobahnen“ (so der offizielle Titel) soll die Möglichkeit gegeben werden, auch die Planung und den Betrieb von Bundesstraßen zu übernehmen, wenn ein Land das wünscht.
Die Bundesautobahnverwaltung als erste Stufe wäre zwar zentralisiert, soll aber regionale Ableger haben. Zur Finanzierung von Projekten sollen ihr die Einnahmen aus der schon bestehenden Lkw-Maut und der geplanten Pkw-Maut zukommen. Auch soll sie eigene Kredite aufnehmen dürfen und zudem die Möglichkeit bekommen, für Einzelprojekte privates Kapital einzubinden - also „public-private partnership“ zu betreiben. Die Gesellschaft solle nicht zu einem „Schattenhaushalt“ werden, heißt es zwar im Papier, auch bestehe kein Haftungsverbund zwischen Bund und Gesellschaft – ein relativ autonom organisierter Nebenhaushalt, finanziert zum großen Teil aus Etatmitteln, wäre sie aber doch.
In den Ländern wird dieses Vorgehen des Bundes mit großem Misstrauen beobachtet. Als der Bund jetzt beschloss, sämtliche Straßenbaumittel an die Länder über seine bereits seit 2011 bestehende Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft auszugeben (die bisher allein die Lkw-Maut-Einnahmen verwaltete), grummelte der Bundesrat bereits. Dieser Schritt dürfe „kein Präjudiz darstellen bezüglich einer Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft“ heißt es in der Stellungnahme der Länderkammer. Es soll bei der Auftragsverwaltung bleiben.
Bayern agiert cleverer als andere Länder
Denn mit der Auftragsverwaltung leben die Länder gut. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Die Planung ist regional in einer Hand, was Synergieeffekte mit Landesprojekten ermöglicht – und das ist oft kostengünstig für die Länder. Zudem sind die Landesverwaltungen mit den spezifischen Problemen vor Ort vertraut, was man einer Bundesverwaltung nicht zutraut. Ein Nebeneinander von Bundes- und Landesverwaltung im Straßenbau dagegen, so Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU), führe zu aufwändigen Abstimmungsprozessen. Gerade Bayern mit seiner gut aufgestellten Bürokratie hat sich auf das System gut eingestellt.
Denn einerseits verlaufen Planungen im Straßenbau nicht immer reibungslos, bisweilen müssen Projekte gestoppt werden. Manche Länder haben Vollzugsdefizite. So kommt es, dass immer wieder Bundesmittel nicht fließen können. Allen voran Bayern springt dann gerne ein, wenn der Bund mal wieder einige Millionen neu vergeben muss, weil man in München stets vorgeplante Projekte in der Schublade hat. Andere Länder sind da weniger clever.
Andererseits kann gerade für weniger starke Länder die Auftragsverwaltung auch Probleme bringen. Denn man muss Personal vorhalten, zudem sind die gesetzlichen Vorgaben für Straßenbauprojekte in den vergangenen Jahrzehnten immer ausgefeilter und differenzierter geworden, was die Planung zu einem teuren Vorgang gemacht hat. Und für die dazu nötigen Landesbeamten zahlt der Bund in aller Regel nicht. Insofern könnten einige Landesregierungen durchaus schwach werden, wenn der Bund ganze Planungsabteilungen einfach übernimmt – jedenfalls dort, wo der Ausbau von Autobahnen nicht vorrangig ist. Große Neubauprojekte gibt es ohnehin kaum noch.
Nach einer Aufstellung des ADAC liegen Strecken mit Ausbauvorrang (vor allem, um Staus zu verringern) zumeist in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und (mit Abstrichen) in Hessen und Schleswig-Holstein. Im Rest der Republik, vor allem im Osten, dürfte die Frage, wer für die Autobahnen zuständig ist, daher weniger dringlich sein.
An den Finanzausgleich gekoppelt
Doch vorerst halten die Länder zusammen und wollen die Bundesverwaltung nicht akzeptieren. Allenfalls eine „Weiterentwicklung“ der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, so Herrmann, sei vorstellbar. Aber nun hat Schäuble einen Weg gefunden, um Druck auf die Länder zu machen.
Als unlängst die Ministerpräsidenten ihren Kompromiss beim Bund-Länder-Finanzausgleich vorlegten, fehlte dem Bundesfinanzminister ein aus seiner Sicht ganz wesentlicher Teil – nämlich die Bundesautobahngesellschaft. Ohne die, so die Reaktion des Bundesfinanzministeriums, werde der Bund den neuen Finanzausgleich nicht mitmachen. Der Länderkompromiss aber basiert darauf, dass der Bund eine Milliarde Euro mehr zuschießt, als Wolfgang Schäuble bisher zu geben bereit ist.