Die ausgebremste Kanzlerin: Angela Merkel will es in der Klimapolitik nochmal wissen
Angela Merkel deutet an, dass Deutschland sich der Klima-Initiative von Macron anschließen wird. Doch die Vorbehalte in Koalition und Bevölkerung sind groß.
Angela Merkel kommt im roten Blazer. Auf Rot stehen auch die Zeichen beim Klimaschutz. Doch von Bildern im roten Anorak vor schmelzenden Eisbergen in Grönland ist sie derzeit weit entfernt, ihr Ruf als Klimakanzlerin hat schwer gelitten. Aktivisten von Greenpeace demonstrieren am Brandenburger Tor mit dem Schriftzug „Last Exit“, geformt aus Eisblöcken, während Merkel das Konferenzzentrum am Pariser Platz zum 10. Petersberger Klimadialog betritt. „Erfolgreiche Klimapolitik wird an der Menge an eingesparten Emissionen gemessen, nicht an der Anzahl an Klimadialogen und Gesprächskreisen, zu denen die Kanzlerin einlädt“, sagt die Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner.
Bei dem Dialog, benannt nach der ersten Auflage auf dem Petersberg bei Bonn, hat die Kanzlerin den Vertretern von 35 Staaten am Dienstag wenig Neues anzubieten. Ein Meilenstein soll in Deutschland der Kohleausstieg bis 2038 werden. Das große Sorgenkind bleibt daneben der kaum gebremste Treibhausgasausstoß – zum Beispiel im Verkehr. „Wir müssen gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Wandel hinbekommen“, sagt Merkel – und das ist gerade das Kernproblem. Ihr Kabinett soll kommende Woche als wichtigen Etappenschritt Eckpunkte mit milliardenschweren Maßnahmen für den Strukturwandel in den betroffenen Kohleregionen beschließen.
Und nachdem sie erst gebremst hatte beim jüngsten EU-Gipfel im rumänischen Sibiu, kündigt sie nun an, die Bundesregierung werde beraten, ob man sich der Initiative von neun EU-Ländern anschließen kann, die bis 2050 den Treibhausgasausstoß auf null fahren wollen (genannt Klimaneutralität). „Ich würde mir wünschen, dass wir das können“, sagt Merkel.
Umweltministerin Schulze stellte sich gegen Merkel
Es ist ein beachtliches Schauspiel, das die Bundesregierung in Sachen Klimapolitik derzeit abliefert: Eine CDU-Kanzlerin, die rhetorisch weiter die Klimakanzlerin gibt, aber die gerade von der eigenen Partei und ihrer neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ausgebremst wird. Eine Umweltministerin in Merkels Kabinett, Svenja Schulze von der SPD, die viel ankündigt, aber wenig umgesetzt bekommt – und die sich nun gegen die Kanzlerin an die Seite des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gestellt hat.
Macron hatte sich beim jüngsten EU-Gipfel mit weiteren EU-Regierungen dafür eingesetzt, dass das Staatenbündnis in gut 30 Jahren unterm Strich keine Treibhausgase mehr ausstößt. Merkel hatte sich dem nicht angeschlossen und auf abweichende deutsche Klimaschutz-Ziele verwiesen. Bisher soll der Treibhausgas-Ausstoß der Bundesrepublik bis 2050 um 80 bis 95 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen.
Aktuell verpasst Deutschland sowohl die selbst gesetzten als auch die von der EU vorgeschrieben Ziele. Nun aber will Merkel schauen, ob man doch der Macron-Initiative folgen soll. Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 werden sich EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem nächsten Gipfel am 20. und 21. Juni befassen. Der Termin ist deshalb wichtig, weil es der letzte Gipfel vor dem Climate Change Summit von UN-Generalsekretär Antonio Guterres im September ist. Guterres will dort die Kräfte für mehr Klimaschutz bündeln, denn bisher ist weltweit bei weitem nicht das Nötige passiert.
Das aktuelle Ziel Deutschlands und der EU, die Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu senken, sei sowieso kein Ziel, sondern ein Korridor, sagt Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht. Er hält es für sehr wichtig, sich ein genaues Ziel zu setzen. „Ohne konkretes Ziel fehlt der Maßstab, um zu bewerten, ob und inwieweit ein Instrument geeignet ist“, sagt er. „Vielleicht fürchten das viele und sind deshalb gegen Zielfestlegungen.“
Nullemissionen als Ziel sind gegenüber einem Zielkorridor deshalb so wichtig, weil dann niemand mehr auf die verbleibenden Emissionen spekulieren dürfte, schreibt der britische Klimaexperte Richard Black. Bisher könne sich noch jeder Sektor, in dem sie Emissionen besonders schwer zu reduzieren sind, auf den Restanteil Hoffnungen machen. Die Stahl- und Zementindustrie oder die Landwirtschaft beispielsweise. Das würde sich mit einem Nettonullziel ändern.
Das Pariser Abkommen hat gelitten
Bis Ende des Jahres will die große Koalition alle Maßnahmen in einem Klimaschutzgesetz bündeln – aber schon die letzten Wochen haben gezeigt, dass der große Wurf sehr konfliktreich werden dürfte.
Die Kanzlerin war es selbst, die nach dem Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen den Petersberger Klimadialog von rund 35 Staaten ins Leben gerufen hatte, um dem Klimaschutz wieder mehr Schwung zu verleihen. Letztlich gelang dann mit dem Klimavertrag von Paris 2015 der erste globale Klimavertrag, mit dem fast 200 Staaten durch eigene Maßnahmen dazu beitragen wollen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu halten.
Doch gerade durch den Ausstieg der US-Regierung von Donald Trump hat das Abkommen gelitten. Allerdings darf nicht verkannt werden, wie auch zahlreiche US-Bundesstaaten einfach auf eigene Faust dazu beizutragen versuchen, auf klimafreundlichere Technologien umzustellen. Und große Konzerne sind längst zum Treiber geworden – auch die Finanzindustrie, die zunehmend auf grüne Investments umstellt – Teile der Automobilindustrie forcieren den Umstieg auf die E-Mobilität.
Kretschmer lehnt radikalen Umstieg ab
Doch Deutschland hinkt hinterher, auch weil die Bundesregierung fürchtet, die Bürger zu überfordern. Vor allem CDU und CSU stehen auf der Bremse, wobei auch die SPD die Sorge um die sogenannten kleinen Leute umtreibt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt auf die Frage, ob er Sorge habe, dass Klimaschutz das neue Mobilisierungsthema der AfD werden könne? „Wir sind zumindest erfolgreich dabei, den Menschen Angst zu machen. Forderungen nach einem radikalen Umstieg sorgen für Abwehr. Besser ist Schritt für Schritt an Lösungen zu arbeiten.“
Das Ganze sei ein globales Thema. „Wir treten mit dem Kohleausstieg und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz unglaublich in Vorleistung, jetzt muss das erstmal geordnet werden: Netze bauen, ebenso Speicher.“ Zudem könnten deutsche Unternehmen anderen Ländern, die ihre Kraftwerke nicht abschalten wollen, helfen, diese klimafreundlicher zu machen.“
Einig ist man sich irgendwie, dass der Kohlendioxid-Ausstoß teurer werden soll, um dadurch Anreize zum Einsparen zu schaffen. Doch die Union ist mehrheitlich gegen eine CO2-Steuer, auch wenn es Modelle gibt, um gerade unteren Einkommen und Pendlern die Kosten wieder zurückzuerstatten. Die, die zum Beispiel mit großen Karossen mehr Kohlendioxid verursachen, sollen mehr zahlen. Die Union will aber lieber den EU-weiten Handel von Unternehmen mit Verschmutzungsrechten auch auf den Gebäude- und Verkehrsbereich ausdehnen. Unterm Strich kostet auch das mehr, und Unternehmen, zum Beispiel Ölraffinerien würden das wiederum auf die Preise aufschlagen.
Mehrheit der Deutschen ist gegen CO2-Steuer
Doch wie ambivalent und damit schwer zu lösen das Thema ist, zeigen aktuelle Zahlen des ZDF-Politbarometers. 68 Prozent sagen, dass in Deutschland zu wenig für den Klimaschutz getan werde – zugleich ist eine klare Mehrheit von 61 Prozent gegen die Einführung einer CO2-Steuer auf fossile Brennstoffe, selbst wenn dabei steuerliche Entlastungen in anderen Bereichen eingeführt würden – davon 75 Prozent der AfD-Anhänger, aber auch bei Union (70 Prozent) und SPD (58 Prozent) gibt es eine Ablehnung. Wie ernst die Lage ist, zeigt die Nachricht, dass US-Wissenschaftler nun die höchste CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre seit Beginn ihrer Aufzeichnungen registriert haben. Das Mauna Loa Observatorium in Hawaii, das seit den 1950er Jahren Messungen vornimmt, verzeichnete am Samstag 415,26 Teile pro Million (ppm).
CO2 Emissionen reduzieren ist das eine. Ich denke aber, dass man auch stark in Forschung investieren muss, um technische Wege zu finden, um CO2 zu binden und das gebundene CO2 wiederum als Rohstoff nutzen zu können.
schreibt NutzerIn B
Zuletzt waren die CO2-Werte vor drei Millionen Jahren so hoch. „Das zeigt, dass wir überhaupt nicht auf dem richtigen Weg sind, um das Klima zu schützen. Der Wert steigt jedes Jahr weiter an", sagte Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung der Nachrichtenagentur AFP. Die vergangenen vier Jahre waren die bislang wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn. Trotz des Pariser Klimaabkommens und eines wachsenden Problembewusstseins der Öffentlichkeit wird Jahr für Jahr mehr CO2 freigesetzt. Die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche ist seit der vorindustriellen Zeit um ein Grad gestiegen.
So wird auch Merkel dadurch unter Druck gesetzt – von der Straße machen ihr zudem die Schüler und Studenten der Fridays-for-Future-Bewegung Dampf. Anfang der Woche berichtete ein Solinger Schulleiter Merkel, wie er den Schülern die Teilnahme an den Demonstrationen ermögliche, ohne dass dadurch Prüfungen verpasst würden. „Ich setze auf Leute wie Sie“, lobte die Kanzlerin und betonte: „Die jungen Menschen machen uns Dampf. Ich finde das auch richtig“. Es breche einem fast das Herz, wie Raubbau an der Natur betrieben werde. Sie werde bis zum Ende ihrer Amtszeit alles daran setzen, dass die Bundesregierung ihr Klima-Etappenziel schaffe, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Nach ihrem persönlichen Beitrag gefragt, betonte sie bei dem Treffen: „Mein Haus habe ich der Wärmedämmung unterworfen.“