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Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) fordert Corona-Hilfen für Spanien, Italien und Frankreich.
© picture alliance/dpa

Deutsche EU-Präsidentschaft: Staatsminister Roth fordert Kürzung von EU-Geldern für Rechtsstaats-Sünder

Polen und Ungarn sind Rechtsstaats-Sünder in der EU. Staatsminister Roth hofft auf einen Durchbruch bei der möglichen Kürzung von EU-Geldern für solche Länder.

Der deutsche Botschafter bei der EU, Michael Clauß, zeigte sich jüngst bei einer virtuellen Diskussionsveranstaltung in Brüssel besorgt. „Da gibt es eine Menge Tücken“, sagte Clauß angesichts der Videotechnik, von der am Ende das Gelingen der bevorstehenden deutschen EU-Präsidentschaft abhängen könnte. Mit den Briten will die EU ein Handelsabkommen schließen, eine Einigung über den künftigen Etat der Europäischen Union muss gefunden, und auch das Verhältnis zu China soll unter deutschem Vorsitz neu justiert werden. Doch durch die Pandemie könnte in Brüssel die Zeit für all diese Themen knapp werden.

Botschafter Clauß rechnet mit physischen Treffen wohl erst ab Herbst

Nach der Einschätzung von Clauß können derzeit durch die Umstellung auf den Videomodus nur 30 Prozent der Brüsseler Kapazitäten aktiviert werden, über die eine EU-Präsidentschaft normalerweise verfügt. Wann die physischen Treffen zwischen Staats- und Regierungschefs sowie den Fachministern in der EU-Hauptstadt, die sonst beim Kompromisseschmieden unerlässlich sind, wieder aufgenommen werden, lässt sich nach den Worten des Botschafters noch nicht absehen. Vielleicht sei das schon im Sommer der Fall, vermutlich aber erst im Herbst.

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Am 1. Juli übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr den rotierenden EU-Vorsitz, und schon jetzt sind die Erwartungen bei den EU-Partnern gewaltig. Unter dem gegenwärtigen kroatischen Vorsitz ist es bereits gelungen, ein 540-Milliarden-Paket für Kurzarbeiter, Unternehmen und Staaten in der Gemeinschaft gegen den unmittelbaren Schock in der Corona-Krise zu beschließen. Kompliziert wird die Sache aber, wenn es um die geplanten Konjunkturhilfen geht, mit der vor allem Italiens Wirtschaft wieder angeschoben werden soll. Finanzierung, Umfang und Bedingungen sind völlig offen - die Lösung wird demnächst vom deutschen EU-Vorsitz erwartet.

So lange Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschef Giuseppe Conte und all die anderen Staats- und Regierungschefs der EU dabei bei der Diskussion um den so genannten Wiederaufbaufonds nur virtuell tagen können, könnten die vom deutschen EU-Botschafter beklagten Tücken der Videokonferenzen zum Problem werden. „Sie wissen nicht wirklich, wer alles in der Leitung ist", so Clauß angesichts der Eigenheiten von Videokonferenzen. Mit anderen Worten: Wenn Merkel und Co. befürchten müssen, dass ihre Versuche, im vertraulichen Gespräch Kompromisslinien auszuloten, an die Öffentlichkeit gelangen, könnte das auch eine Lösung für den Wiederaufbaufonds erschweren.

Michael Roth (SPD), Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, warnt ohnehin davor, den deutschen EU-Vorsitz mit Erwartungen zu überfrachten. „Ich habe nicht den Eindruck, dass es überall einen realistischen Blick auf das Wesen einer Ratspräsidentschaft gibt. Denn es geht nicht darum, sechs Monate lang in Europa zu herrschen, sondern darum, in dieser Zeit zu moderieren, Brücken zu bauen und Impulse zu geben“, sagte er dem Tagesspiegel. Mit Blick auf den umstrittenen Wiederaufbaufonds erinnerte Roth an den Ausspruch ‚Whatever it takes' aus dem Mund des früheren EZB-Chefs Mario Draghi, der nach der Finanzkrise die Euro-Zone stabilisierte. „Auch jetzt, wo es um Arbeitsplätze sowie die wirtschaftliche und soziale Stabilität von Staaten geht, müssen diese Worte Richtschnur für uns sein“, sagte Roth.

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Für den geplanten Fonds ist ein Volumen von einer Billion Euro im Gespräch. Die mögliche Größenordnung, sagte Roth, werde davon abhängen, „wie tief die Krise in den Mitgliedstaaten am Ende sein wird“. Fest steht für den SPD-Politiker indes, dass der nächste EU-Mehrjahreshaushalt für die Jahre zwischen 2021 und 2027, über den unter deutscher Ratspräsidentschaft entschieden werden muss, zu einem wichtigen Instrument im Kampf gegen soziale Verwerfungen und beim Aufbau einer flächendeckenden hochwertigen Gesundheitsversorgung nach der Pandemie werden müsse.

Beim letzten virtuellen EU-Gipfel wurde noch über die Frage gestritten, ob Länder wie Italien Gelder aus dem Fonds lediglich in der Form von Krediten oder auch als Zuschüsse erhalten sollen. „Machen wir uns nichts vor: Allein über Kredite wird es nicht funktionieren. Es muss auch Zuschüsse aus dem Mehrjahreshaushalt für besonders betroffene Länder geben“, sagte Roth dazu. Wenn man aber sicherstellen wolle, dass die Corona-Hilfen tatsächlich nach Spanien, Italien oder Frankreich fließen, dann dürfe man dafür nicht die bisherigen Regeln für die Verteilung von Geldern aus den EU-Strukturfonds zu Grunde legen.

Unionfraktionsvize Katja Leikert befürwortet Wiederaufbaufonds

In der Berliner Regierungskoalition gibt es nicht nur von Seiten der SPD Unterstützung für den Wiederaufbaufonds. Auch die stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschefin Katja Leikert stellt den neuen Geldtopf im Grundsatz nicht in Frage. „Wir haben das größte Interesse daran, mit viel Geld diesen Euro-Raum zu stabilisieren“, sagte sie dieser Zeitung angesichts des Zusammenbruchs der Tourismusbranche in vielen südeuropäischen Ländern.

Der Leipziger EU-China-Gipfel wird anders stattfinden als geplant

Zu den wichtigsten Themen während der deutschen Ratspräsident gehört auch das EU-Verhältnis ausgerechnet zu jenem Staat, in der die Pandemie ihren Ausgang nahm - China. Vor der Corona-Krise war geplant, im September in Leipzig einen EU-China-Gipfel abzuhalten. Ob das Treffen nur virtuell oder doch physisch stattfinden wird, ist weiterhin offen. Auf der Tagesordnung steht ein Investitionsschutzabkommen, von dem sich Unternehmen aus der EU einen besseren Zugang zum chinesischen Markt erhoffen.

„Keine allzu hohen Erwartungen" an den EU-China-Gipfel

Roth erinnerte derweil daran, dass China während der Pandemie mit einer Desinformationskampagne den Eindruck zu erwecken versuchte, „dass rechtsstaatliche Demokratien weniger gut in der Lage seien, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen“. Dennoch dürfe man im Verhältnis zu China nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien denken. „In vielen Bereichen ist Peking ein wichtiger Partner. Andererseits dürfen wir uns keine Illusionen machen: China hat an unseren Werten - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten – kein Interesse“, sagte Roth. Umso wichtiger sei es, wenn die EU bei dem geplanten Gipfel geschlossen auftrete und ein Zeichen setze. „Aber wir sollten keine allzu hohen Erwartungen wecken - mit einem Treffen allein wird sich das Verhältnis zu China nicht fundamental verbessern“, warnte der Staatsminister.

Allerdings führt die EU nicht nur im Verhältnis zu China eine Diskussion über Grundwerte - sondern auch intern. Roth beklagte angesichts der Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien in Polen und Ungarn, dass „das gemeinsame Verständnis von Grundwerten und Rechtsstaatlichkeit in den vergangenen Jahren brüchig geworden“ sei. „Das gefährdet die EU insgesamt.“ Nach seiner Auffassung sei nichts von dem Narrativ zu halten, dem zufolge es angeblich ein von Liberalismus geprägtes westliches Wertesystem und eine traditionelle Werteordnung mit der Betonung auf Recht und Ordnung in Mittel- und Osteuropa gebe.

Nach Ansicht von Roth gibt es zwei wichtige Instrumente, um einer Erosion der Werte in der EU entgegenzuwirken. Zu einen arbeite Deutschland mit vielen anderen Mitgliedstaaten schon seit langem daran, dass die EU künftig Gelder für einzelne Länder kürzen kann, wenn dort systematisch gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen wird. „Ich hoffe, dass uns in diesem Punkt bei den Verhandlungen über den Mehrjahreshaushalt der EU ein Durchbruch gelingt“, sagte er. Zum anderen setzt Roth darauf, dass es demnächst die Möglichkeit für einen Rechtsstaats-Check geben wird - und zwar für alle Mitgliedstaaten. „Damit lässt sich dem Vorwurf begegnen, der vermeintlich arrogante Westen oder Norden der EU würde immer nur einige wenige Länder mit Kritik überziehen, auf die man es abgesehen habe.“

Auch das Karlsruher EZB-Urteil könnte den deutschen Vorsitz beschäftigen

Und schließlich gibt es noch eine Aufgabe für Deutschlands EU-Vorsitz, die erst vor kurzem auf die lange Themenliste gerutscht ist: Der Streit zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg über die Bewertung der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) zwischen 2015 und 2018 muss entschärft werden. Vordergründig wird nach dem Urteil der Karlsruher Richter von der EZB demnächst eine schriftliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erwartet, bei der die damaligen Anleihekäufe noch einmal unter die Lupe genommen werden.

Die Karlsruher Richter haben mit dem EZB-Urteil eine weit reichende Entscheidung getroffen.
Die Karlsruher Richter haben mit dem EZB-Urteil eine weit reichende Entscheidung getroffen.
© dpa

Aber der Streit zwischen den Karlsruher und Luxemburger Richtern geht darüber hinaus an den Grundfesten der EU. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nicht ausgeschlossen. Unionsfraktionsvize Leikert hofft jedenfalls, dass eine weitere Eskalation ausbleibt. Jede Institution - ob nun in Karlsruhe, Luxemburg, Brüssel oder Berlin - müsse sich an ihr Mandat halten, forderte sie. Entscheidend sei zudem, „dass sich die Institutionen nicht grundsätzlich in Frage stellen“.

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