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Auf der Terrasse seines Hauses wurde Walter Lübcke erschossen.
© Reuters

Tötung von Walter Lübcke: Hass über den Tod hinaus

Der getötete CDU-Politiker Walter Lübcke von Rechten auf übelste Weise geschmäht. Hetze ist kein Phänomen des Internet-Zeitalters.

Extremistische Hetze gegen Politiker und hochrangige Beamte hat in Deutschland Tradition, über den Tod der Betroffenen hinaus.

Der Schwall von Hasskommentaren gegen den erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist Teil einer beklemmenden Chronologie – auch wenn noch offen bleibt, wer den CDU-Politiker getötet hat.

Doch die Mechanismen der Hetze scheinen zumindest teilweise ähnlich zu sein. Politiker werden von Extremisten als Volksfeinde stigmatisiert.

Der Fall Lübcke

Walter Lübcke
Walter Lübcke
© AFP

Die Hetze gegen Walter Lübcke ist ein exemplarischer Fall rechter Wut im digitalen Zeitalter. Gerade in Zeiten der so genannten Flüchtlingskrise. Die Kampagne gegen den CDU-Politiker begann, als er sich im Oktober 2015 bei einer Einwohnerversammlung im nordhessischen Lohfelden zur Unterbringung von Flüchtlingen äußerte – und rechten Krakeelern standhielt. Als sie mit Rufen wie „Scheiß Staat“ Lübcke attackierten, hielt er ihnen entgegen, sie könnten das Land jederzeit verlassen, sollten sie die Werte des Zusammenlebens nicht teilen.

Auf die Buh-Rufe und Pfiffe in der Veranstaltung folgten Hetzparolen in den sozialen Netzwerken, bis hin zu Morddrohungen. Lübcke bekam Polizeischutz, die Kampagne ebbte später ab. Doch sie kam 2017 und im Februar 2019 wieder hoch. Wie jetzt T-Online.de berichtet, soll die ehemalige CDU-Politikern Erika Steinbach, heute AfD-nah, beteiligt gewesen sein. Demnach erschienen Posts von ihr gegen Lübcke. Im Februar 2019 schrieb Steinbach bei Twitter, „zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen bevor sie ihre Heimat aufgeben!“. Steinbach soll einen ähnlichen Beitrag auch bei Facebook gepostet haben. In beiden Medien hat sie zehntausende Follower.

Steinbach nennt die Berichterstattung von T-Online.de „eine glatte Unverschämtheit“ und betont, sie habe nach dem Mord an Lübcke ihr Unverständnis für die üblen Reaktionen deutlich gemacht. Sie gibt aber zu, dass sie „die seinerzeitige Aussage von Lübcke indiskutabel fand“. Steinbachs Posting vom Februar 2019 bei Twitter fand jedenfalls Beifall. „So einen Gehirngewaschener – Irrer sollte man sofort außer Landes jagen“ (Fehler wie im Original), schrieb ein User „Elvis“. Ein anderer textete, „Irgendwann ist Schluss! Ich verteidige meine Heimat bis zuletzt!“

Die Hetze gegen Lübcke nach seinem Tod ist ähnlich primitiv, aber auf makabere Weise auch vielseitig. User diffamieren vor allem bei YouTube nicht nur Lübcke als „Drecksau“ und „Ratte“, dem Politiker wird auch seine Villa geneidet, auf deren Terrasse er starb. „Ob ein Steuerzahler sich auch so ein Haus leisten kann“, fragt ein User und insinuiert, Lübcke habe dunkle Geschäfte betrieben. Und es gedeihen Verschwörungstheorien zur Tötung. Der User „Adolf Hitler“ behauptet: „Wieder mal ein staatlicher Auftragsmord“. Brachialer Hass richtet sich auch gegen die Bundeskanzlerin. Der User „Dark Player“ postet, „Next Target Merkel“ (nächstes Ziel Merkel). Daneben prangt ein pistolenartiges Symbol.

Der Fall Buback

Siegried Buback
Siegried Buback
© picture alliance,/dpa

Die Phase der schlimmsten Hetze von links war die RAF-Zeit. Nachdem Generalbundesanwalt Sigfried Buback am 7. April 1977 in Karlsruhe von einem Motorrad aus erschossen wurde, setzte sich in Göttingen Klaus Hülbrock, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, hin und schrieb unter dem Pseudonym „Mescalero“ für die Asta-Zeitung einen Nachruf. „Meine unmittelbare Reaktion, meine Betroffenheit nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen“, heißt es in dem Nachruf. Und weiter: „ Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot-schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistgehaßten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen.“ Klammheimliche Freude über einen Mord – dies ist auch im Fall Lübcke bei einigen Rechtsextremen die Stimmung.

Der „Mescalero“ entschuldigte sich später. „Ich habe einen Toten getreten, ja, das tut mir leid.“ Aber das sei doch keine Staatsaffäre wert gewesen. Doch der Aufruf verbreitete sich rasant, wurde zigtausendfach nachgedruckt. Dem konservativen und bürgerlichen Lager diente er als Beispiel für eine angeblich weit verbreitete Geisteshaltung im linken Lager. 2001 geriet der damalige Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin in den „Mescalero“-Strudel, als ihn Bubacks Sohn im Fernsehen bezichtigte, zum Dunstkreis des Verfassers gehört und sich nicht richtig vom Inhalt distanziert zu haben. Immerhin trat der Mescalero aus der Anonymität heraus, hinter der sich die Hetzer auch im Internet heute verstecken - weshalb Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Spiegel jüngst eine Klarnamen-Pflicht gefordert hat, um gegen die "Verrohung" im Internet vorzugehen. Für eine offene Gesellschaft sei es "schwer erträglich", wenn sich die Menschen bei Debatten im Internet nicht offen gegenübertreten.

Der Fall Stauffenberg

Claus Graf Stauffenberg
Claus Graf Stauffenberg
© picture alliance/dpa

Noch in der der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 nach dem Attentat von Claus Graf Stauffenberg ließ es sich Adolf Hitler persönlich nicht nehmen, seinen Hass über die Verschwörer im Rundfunk auszuschütten. „Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere“ habe ihn beseitigen wollen, sagte er. Der Offizier Staufenberg hatte Machtübernahme Hitlers 1933 positiv bewertet, der Kriegsverlauf brachte ihn jedoch auf die Seite des Widerstandes. Für die Nazis war das natürlich „Landesverrat" - doch gegen den Vorwurf mussten die Überlebenden und Angehörigen des Kreises um Stauffenberg auch in der jungen Bundesrepublik kämpfen. Grundsätzlich wird die Tat Stauffenbergs heute zwar positiv bewertet, aber noch im vergangenen Jahr beschimpfte ein AfD-Jungpolitiker Stauffenberg als Verräter.

Der Fall Erzberger

Matthias Erzberger
Matthias Erzberger
© ullstein bild via Getty Images

Ein frühes Beispiel für rechte Hetze ist der Fall Matthias Erzberger. Was heute Twitter ist, waren damals Flugblatt und Zeitung. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs hatte Erzberger in Compiegne den Waffenstillstand unterzeichnet, der zum Vertrag von Versailles führte. Der Politiker wurde von Anhängern der Dolchstoßlegende massiv als Verräter des Volkes attackiert, die Revolution in der Heimat habe den tapfer kämpfenden deutschen Truppen von hinten den Dolch in den Rücken gerammt. Erzberger wurde in der Weimarer Republik Reichsfinanzminister – und zur Zielscheibe von Hassbotschaften. „Nieder mit Erzberger, dem Reichsverderber, dem Helfer unserer Feinde“, lautet eine davon. Am 26. August 1921 wurde er bei einem Spaziergang im Schwarzwald von ehemaligen Marienoffizieren, die der rechtsextremen Operation Consul angehörten, abgepasst und erschossen. „Nationalistischer Mord“ titelte der „Vorwärts“ am 27. August 1921. Die moralischen Mitschuldigen an der Ermordung seien die Rechtsparteien, die Deutschnationalen und die Volkspartei – wobei auch die Presse Erwähnung verdiene. „Gegen keinen Mann in Deutschland ist eine schamlosere und gemeinere Hetze entfaltet worden als gegen den ermordeten Erzberger“, kritisierte das Zentralorgan der SPD. Am nächsten Tag hieß es in der Zeitung: „Waffen heraus! Auf zur Demonstration! Gegen den politischen Mord – Für die Republik.“ Die Republik kam nie mehr in ruhigeres Fahrwasser.

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