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Die Kandidaten für den SPD-Vorsitz Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
© Oliver Dietze/dpa

SPD-Kandidaten Esken und Walter-Borjans: „Wir müssen ans Klimapaket noch mal ran“

Ihre Partei hat beim Klimapaket viel zu wenig rausgeholt, kritisieren die Digitalexpertin und der ehemalige Landesfinanzminister in NRW im Interview.

Saskia Esken (58), Digitalexpertin in der SPD-Bundestagsfraktion, will zusammen mit dem ehemaligen Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans (67), die SPD führen. In einer Stichwahl treten sie gegen das Duo aus Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der Brandenburger Politikerin Klara Geywitz an. Das Ergebnis soll am 30. November feststehen.

Frau Esken, Herr Walter-Borjans, haben sich Ihre Parteikollegen beim Klimapaket von der Union über den Tisch ziehen lassen?
Walter-Borjans: Unser Problem als SPD ist es, dass wir schon mit einer sehr bescheidenen Forderung in die Verhandlung mit CDU/CSU reingehen, weil wir denken, mehr würden wir nicht durchbekommen. Wir machen den erhofften Kompromiss schon zur Verhandlungsbasis. Dann gibt es in der Kompromissfindung weitere Abstriche. Am Ende müssen wir ein bescheidenes Ergebnis dann als volle Durchsetzung sozialdemokratischer Positionen verkaufen. Aber das glaubt uns natürlich niemand. 

Wenn das Klimapaket so schlecht ist, wie Sie sagen – ist es auch ein Grund, die GroKo zu beenden? 
Walter-Borjans: Es ist ein Grund, Nachbesserung zu fordern. Bei der Frage, ob wir als SPD die große Koalition weiterführen sollen, spielen aber auch andere Punkte eine Rolle, wie die Bereitschaft zu massiven Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung und in die Handlungsfähigkeit der Kommunen. Ohne Preisgabe der schwarzen Null wird das nicht gehen. 

Wenn Sie SPD-Vorsitzende werden, fordern Sie, sofort bei dem Paket nachzusteuern, obwohl wichtige Gesetze schon vom Bundestag verabschiedet sind? 
Esken: Ja, weil wir der Auffassung sind, dass der CO2-Preis so nicht wirkt. Das haben ja auch Fachleute ziemlich schnell festgestellt, und zwar noch an dem Tag, als das Klimapaket verabschiedet wurde. 

Was fehlt Ihnen konkret? 
Esken: Oft wird ja argumentiert, den Leuten sei ein höherer CO2-Preis erst zuzumuten, wenn es Alternativen etwa im öffentlichen Nahverkehr gibt. Nimmt man jetzt die gesamten Einnahmen aus dem neu geschaffenen Emissionshandel und zahlt eine bestimmte Summe pro Kopf zurück, gibt es eine anständige Kompensation und es ist jedermann möglich, der heute noch nicht umsteigen kann, im Übergang einen höheren Spritpreis zu zahlen.

Dann könnte auch eine Tonne CO2 40 Euro kosten, wie Sie fordern und nicht zehn, wie im Klimapaket verabschiedet? 
Esken: Ja, denn dann gibt es einen echten und sozial gerechten Ausgleich. 

Trotzdem hätte es bei einem höheren CO2-Preis womöglich einen öffentlichen Aufschrei gegeben. Umfragen zeigen, dass die Menschen zwar mehr Klimaschutz, aber keineswegs dafür mehr zahlen wollen. 
Walter-Borjans: Der überwiegende Teil der Leute müsste bei einem CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne und dem Konzept der Klimaprämie doch gar nicht mehr zahlen. Es ist, und das wird gerne ausgeklammert, eine Verteilungsfrage. Wenn ein hoher CO2-Preis damit einhergeht, dass pro Kopf durch eine Art Klimaprämie entlastet wird, geht das ausschließlich zulasten höherer Einkommen. 

Das müssen Sie erklären. 
Walter-Borjans: Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung sind für 50 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn es einen hohen Preis gibt und gleichzeitig aber eine hohe Rückzahlung über eine für alle gleiche Klimaprämie, dann hätten Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen bei einem hohen CO2-Preis sogar schon ohne Verhaltensänderung eine Entlastung. CO2-minderndes Verhalten würde aber umso höher belohnt.

Wenn Sie so davon schwärmen, wundert man sich schon, warum sich die SPD bei der Klimaprämie nicht durchgesetzt hat.
Esken: Wie gesagt, die SPD hat aus den Verhandlungen zu wenig rausgeholt. Deshalb müssen wir an das Paket noch mal ran. Falls das nicht passiert, werden wir im Fall, dass wir SPD-Vorsitzende werden sollten, in der Partei dafür werben, die Koalition infrage zustellen.

Was würden Sie neben CO2-Preis und Klimaprämie noch zur Nachbesserung am Klimapaket einfordern? 
Esken: Mit Sicherheit auch die Abstandsregelung bei der Windkraft. Wir bleiben da weit hinter dem zurück, was wir machen könnten. Ich blicke auch nach Baden-Württemberg, wo es nicht besser ist, obwohl wir einen grünen Ministerpräsidenten haben. Auch dort wird vor Gericht um jedes neue Windrad gestritten. Jetzt haben wir im Klimapaket festgeschriebene Abstandsregelungen von 1000 Metern. Das ist kein kluger Schachzug, und wir zerstören nach der Solarzellenherstellung eine weitere Branche im Segment der erneuerbaren Energien.

Viele Leute wollen aber keine Windräder am Horizont sehen. Wie wollen Sie mehr Akzeptanz schaffen für Windkraft? 
Esken: Die Leute leben mit Hochspannungsmasten in ihrer nahen Umgebung, sie akzeptieren Mobilfunkmasten. Die sehen auch nicht schön aus. Da muss man jeweils vor Ort für die Windkraft werben. Da muss auch die Kommune Überzeugungsarbeit leisten, die ja aus der Verpachtung von Flächen für Windparks Einnahmen generieren kann. 

Es muss mehr das Bewusstsein dafür herrschen, dass man nicht die große Energiewende fordern kann, ohne lokal etwas dazu beizutragen. Wir schaffen die saubere Energieversorgung nicht allein über Windkraftanlagen auf hoher See oder Solarstrom aus der Wüste.

Muss jeder seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten? 
Esken: Auch, aber nicht nur. Wir müssen von der Erzählung wegkommen, dass Klimaschutz alleine in der Verantwortung des Verbrauchers liegt. Es liegt doch auch der große Umbau der Industrie vor uns, da müssen wir eine schärfere Gesetzgebung für Klimaschutz durchsetzen, wie wir es auch für die Luft- und Wasserreinhaltung getan haben.

Das haben wir damals schon als rot-grüne Koalition umgesetzt, mit großen Befürchtungen, dass die Industrie daniederliegen würde, wenn wir mit solchen Grenzwerten daherkommen. Tatsächlich haben wir eine technologische Innovationswelle ausgelöst, die ein Alleinstellungsmerkmal weltweit war und zum Wettbewerbsvorteil wurde.

Die Union würde Ihnen jetzt wohl vorwerfen, dass Sie Klimaschutz vor allem mit mehr Verboten durchsetzen möchten. 
Walter-Borjans: Ich habe neulich bei der Ehrung von Klaus Töpfer durch die Kanzlerin genau hingehört. Da haben beide gesagt, dass stringente Klimapolitik selbstverständlich auch Verbote umfassen wird. Es geht nicht um ein Verbot an sich, aber es gibt viele Ge- und Verbote, die unser Leben sicherer machen: Es ist verboten, mit zu viel Alkohol im Blut Auto zu fahren oder sich nicht anzuschnallen. 

Mit Begriffen wie „Verbotspartei“ soll der Eindruck erweckt werden, dass ungebremster Egoismus die beste Triebfeder für das Gemeinwohl ist. Das ist Unsinn. Freiheit endet immer da, wo sie zur Unfreiheit anderer wird.

Kohleausstieg und Verbrennerverbot – das kann durchaus an Existenzen gehen. Der Kohlekumpel oder der KfZ-Mechaniker, das sind traditionell Wähler der SPD. Wollen Sie die nicht halten?  
Walter-Borjans: Der nachhaltige Umbau unseres Wirtschaftens und Konsumierens darf nicht zu Verwerfungen führen oder gar Existenzen bedrohen. Es ist Aufgabe der Politik, für einen Wandel zu sorgen, der nicht auf dem Rücken der Kohlekumpel oder Arbeiter in der Autozulieferindustrie ausgetragen wird. Das macht der Markt nicht von selbst. Die sozialen Folgen dessen, was nötig ist, nehmen wir ganz besonders in den Blick und dafür wollen wir zusammen mit innovativen Unternehmern akzeptable Lösungen finden. Das unterscheidet unseren Ansatz auch im Wesentlichen von der Klimapolitik der Grünen.

Esken: Aber wir müssen da auch ganz ehrlich sagen, dass genauso wie Einzelpersonen auch Branchen, allen voran die Automobillobby, eine gewisse Abneigung gegen Veränderung haben und sich ohne den nötigen Veränderungsdruck nicht wandeln. Dass es mit dem Verbrennungsmotor zu Ende geht, das ist doch schon länger klar.  

Wenn die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg in Deutschland wählen dürfte: würde sie mit Blick auf die Klimapolitik Sie beide unterstützen oder das Grünen-Duo Baerbock/ Habeck?
Esken: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich sie nicht kenne. Innerhalb unserer eigenen Partei ist es jedenfalls so, dass uns die jungen Menschen offenbar zutrauen, dass wir für ihre Zukunft und für die des Planeten Verantwortung übernehmen sollten. 

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