Urwahl zum SPD-Vorsitz: Stimmen werden ausgezählt, alle fiebern dem Ergebnis entgegen
In Kürze steht fest, wer die SPD zukünftig führen wird. Im Willy-Brandt-Haus werden die Stimmen ausgezählt. Die Stimmung ist nervös.
Es herrscht hektisches Treiben in einer der oberen Etagen des Willy-Brandt-Hauses. Im Hans-Jochen-Vogel-Saal arbeiten die Helfer am Sonnabend in zwei Schichten. Sie zählen aus, wer künftig die SPD führen soll: Klara Geywitz und Olaf Scholz oder Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Vor sich haben die Freiwilligen aus den Landesverbänden jeweils eine gelbe und mehrere rote Kunststoffboxen. Die einen sortieren, die anderen zählen die Stimmen. Es gilt das Sechs-Augen-Prinzip - jeder Stimmzettel wandert durch mindestens drei Hände. Nichts soll schief gehen. Die Stimmen, die online abgegeben wurden, werden erst kurz vor der Ergebnisverkündung ausgezählt - das geht schnell, sozusagen mit einem Klick.
Kevin Kühnert verbreitet unterdessen gute Stimmung auf Twitter: „Hey, ihr SPD-Hasis“. Der SPD sei mit dem Verfahren der Parteichef-Suche Selbstbeschäftigung vorgeworfen worden. Dabei sei es die ganze Zeit mit der Parteiarbeit weitergegangen.
In der letzten Wochen hatte sich der Juso-Chef zurückhaltend gezeigt und von offenen Attacken gegen Olaf Scholz und Clara Geywitz abgesehen. Der Juso-Bundesverband hatte sich früh für das Außenseiter-Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken entschieden.
„Bei Saskia und Norbert haben wir so viele Übereinstimmungen mit unseren Positionen gefunden, dass wir uns dann relativ schnell hinter beiden versammeln konnten.“, sagte Kühnert letzte Woche im Tagesspiegel-Interview.
Festlegen, wer heute Abend als Sieger feststeht, wollte er sich nicht. „Das spannende aber ist ja, dass wir seit langem mal wieder eine Wahl ohne Umfragen haben. Es gibt keine Stimmungsbilder. Zielgruppenansprache, statistische Erhebungen. Das kennen wir in unserer Demokratie gar nicht mehr richtig.“
Gesicherte Prognosen über den Ausgang der Stichwahl gibt es nicht, viele erwarten eine äußerst knappe Entscheidung. Wohl auch deshalb war der Ton bei den Sozialdemokraten in den vergangenen Tagen rauer geworden. Wie der „Spiegel“ berichtete, hatte es in der vergangenen Woche teils kontroverse Auseinandersetzungen innerhalb der SPD Bundestagsfraktion gegeben. Martin Schulz, ehemaliger Kanzlerkandidat, zeigte sich besorgt über den Zustand seiner Partei und äußerte, er erkenne sie teilweise nicht wieder.
Offener Konflikt in der Bundestagsfraktion
Ebenfalls kritisiert wurde ein Beschluss der Parteijugend, der das von der SPD-Fraktion verabschiedete „Geordnete-Rückkehr“-Gesetz als rassistisch bezeichnet hatte. Auch Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landesverbandes gingen auf Distanz zu Esken und Walter-Borjans - also der Landesverband, dem auch Walter-Borjans angehört. Einige Fraktionsmitglieder riefen zur Mäßigung auf: Die Debatte müsse so geführt werden, dass man sich auch nach dem Samstag noch in die Augen schauen könne.
Es treffen Welten aufeinander: Hier der machtbewusste Vizekanzler und Finanzminister und seine ebenfalls pragmatische Team-Partnerin - da die Kritiker des bisherigen SPD-Kurses, die Verfechter einer Politik der Ideale und der gesellschaftlichen Umverteilung. Ein Duo, das die große Koalition mit der Union fortsetzen will, gegen ein Team, das mit dem Austritt liebäugelt. Weitermachen gegen Revolution.
Wie es nach einem möglichen GroKo-Aus weitergeht, ist offen. Zumindest der Bundeshaushalt für das kommende Jahr ist beschlossen, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte also eine Zeit lang mit einer Minderheitsregierung weitermachen. Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft der EU - Neuwahlen kurz davor wird man verhindern wollen.
Einige Sozialdemokraten fürchten, ohne Regierungsbeteiligung werde die SPD noch weiter abstürzen als bisher. Vor allem das Partei-Establishment hat sich deshalb zuletzt ziemlich geschlossen hinter Scholz und Geywitz gestellt.
Die Vorentscheidung fällt am Nikolaustag, wenn die neue Doppelspitze der SPD auf dem Parteitag endgültig gewählt wird. Arbeitsminister Hubertus Heil machte am Freitag in einer Bundestagsrede schon einmal klar: „Wir haben gemeinsam viel vor, das nicht nur an Nikolaus, sondern auch darüber hinaus.“ (mit dpa)
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