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Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen? Oskar Gröning muss sich vor Gericht verantworten.
© Philipp Schulze/Reuters

Auschwitz-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert 3,5 Jahre Haft für Oskar Gröning

Oskar Gröning soll Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen geleistet haben. Die Anklage fordert dreieinhalb Jahre Haft für den "Buchhalter von Auschwitz"

Am Ende dieses Prozesstages hat Andrew Sternberg Tränen in den Augen. Schweigend umarmt der 86-jährige Auschwitz-Überlebende seinen Anwalt Thomas Walther, der gerade über das nicht endende Leid der Nebenkläger gesprochen hat. Es ist einer der Momente, in denen es in diesem Prozess kaum Worte gibt für das, was gesagt werden müsste.

Das Geschehen, das vor dem Landgericht Lüneburg verhandelt wird, gehe "an die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens", sagte der Erste Staatsanwalt Jens Lehmann in seinem Plädoyer. "Mit den Mitteln des Strafrechts ist es nur schwer zu erfassen." Lehmann beantragte am Dienstag eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für Oskar Gröning. Er sah es als erwiesen an, dass der frühere SS-Unterscharführer in Auschwitz Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen geleistet hat.

Mit Dienstwaffe und in Uniform

Die Zahl der Todesopfer bezieht sich auf die Ermordung der ungarischen Juden von Mai bis Juli 1944, die Lehmann als eine einzige Tat im juristischen Sinne wertete. Der 94-jährige Angeklagte hatte ausgesagt, höchstens dreimal an der Rampe in Auschwitz-Birkenau gewesen zu sein, wo die Züge ankamen. Dies sei eine "verbreitete Schutzbehauptung", sagte der Staatsanwalt, der von einem häufigeren Einsatz Grönings an der Rampe ausgeht.

Mit Dienstwaffe und der Uniform der Waffen-SS sei Gröning dort Teil einer "Drohkulisse" gewesen, "die Widerstand gar nicht erst aufkommen ließ". Auch durch das Sortieren und Verwalten des Geldes der Ermordeten leistete Gröning nach Auffassung des Staatsanwalts einen Beitrag zum "reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie". Das geringe Gewicht dieses Beitrages sei nur für die Strafzumessung wichtig.

"Rechtsstaatswidrige Verzögerung"

Lehmann kritisierte in seinem Plädoyer auch den früheren Umgang der Justiz mit dem Fall Gröning. Bereits 1977 wurde dieser von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main als Beschuldigter geführt. "Das Verfahren hätte bis 1980 abgeschlossen werden können, und es hätte Anklage erhoben werden können", betonte Lehmann. Doch die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main stellte die Ermittlungen gegen Gröning 1985 ein. Dies sei eine "rechtsstaatswidrige Verzögerung", betonte Lehmann. Der geltenden Rechtsprechung zufolge kann deshalb ein Teil der Strafe als verbüßt angesehen werden. Die Staatsanwaltschaft Hannover schlug vor, zwischen 14 und 22 Monate der Strafe anzurechnen.

Die Sichtweise und die Gefühle der Nebenkläger brachte der Anwalt Thomas Walther in seinem Plädoyer noch einmal in den Prozess ein. Er vertritt 51 Angehörige von in Auschwitz ermordeten Juden. Bei ihnen hätten Grönings Äußerungen eine "große Enttäuschung" hinterlassen. Wie alle anderen Täter und Helfer in Auschwitz sei er unfähig, das Wort Mord auszusprechen, stattdessen verberge er sich hinter den Befehlsstrukturen der SS, sagte Walther.

Die Nebenkläger hoffen nun auf Grönings letztes Wort in diesem Prozess. "Er hat nach wie vor die Möglichkeit und Freiheit, die unaussprechlichen Verbrechen konkret zu beschreiben, wenn er nur seine eigene Traumwelt der Verharmlosung und die Wortkargheit bei der Erinnerung des Massenmordes verlässt."

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