Rede zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion: Steinmeier fordert mehr Anerkennung für sowjetische Kriegsopfer
Der Bundespräsident erinnert an den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion - und verneigt sich symbolisch vor den Opfern.
Das Foto, von dem der Bundespräsident berichtet, zeigt auf den ersten Blick nur Bäume. „Bei genauem Hinsehen erkennt man: Es sind Bäume ohne Blätter, ohne Zweige, ohne Rinde. Sowjetische Kriegsgefangene haben sie mit bloßen Händen von den Stämmen gekratzt, um nicht den Hungertod zu sterben“, sagte Frank-Walter Steinmeier am Freitag bei der Eröffnung der Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens: sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“ im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst.
Das Foto vermittele einen Eindruck vom Grauen in dem ostwestfälischen Kriegsgefangenenlager, in dem es entstand. Ganz in der Nähe dieses Ortes ist Steinmeier aufgewachsen, doch von dem Lager und den Verbrechen dort erfuhr er in seiner Schulzeit nichts.
Der Bundespräsident hält bei der Ausstellungseröffnung zugleich seine zentrale Gedenkrede zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion. Diese Rede sei ihm außerordentlich wichtig, hieß es vorab aus dem Präsidialamt. Steinmeier verweist darauf, dass kein anderer Staat im Zweiten Weltkrieg mehr Opfer zu beklagen hatte als die Sowjetunion. „Und doch sind diese Millionen nicht so tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, wie ihr Leid, und unsere Verantwortung, es fordern.“
Die Wehrmacht hatte am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen. In den von den Deutschen besetzten Gebieten, vor allem in der Ukraine, in Belarus und in Russland, begann ein Vernichtungskrieg, in der Ukraine, in Belarus und in Russland. Insgesamt wurden 27 Millionen Menschen getötet, 14 Millionen von ihnen waren Zivilistinnen und Zivilisten. „Die diesen Krieg führten, töteten auf jede erdenkliche Weise, mit einer nie dagewesenen Brutalität und Grausamkeit“, sagt Steinmeier. „Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei.“
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Was den Bundespräsidenten umtreibt, ist neben dem Ausmaß des verbrecherischen Vernichtungskrieges der Deutschen gegen die Sowjetunion auch der Umgang mit dieser Geschichte in Deutschland. „Schauen wir überhaupt dorthin, in den viel zu unbekannten Osten unseres Kontinents?“, fragt Steinmeier. Orte wie Babyn Jar in der Ukraine, Rschew in Russland und Malyj Trostenez in Belarus seien auch Orte deutscher Geschichte.
Es sei „nicht weniger als ein Wunder“, dass Deutsche heute von den Menschen in Belarus, der Ukraine und Russland gastfreundlich empfangen würden, dass sie dort willkommen seien. Er würde sich wünschen, dass junge Menschen die „vergessenen Orte im Osten unseres Kontinents“ aufsuchen, betont der Bundespräsident.
„Ich verneige mich in Trauer vor den ukrainischen, belarusischen und russischen Opfern“
Viele der Opfer, beispielsweise die sowjetischen Kriegsgefangenen, fanden in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Bundesrepublik nur wenig Beachtung. Das Schicksal der deutschen Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft habe das Interesse am Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen überlagert. „Es lastet auf uns, dass wir den Opfern viel zu lange Anerkennung, auch Anerkennung durch Erinnerung, verwehrten“, betont der Bundespräsident. Diese Anerkennung holt er in seiner Rede symbolisch nach: „Ich verneige mich in Trauer vor den ukrainischen, belarusischen und russischen Opfern – vor allen Opfern auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.“
Aus der Versöhnung erwachse für Deutschland große Verantwortung: „Wir wollen und müssen alles tun, um Völkerrecht und territoriale Integrität auf diesem Kontinent zu schützen, und für den Frieden mit und zwischen den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.“ Damit spielt Steinmeier auf den Krieg in der Ukraine und die russische Annexion der Krim an.
Ukrainischer Botschafter hatte Teilnahme abgesagt
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sagte vor wenigen Tagen seine Teilnahme an der Ausstellungseröffnung ab. Dass die zentrale Gedenkrede des Bundespräsidenten im Deutsch-Russischen Museum stattfinde, sei für die Ukrainer ein „Affront“. Melnyk kritisierte zudem eine Gleichsetzung von sowjetischen und russischen Opfern. Möglicherweise wäre die ukrainische Reaktion weniger heftig ausgefallen, wenn nicht Steinmeier in einem Interview im Zusammenhang mit dem deutschen Engagement für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 die sowjetischen Kriegsopfer erwähnt hätte.
In seiner Rede geht Steinmeier nicht direkt auf die diplomatische Verstimmung ein. Allerdings weist er darauf hin, dass das Deutsch-Russische Museum von 17 Institutionen aus vier Nationen getragen werde. Im Trägerverein sind zwar Museen aus Deutschland, Russland, der Ukraine und Belarus. Allerdings ist nur die russische Regierung darin offiziell vertreten, sogar gleich mit drei Ministerien.
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