Gemeinsamer Bundesausschuss: Streit um Chefposten im wichtigsten Gesundheitsgremium
Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet über die Leistungen für 70 Millionen Kassenpatienten. Doch medizinischer Sachverstand ist in der Führung offenbar nicht gefragt: Die einzige Ärztin soll einem Lobbyisten weichen.
Normalerweise läuft der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Doch nun haben geplante Personalveränderungen das mächtigste Gremium der gesetzlichen Krankenversicherung ins Rampenlicht befördert. Und in heftige politische Kritik.
Der GBA entscheidet, welche Therapien und und Arzneimittel die Versicherungen für die mehr als 70 Millionen Kassenpatienten erstatten und welche nicht. Im kommenden Jahr läuft die sechsjährige Amtszeit der drei unparteiischen Mitglieder im GBA ab. Sie sind in dem Gremium das Zünglein an der Waage, wenn es bei Abstimmungen zwischen Kassen und Leistungserbringern keine Mehrheit gibt.
"Ärztlicher Sachverstand offenbar nicht mehr gefragt"
Gesundheitspolitiker aus Koalition wie Opposition halten zwei der drei Personalvorschläge für problematisch. Und Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery ist empört. Ärztlicher Sachverstand sei im GBA „offenbar überhaupt nicht mehr gefragt“, wetterte er nach Bekanntwerden der internen Festlegung.
Was den Funktionär so erregt, ist die Tatsache, dass die Klinikbetreiber die ohnehin schon einzige Medizinerin in der Dreierführung des Gremiums durch einen ehemaligen FDP-Abgeordneten und Klinikmanager ersetzen wollen. Der Gynäkologin Regina Klakow-Franck soll der gelernte Jurist und Betriebswirt Lars Lindemann folgen. Der 46-Jährige saß von 2009 bis 2013 im Bundestag und reüssierte danach als Hauptgeschäftsführer eines neu gegründeten Spitzenverbands der Fachärzte. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer der Sankey-Gruppe, die Fachärzten beim Abrechnen hilft.
Selbst in der FDP gab es Kritik am Lobbyisten Lindemann
Wegen der Vermischung von politischer Tätigkeit und Lobbyarbeit hat sich Lindemann zeitweise sogar in der FDP Kritik zugezogen. Aufsehen erregte er zuletzt dadurch, dass er den Vorschlag der Grünen, in Kantinen einen freiwilligen Veggie-Day einzuführen mit der Politik der Nazis verglich. Und dass er sich als Facharzt-Lobbyist ungewohnt heftig mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung anlegte.
Klakow-Franck wiederum hätte im GBA gern weiter machen wollen. Die Krankenhausgesellschaft, die bei den Leistungserbringern diesmal das Vorschlagsrecht hatte, versagte ihr aber die Unterstützung.
Der Personalvorschlag der Kassen ist ebenfalls nicht unumstritten. Mit Uwe Deh hoben sie für den aus Altersgründen scheidenden Harald Deisler einen Ex-AOK-Manager auf den Schild, der sich bisher auch nicht gerade als Mann des Ausgleichs empfohlen hat. Mit Jürgen Graalmann bildete er mehrere Jahre lang die Doppelspitze des AOK-Bundesverbandes, lieferte sich mit diesem aber einen derartigen Machtkampf, dass am Ende beide ihre Posten räumen mussten.
Politiker: Personalvorschläge nicht im Interesse der Patienten
Kritik an den Nominierungen gibt es von Gesundheitsexperten unterschiedlichster Couleur. Die zuständige Obfrau der Union, Karin Maag, empfahl den Beteiligten in der „Frankfurter Allgemeinen“, die als erste über die Kandidatenvorschläge berichtete, die Personalien noch mal zu überdenken. Sie bezweifle, dass die Vorschläge den Interessen der Patienten dienten.
Hilde Mattheis (SPD) machte ebenfalls „massive Vorbehalte“ geltend. Ihr Kollege Karl Lauterbach lobte Klakow-Franck via Twitter als „sehr kompetent“ und verlieh seiner Befremdung Ausdruck, dass man nun die einzige Ärztin im GBA „absägen“ wolle. Und die Grünen bezweifeln nicht nur die Unabhängigkeit des Facharzt-Lobbyisten Lindemann. Sie ärgern sich auch darüber, dass die Spitze des einflussreichen Gremiums durch diese Umbesetzung komplett männlich würde.
Gesundheitsausschuss könnte ablehnen
Lediglich für den Ausschuss-Vorsitzenden Josef Hecken scheint die vorgesehene Amtszeitverlängerung unstrittig. Allerdings warnen Kritiker davor, dass der frühere CDU-Politiker schon selbstbewusst und kampfeslustig genug sei. In einem Triumvirat mit den ähnlich gestrickten Stellvertretern Lindemann und Deh könne die Sache kaum gut ausgehen. Außerdem hätten in dem wichtigsten Gremium des Gesundheitssystems dann nur noch Juristen das Sagen.
Die Selbstverwaltung hat ihre Personalvorschläge bis Ende Juni dem Gesundheitsminister vorzulegen, der sie dann dem Gesundheitsausschuss übergibt. Dort können die Personalien abgesegnet werden. Oder mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgelehnt.
Rainer Woratschka