Ukrainischer Botschafter sagt Teilnahme ab: Eklat um Gedenken an deutschen Überfall auf die Sowjetunion
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält im Deutsch-Russischen Museum die zentrale Gedenkrede. Die Ukraine spricht von einem „Affront“.
Unaussprechliches Leid brachte die deutsche Wehrmacht über den Osten Europas, als sie am 22. Juni 1941 ihren Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begann. Kein anderer Staat hatte so viele Opfer zu beklagen, etwa 27 Millionen Sowjetbürger wurden während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen getötet. Hinter der Front errichteten die Nationalsozialisten eine Terrorherrschaft, die SS und die so genannten Einsatzgruppen waren für Massenerschießungen verantwortlich. Zum 80. Jahrestag soll in Deutschland an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnert werden. Doch wenige Tage vorher ist es zu einem diplomatischen Eklat gekommen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet am Freitag im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst eine Ausstellung über sowjetische Kriegsgefangene. „Dies wird die zentrale Gedenkrede des Bundespräsidenten aus Anlass des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion sein“, teilte das Bundespräsidialamt mit. Doch an dieser Veranstaltung werden nicht alle Vertreter der Opfer teilnehmen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte seine Teilnahme an der Gedenkveranstaltung ab.
Dass die zentrale Gedenkrede des Bundespräsidenten zum 80. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion ausgerechnet im Deutsch-Russischen Museum stattfinde, sei „aus Sicht der Ukrainer ein Affront“, betonte Melnyk in seiner Absage, die dem Tagesspiegel vorliegt. „Dieses unsensible Herangehen ist ein weiteres Zeugnis fehlenden Bewusstseins für die Gefühle und die Befindlichkeiten der Ukrainer, die als eine der größten Opfernationen übersehen werden.“
Botschafter kritisiert Gleichsetzung der Sowjetunion mit Russland
In seinem Schreiben an den Museumsdirektor Jörg Morré verweist der Botschafter darauf, dass die Bezeichnung Deutsch-Russisches Museum „völlig irreführend“ sei, schließlich sei die Dauerausstellung dem Vernichtungskrieg von Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion gewidmet. „Auf diese Weise wird de facto die UdSSR mit Russland gleichgesetzt, was eine Geschichtsverdrehung darstellt und vehement abzulehnen ist.“
Zugleich kritisierte Melnyk, dass Russland ein „Monopol“ auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg für sich beanspruche. „Dass die Ukrainer einen gewichtigen Beitrag zur Befreiung Europas von der NS-Herrschaft geleistet und dabei einen extrem hohen Blutzoll gezahlt haben, wird zugleich zynisch kleingeredet oder gar bestritten.“
Tatsächlich war die Ukraine im Zweiten Weltkrieg zeitweise vollständig von den Deutschen besetzt, sie wurde damit zu einem Hauptschauplatz des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges. Acht Millionen Ukrainer wurden getötet, fünf Millionen von ihnen waren Zivilisten. Drei Millionen ukrainische Rotarmisten fielen im Kampf gegen die Deutschen oder wurden in den Kriegsgefangenenlagern auf grausame Weise ums Leben gebracht. Doch in der deutschen Erinnerungskultur werden die sowjetischen Opfer bis heute oft mit den russischen gleichgesetzt.
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„Die Schuld der Deutschen für die Nazi-Verbrechen wird nach wie vor nur gegenüber Russland und den Russen in Betracht gezogen“, kritisiert Melnyk. „Dabei werden andere Nationen wie die Ukrainer, die aufs Massivste gelitten haben, aber auch Belarus und die baltischen Länder, schlicht und einfach ignoriert.“ Die deutsche Gedenkpolitik müsse „dringend auf den Prüfstand“, fordert der Botschafter.
Zu den Trägern des Museums, in dem Steinmeier am Freitag spricht, gehören das russische Außen- sowie das Verteidigungsministerium.
Steinmeier werde keine Opfergruppe ausblenden, wird versichert
Der Bundespräsident werde in seiner Rede an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und die Verdienste aller Soldatinnen und Soldaten, die in den Reihen der Roten Armee kämpften, bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus erinnern, sagte eine Sprecherin Steinmeiers. „Dabei wird keine Opfergruppe ausgeblendet.“ Dem Bundespräsidenten sei es „ein besonderes Anliegen, dass die Erinnerung an die Gräuel des deutschen Vernichtungskrieges nicht zu neuen Spaltungen und nationalen Gegensätzen führt“, betonte die Sprecherin. Dies werde er auch in seiner Rede deutlich machen. Insbesondere vor diesem Hintergrund sei es bedauerlich, „dass der ukrainische Botschafter bei der Würdigung der Opfer aus allen Nationen nicht vertreten sein wird“.
Bereits im vergangenen Jahr hatte es einen Eklat um eine Gedenkveranstaltung gegeben. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte den russischen und den ukrainischen Botschafter gemeinsam zu einer Kranzniederlegung eingeladen. Melnyk sagte wegen der Rolle Russlands im Ukraine-Krieg ab. Seit 2015 nehmen Vertreter beider Staaten nicht mehr gemeinsam an Gedenkveranstaltungen teil.