Eine Lehre aus dem Mordfall Lübcke: Strafverfolgung schützt besser vor Rechten als Dialog allein
Das Problem beim Reden mit dem rechten Milieu ist dessen Kaleidoskop-Charakter. Die Übergänge hin zur rechtsradikalen Ideologie sind fließend. Eine Kolumne.
Auf die AfD wird verzichtet, ja. Ihre Anhänger sind nicht eingeladen zum diesjährigen Evangelischen Kirchentag, der an diesem Mittwoch in Dortmund beginnt und bis Sonntag dauert. Auf keinem Podium werden AfD-Vertreter sitzen, in keinem Gesprächskreis ihre Stimme erheben. So hatte das Präsidium des Kirchentags entschieden, nachdem im September 2018 AfD-Mitglieder in Chemnitz offen neben Neonazis marschiert waren.
Dabei sei evident geworden, erklärt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD) Heinrich Bedford-Strohm, dass es um „Radikale“ geht, „deren Werte mit denen des Christentums nicht vereinbar sind“.
Flugs manövrierte sich die Partei in die Rolle der Ausgestoßenen und wetterte in einem Papier wider die „Unheilige Allianz“ der evangelischen Kirche, die einen „Pakt mit dem Zeitgeist und den Mächtigen“ eingehe.
Das typische Vokabular: nervös und nebulös
Wer die Mächtigen sind, bleibt ungesagt, Anhänger können ihre jeweiligen Ressentiments in die Leerstellen einpassen. Nervös und nebulös ist das typische Vokabular rechter Verschwörungsfantasien. Die EKD liefert der AfD eine Vorlage für einen wirksamen Auftritt als gekränkter Sänger, der sein Lied nicht singen darf.
Anders als die Kirche argumentiert derzeit der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, wenn er „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ fordert, damit nicht jeder, „der schwer konservativ“ sei, sofort als Gefahr für die Demokratie markiert werde.
Sein Einwurf erinnert an das Buch „Mit Rechten reden“ von 2017, ein Plädoyer für Humor und Dialog, mit Empfehlungen wie diesen: unterscheide Person und Rede, lass Dich nicht provozieren, treibe Sport mit Nazis, vermeide das Wort „Nazi“, bevor du jammerst, mach Musik.
Begrüßt hatten die Verfasser, dass auf dem Kirchentag 2017 eine umstrittene Repräsentantin der Gruppe „Christen in der AfD“ sprechen durfte, Annette Schultner. Dieselbe Frau trat dann Ende des Jahres aus der Partei aus. Ihre „konservativen, aber gemäßigten“ Ansichten, etwa zur traditionellen Familie, fand sie zur „Feigenblattfunktion“ reduziert, wie sie beklagte. 2018 schrieb sie über die AfD: „Liberale gibt es in der Partei kaum noch, Ultrarechte dagegen mehr denn je“. Ob das Reden ihr beim Absprung mitgeholfen hat, vielleicht auch das Reden auf dem Kirchentag? Vielleicht.
Vermutlich sind es Zeitgenossen wie sie, die Joachim Gauck bei seinem Ruf nach Toleranz im Sinn hatte, Konservative, denen die Unionsparteien zu wenig konservativ sind, Leute, die einen Schwenk, einen Schlenker, eine Kurve nach rechts machen, wo die AfD sich als heimatlich dekorierte Wohnstube anbietet. Mit Hirschgeweih, Dürerhase, artigem Nachwuchs, einer Hausfrau, die Apfelkuchen bäckt, und all das in einem Umfeld, dem vor Fremden und Fremdem bange ist. Wer anders denkt, soll also mit ihnen reden. Richtig, Reden ist die zivilisierteste aller Kulturtechniken, Dialog das beste Mittel wider Gewalt.
Viele Rechte haben sich seit dem Lübcke-Mord demaskiert
Das Problem beim Reden der Demokraten mit dem rechten Milieu ist dessen Kaleidoskop-Charakter. Übergänge sind oft fließend zwischen traditionsorientierten, nationalistischen, rassistischen und rechtsradikalen Ideologien. Wer heute im Milieu der AfD verharrt, der duldet oder ignoriert die Radikalen, als Mitläufer oder als klammheimlicher Sympathisant.
Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Anfang Juni haben sich viele unter den Rechten ohne Scheu demaskiert. Zynisch postete der AfD-Kreisverband Dithmarschen in Schleswig-Holstein: „Mord????? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen“, deutlich war die Anspielung auf den Tod des FDP-Politikers Jürgen Möllemann.
Im Bürgerhaus Lohfelden im Südosten von Kassel hatte das CDU-Mitglied Lübcke im Oktober 2015 vor einer Versammlung zum Thema Asylrecht bekundet, er freue sich, dass es „durch die Kirchen im Land eine Wertevermittlung gibt“, wem diese Werte nicht behagten, der könne „das Land verlassen“.
Wutschreie unterbrachen den Redner, der später einer Zeitung sagte: „Unser Zusammenleben beruht auf christlichen Werten.“ Darauf habe er hinweisen wollen, auf Verantwortung und Hilfe für Menschen in Not.
Der mutmaßliche Täter im Fall Lübcke ist ein Familienvater aus Kassel, aktiv im Schützenverein, im Lauf von 25 Jahren mehrfach einschlägig wegen rechter Delikte vorbestraft. Viele werden mit ihm in all der Zeit geredet haben, nicht nur Staatsanwälte und Sozialarbeiter. Vergebens. Es scheint, dass konsequentere Strafverfolgung, wie sie bei religiös verirrten Islamisten passiert, die Gesellschaft besser vor Rechten schützt, als Dialog allein.