Feier zu 70 Jahre Grundgesetz: Steinmeier ruft Bürger zum Einmischen auf
Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes sorgt sich der Bundespräsident um Vereinzelung in der Gesellschaft. Rückzug stärke Populisten.
Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die schwächer werdenden gesellschaftlichen Bindungen bedauert. "Man spürt das im Alltag - im Bus oder in der U-Bahn: Smartphone raus, Kopfhörer rein", sagte Steinmeier am Donnerstag bei einer Veranstaltung in seinem Berliner Amtssitz Schloss Bellevue laut Redetext. "Wir gehen nicht mehr in den Sportverein, sondern ins Fitnessstudio - abstrampeln am Einzelgerät, Blick fest auf den Bildschirm geradeaus."
Steinmeier warnte vor den gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung: "Wer sich zurückzieht, der bleibt mit seinen Fragen allein." Dies führe rasch zu einem Gefühl der Ohnmacht. "Ohnmacht ist Gift für die Demokratie", warnte der Bundespräsident. "'Denen da oben bin ich doch egal', heißt es dann schnell. Populisten machen sich solche Gefühle perfide zunutze: Sie münzen berechtigte Sorgen um in blinde Wut."
Steinmeier rief die Bürger dazu auf, sich aktiv in die Gestaltung des Landes einzumischen. „Im Grundgesetz steht nicht „Alles Gute kommt von oben“, sondern da steht „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus““, sagte er am Donnerstag in Berlin. Zugleich forderte Steinmeier eine Versachlichung der öffentlichen politischen Debatte in Deutschland. „Bei aller Freiheit und selbst im Eifer des Streits muss etwas gewahrt bleiben, das sich vielleicht in zwei Begriffen zusammenfassen lässt - Anstand und Vernunft. Ohne Anstand und Vernunft gelingt keine demokratische Debatte.“
Steinmeier hatte aus Anlass des Verfassungsgeburtstages 200 Bürger aus ganz Deutschland zur Kaffeetafel in den Park von Schloss Bellevue eingeladen. 22 Tische auf Golfplatz-kurzem Rasen, vor lila und rosa blühenden Rhododendren, eingedeckt mit weißem Goldrand-Geschirr, darauf kleine Obst-Törtchen, türkisches Baklava-Gebäck sowie frische Himbeeren und Brombeeren - das war der Rahmen. „Einen entspannten Nachmittag kann ich Ihnen nicht versprechen“, sagte der Gastgeber zwar und spielte darauf an, dass ja ernsthaft über den Zustand der Republik diskutiert werden sollte. Aber die Szenerie wirkte dann doch wie eine entspannte Gartenparty.
Eingeladen waren ein Polizist ebenso wie ein Schlachtermeister, ein Sänger, eine Ordensschwester, ein kurz vor dem Ruhestand stehender Berufssoldat mit Kosovo- und Afghanistan-Erfahrung, ein aus Damaskus geflohenes Geschwisterpaar und viele mehr.
Außer Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender saßen die Spitzen des Staates mit an den Tischen: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident Daniel Günther (alle CDU) und Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle, dazu die zweite Reihe wie die Bundestags-Vizepräsidenten Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP) und Claudia Roth (Grüne).
Eine Art Speeddating zum Grundgesetz
Moderiert wurden die Runden von Prominenten wie dem Regisseur Sönke Wortmann, dem Sänger Roland Kaiser, dem Blogger Sascha Lobo oder der Journalistin Sandra Maischberger. Damit möglichst viele Gäste in Kontakt mit den Spitzen der Verfassungsorgane kommen konnten, wechselten diese alle 20 Minuten die Tische - eine Art Speeddating zum Grundgesetz. Diskutiert wurde über ernste Themen wie die soziale Spaltung der Gesellschaft, das Gefälle zwischen Stadt und Land, die noch immer bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West oder Bildungsfragen.
Einen Akzent setzte Steinmeier mit seinem Plädoyer für „Anstand und Vernunft“ in der politischen Debatte selbst: „Auch deshalb sind wir heute hier: Weil wir nicht wollen, dass Hass und Feindseligkeit wie Gift in unsere Debatten sickern“, sagte er. „Weil wir nicht wollen, dass die Unterscheidung von Fakten und Lügen verloren geht. Weil wir nicht wollen, dass die Lautstärke von Diskussionen mit ihrer Dringlichkeit verwechselt wird.“ Das gelte im Internet ebenso wie auf Straßen und Plätzen. „Überlassen wir unsere Debatten doch nicht den Lautsprechern und politischen Randalinskis“, forderte Steinmeier und bekam dafür Beifall von seinen Gästen.
Die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen
Er appellierte an die Verantwortlichen in Politik und Medien, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen und aufzugreifen, um diesen nicht ein Gefühl der Ohnmacht zu geben. „Ohnmacht ist Gift für die Demokratie“, warnte Steinmeier. „Populisten machen sich solche Gefühle auf perfide Weise zunutze. Sie missbrauchen solche Gefühle und münzen berechtigte Sorgen um in blinde Wut.“
Das Grundgesetz war am 23. Mai 1949 verkündet worden und anschließend für die Bundesrepublik in Kraft getreten. Im selben Jahr gab sich die DDR eine eigene Verfassung. Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde das Grundgesetz die gesamtdeutsche Verfassung.
Mit der Kaffeetafel beim ersten Mann des Staates enden die Feiern noch nicht. Am Abend sollte in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts, ein mehrtägiges Verfassungsfest beginnen. Auch hier sieht das Programm viele Möglichkeiten zum direkten Kontakt zwischen Bürgern, Politik und Justiz vor - ganz im Sinne Steinmeiers. (AFP, dpa)
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