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Kevin Kühnert
© imago images/Mike Schmidt

Juso-Chef Kevin Kühnert im Interview: „An Erneuerung macht man keinen Haken dran“

Kevin Kühnert, wiedergewählter Juso-Chef, über den neuen Einfluss der SPD-Parteijugend, einen nötigen Kurswechsel, Klimapolitik – und seine Prominenz.

Die Jusos haben ihren Vorsitzenden Kevin Kühnert am Wochenende mit einem Rekordergebnis von 88,6 Prozent wiedergewählt. Die Klimapolitik hatten sie demonstrativ an den Anfang ihres Bundeskongresses gestellt. Jetzt wartet auch die SPD-Parteijugend gespannt auf das Ergebnis der Wahl der neuen Parteivorsitzenden. Empfohlen haben sie die Wahl des Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans - wenn Olaf Scholz und Klara Geywitz gewinnen, könnte die Erneuerung der SPD und ein erhoffter Wandel des Politikstils mühsamer werden. Das weiß auch Kühnert - radikale Konsequenzen erwartet er im Interview mit dem Tagesspiegel ohnehin nicht.

Vor einem Jahr fand das SPD Debattencamp statt. Die Partei wollte sich grundlegend reformieren: Inhaltlich, strukturell und personell.
Welche der Veränderungen von damals sind aus Ihrer Sicht seit dem eingetreten?
Inhaltlich ist tatsächlich eine Menge passiert. Wenn man mir damals gesagt hätte, nach zwei Jahren Erneuerungsprozess wird sich die SPD weitgehend von Hartz IV verabschieden, ein Recht auf Arbeit fordern, sich für eine Vermögenssteuer aussprechen, sich in den Bereichen Wohnen und Pflege für die Begrenzung von Renditen einsetzen, hätte ich gesagt: unterschreibe ich.
Am Sozialstaatspapier, wo wir monatelang dran gearbeitet haben, haben wir uns nicht nur ein bisschen von der Hartz-Logik distanziert, sondern mit ihr gebrochen, indem wir wieder soziale Rechte in den Mittelpunkt stellen. Die personelle Erneuerung entscheidet sich in den nächsten zwei Wochen. Und strukturell muss ich sagen, dass Lars Klingbeil und sein Team gute Arbeit leisten. Aber: Erneuerung ist nichts, wo man einen Haken dran macht und sagt: erledigt.

Nächste Woche wird es ernst - Die Urwahl zum Parteivorsitz geht in die letzte Runde. Die Jusos haben sich für Esken/Walter-Borjans ausgesprochen, weite Teile der Parteielite für das Duo Scholz/Geywitz. Wie schaffen Sie das, immer wieder den Großteil Ihrer Partei gegen sich zu haben?
Das glaube ich tatsächlich gar nicht. In der ersten Wahlrunde haben ja beide Kandidatenpaare fast gleich viele Stimmen bekommen. Insofern scheinen die Sympathien in der Basis da sehr ähnlich verteilt zu sein. Das Problem dabei ist nur, dass das in der Parteispitze sehr schlecht repräsentiert wird. Weder in der Groko-Debatte vor zwei Jahren noch bei dieser Mitgliederbefragung. Jeder kann und darf natürlich sagen, wen er sich an der Spitze wünscht.

Aber im Moment sorgt das dafür, dass viele Mitglieder sich von der Parteispitze nicht repräsentiert fühlen. Dem versuchen wir als Jusos entgegenzuwirken, indem wir Meinungsvielfalt sichtbar machen.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind selber keine Jusos. Gab es Überlegungen, eigene Kandidaten ins Rennen zu schicken?
Nein, die gab es nicht. Ich hatte es zwar selbst über den letzten Sommer überlegt, aber immer mit der Tendenz, es eher nicht zu machen. Als Olaf Scholz seine Kandidatur angekündigt hat, war aber klar, dass wir als Juso-Bundesverband gefordert sind. Bei Saskia und Norbert haben wir so viele Übereinstimmungen mit unseren Positionen gefunden, dass wir uns dann relativ schnell hinter beiden versammeln konnten. 

Wie denken Sie, wird die Urwahl ausgehen?
Das ist schwierig, zumal ich in einem Umfeld verkehre, was da nicht sonderlich repräsentativ ist. Das spannende aber ist ja, dass wir seit langem mal wieder eine Wahl ohne Umfragen haben. Es gibt keine Stimmungsbilder. Zielgruppenansprache, statistische Erhebungen. Die Kandidaten müssen gute Antworten haben, sympathisch sein und sich gut präsentieren. Das kennen wir in unserer Demokratie gar nicht mehr richtig. Das macht die Wahl natürlich sehr spannend, aber auch sehr anstrengend für beide Kandidatenpaare. 

Nehmen wir an, es läuft nicht so, wie die Jusos es sich vorstellen und Scholz und Geywitz werden Parteichefs. Was bedeutet das für den Jusos-Bundesverband?
Wir werden uns weder auflösen noch abspalten, da haben wir echt schon heftigere Sachen in der Geschichte erlebt. (lacht) Ich glaube auch weiter nicht, dass das Heil der SPD an einzelnen Personalentscheidungen festzumachen ist. Genauso wenig glaube ich ja daran, dass Walter-Borjans und Esken in dem Moment ihrer Wahl die SPD retten oder andersrum die Partei untergeht, soweit Scholz und Geywitz es werden.

Dennoch: deren Kurs ist in mancher Hinsicht nicht unser Kurs. Beide stehen eher für ein „Weiter so“ und für einen klaren Fortbestand der Groko. Ich weiß auch nicht, ob sie mit Nachdruck nach linken Mehrheiten jenseits der Großen Koalition suchen würden. Für uns würde das also bedeuten, innerparteilich noch mehr Druck machen und um Mehrheiten kämpfen zu müssen. Aber wir schmollen nicht.

Wie schwierig wird es, wieder junge Leute für die SPD zu begeistern?
Der Vorteil von uns Jusos ist, dass wir uns als eigenständigen Verband verstehen, wie eine Art Safe Space. Wer zu uns kommt, hat nicht das Gefühl: Das ist die kleine SPD, die machen dasselbe, nur in jünger. Wir sind kritisch und haben abweichende Meinungen, lassen uns nicht unterkriegen oder an die Kette nehmen.

Und dennoch gehören wir alle, mit unseren Grundwerten, zur sozialdemokratischen Familie, auch wenn wir gelegentlich nicht glücklich damit sind, wie diese umgesetzt werden. Die Jusos sind zuletzt übrigens deutlich gewachsen, trotz mehreren Grokos und sicherlich auch wegen unseres Widerstandes dagegen.

"Mit einem Nein hätte man die komplette Parteispitze abgesägt"

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass die Mitglieder im Zweifelsfall lieber in eine Große Koalition gehen als einen Neuanfang zu wagen?
Nein, ich glaube, dass da Unsicherheit eine große Rolle spielt. Viele haben nicht aus tiefer Überzeugung für die große Koalition gestimmt. Aber wenn sich eine komplette Parteispitze dafür ausspricht und damit auch ihr politisches Schicksal an diese Bedingung knüpft, wird das einzelne Mitglied stark unter Druck gesetzt. Mit einem Nein hätte man die komplette Parteispitze abgesägt – ohne das zu wollen. Bei der Urwahl verhält es sich derzeit mitunter ähnlich.

Der Juso-Bundeskongress hat den Klimaschutz zentral als erstes Thema gesetzt. Das Klimapaket der Bundesregierung wurde kräftig verrissen. Wie war Ihre Einschätzung?
Diese Medaille hat zwei Seiten Da sind definitiv Maßnahmen drin, die sind mir viel zu wenig, beispielsweise mit Blick auf die dringend notwendige Mobilitätswende. Aber natürlich gibt es auch Verhandlungserfolge der SPD, gegen die man erstmal nichts haben kann.

Dass Klimaschutz künftig per Gesetz geregelt wird, die Preissenkung bei der Bahn, die Stärkung des Photovoltaikausbaus, der ja in den letzten Jahren ausgebremst wurde. Richtige Richtung, aber Tempo zu langsam. Das Pariser Klimaabkommen kann mit diesen Maßnahmen nicht eingehalten werden. Das kann man wohl festhalten, ohne als Ketzer bezeichnet zu werden. Da muss also noch deutlich mehr gehen. 

Sehen Sie darin eines der Hauptprobleme der SPD, dass hart erkämpfte Kompromisse als der größte Erfolg dargestellt werden?
Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, wir haben lediglich ein Kommunikationsproblem. Wir haben auch ein Kommunikationsproblem, und zwar sowohl vor- als auch nach politischen Entscheidungen. Im Vorfeld schaffen wir  Erwartungen, die wir nicht erfüllen können, wie beispielsweise beim Klimapaket.

Wenn man auf die Pariser Klimaschutzziele als Messlatte ansetzt und sich dann rausredet, nun mal mit der Union zu koalieren, muss man sich fragen, ob das Thema Klimaschutz geeignet ist für einen klassischen politischen Formelkompromiss. Oder ob das politische Ziel dem Koalitionsfrieden nicht vorzuziehen ist.

Beim Klimaschutz läuft die Uhr rückwärts, die Maßnahmen müssen bald wirken. Dieser Grundkonflikt ist immer noch nicht gelöst. Als Reaktion wird beschwichtigt und gesagt: Deshalb können wir doch aber nicht die Koalition platzen lassen. Ja, das stimmt dann in dem einzelnen Punkt auch. Aber die Summe der Entscheidungen ergibt ein Gesamtbild, wo wir sagen: das ist offenbar kaum vermittelbar.

Herzchen. Beim Juso-Bundeskongresses in Schwerin unterstützen Juso-Chef Kevin Kühnert und Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Proteste unter dem Motto "Herz statt Hetze" gegen ein Treffen des rechten AfD-Flügels in Binz auf Rügen.
Herzchen. Beim Juso-Bundeskongresses in Schwerin unterstützen Juso-Chef Kevin Kühnert und Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Proteste unter dem Motto "Herz statt Hetze" gegen ein Treffen des rechten AfD-Flügels in Binz auf Rügen.
© Bernd Wüstneck/dpa-ZB

"Verhaltensänderung braucht Anreize, wir werden das nicht herbeibeten können"

Wäre Klimaschutz ein Thema, wofür Sie die Große Koalition hätten platzen lassen?
Das ist eine müßige Diskussion, weil der Zeitpunkt jetzt eh verstrichen ist. Aber zumindest hätte ich mir gewünscht, man hätte realistisch eingeschätzt, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Und dass wir noch einiges  nachholen müssen – und wollen. 

Wenn Sie jetzt eine Sofortmaßnahme zum Klimaschutz beschließen könnte: welche wäre das?
Ich spreche mich dafür aus, dass wir zu einem gebührenfinanzierten öffentlichen Nahverkehr kommen. Bus und Bahn zu nutzen hinge also nicht davon ab, ob ich mir ein Ticket gezogen habe, sondern alle Menschen, die in Deutschland gemeldet sind, zahlen ein, je nach Einkommen und Wohnort mehr oder weniger.

Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos, atmet nach seiner Wiederwahl mit Rekordergebnis aus.
Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos, atmet nach seiner Wiederwahl mit Rekordergebnis aus.
© Gregor Fischer/dpa

Das alles kommt in einen großen Topf und daraus finanzieren wir den Nahverkehr. Denn Verhaltensänderung braucht Anreize, wir werden das nicht herbeibeten können. In Tallin (Estland) hat jeder mit Erstwohnsitz ein Nahverkehrsticket bekommen. Was war die Folge? Die Autos wurden weniger und der Nahverkehr boomt. 

Sie sind vor zwei Jahren ziemlich plötzlich in die hohe Politik geschossen. Sie wurden Juso-Vorsitzender und hatten mit der No-Groko Kampagne direkt etwas zu tun. Wie hat sich das persönlich auf Sie ausgewirkt?
Normalität ist noch nicht eingekehrt, das ganze ist ein fortlaufender Lernprozess. Ich registriere natürlich häufig, wenn Leute über mich reden und irrtümlich denken, dass ich es nicht mitbekomme. Das führt auch manchmal dazu, dass ich mich anders verhalte. Die Leute sehen jetzt nicht mehr irgendeinen Typen, der biertrinkend seine Kippe ausdrückt, sondern im Zweifelsfall sehen sie diesen Kühnert von der SPD. Einerseits versuche ich mich davon nicht so einschränken zu lassen. Andererseits merke ich auch, dass es natürlich Einfluss nimmt.

Ich habe jedenfalls zu schätzen gelernt, was für ein hohes Gut Anonymität ist. Das merkt man erst, wenn sie weg ist. Zumal die nicht so schnell wiederkommt. Die Anonymität ging mit dem Amt verloren, aber sie wird nicht wiederkommen, wenn das Amt geht. Aber kein Grund zu lamentieren, die Vorteile überwiegen in meinem Amt deutlich. Auch deshalb habe ich ja für eine zweite Amtszeit kandidiert.

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