Ermittlungen gegen Gregor Gysi: Staatsanwaltschaft erwartet neue Dokumente der Stasiunterlagenbehörde
Die Hamburger Staatsanwaltschaft wird das Verfahren um die Stasikontakte von Gregor Gysi wohl erst 2014 abschließen. Möglicherweise, so die Ermittler, muss noch einmal "ganz groß nachgehakt" werden.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Linken-Fraktionschef Gregor Gysi um dessen frühere Stasikontakte zieht und zieht sich – jetzt nennt die Hamburger Staatsanwaltschaft einen Grund dafür. Sie erwartet in den nächsten Wochen, wie Behördensprecher Carsten Rinio sagte, weitere Dokumente aus der Stasiunterlagenbehörde, nachdem die schon im Frühjahr drei Aktenordner zum Fall nach Hamburg gesandt hatte. „Umfang und Relevanz sind uns nicht bekannt“, erklärt der Behördensprecher am Dienstag dem Tagesspiegel. Damit sei auch offen, ob sich weitere Ermittlungsansätze ergeben, womöglich müsse auch noch einmal „ganz groß nachgehakt“ werden. Auch Gysis Anwälte haben dann noch einmal Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme, abgeschickt worden ist diese bisher nicht. Der Ausgang des Ermittlungsverfahrens wird, realistisch betrachtet, nun erst Anfang kommenden Jahres feststehen.
Rinio betont, der Tatvorwurf gegen Gysi sei bisher nicht ausgeweitet worden. Er indes wiegt schwer genug – und könnte bei einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Gysi, der als Rechtsanwalt in der DDR Oppositionelle verteidigte, hatte im Streit um eine Dokumentationssendung des NDR-Fernsehens im Januar 2011 eidesstattlich versichert: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich oder willentlich an die Staatssicherheit berichtet.“
Gysi mit einem DDR-Dissidenten im Trabant
Um herauszufinden, ob das so weitreichend stimmte, gibt sich die Staatsanwaltschaft viel Mühe – und geht deshalb auch gezielt Einzelheiten nach. Zum Beispiel der Sache mit Thomas Klingenstein. Gysi hatte den Schriftsteller, Maler und DDR-Dissidenten 1979 nach einem Treffen mit Robert Havemann und seiner Frau Katja in Grünheide in seinem Trabant mit nach Berlin genommen; diese Fahrt ist in den Stasiakten vermerkt. Die Stasi-Offiziere haben schon früher zu diesem Fall erklärt, sie hätten bei Gysis „Berichten“ hochgestapelt. Jetzt sollen sie das Argument nachgeliefert haben, Gysis Trabant sei, ohne dass der das wusste, verwanzt worden. Klingenstein, der ebenfalls vor Monaten im Auftrag der Hamburger Staatsanwaltschaft befragt wurde, sagte dazu dem Tagesspiegel, dieses Argument sei ihm bisher „nur als sarkastischer Witz“ begegnet. „Ich halte das für unwahrscheinlich.“ Zum einen sei der Lärmpegel in einem Trabant ziemlich hoch, zum anderen: „Ob das damals technisch so gut möglich war, stelle ich in Frage.“
Offen bleibt auch der Ausgang in einem anderen Fall, der Gysi kürzlich kalt erwischte. Seine wichtige Vertraute, Fraktionsgeschäftsführerin Ruth Kampa, war als DDR-Spionin enttarnt worden. Danach nahm sie erst Urlaub, inzwischen hat sie sich krank gemeldet. Ob sie jemals wieder ihren Dienst antritt, ist unklar. „Wir haben da keine Eile“, heißt es aus der Fraktion. Während die Parteiführung gegen die Regelüberprüfung von Fraktionsmitarbeitern ist, stichelte in diesem Fall Gysis Stellvertreterin Sahra Wagenknecht. Der „Welt“ sagte sie, bei Schlüsselpositionen wie der von Kampa müsse die Fraktion „sicher darüber nachdenken, wie Wiederholungen vermieden werden können“.
Den Fall Gysi hatte Lothar Thoß in Gang gebracht, ein pensionierter Richter. Seine Anzeige liegt mehr als ein Jahr zurück, die Ermittlungen wurden Anfang des Jahres publik. Nachdem der in Rheinland-Pfalz lebende Hobby-Historiker davon ausgehen musste, dass die Ermittlungen vor der Bundestagswahl nicht mehr abgeschlossen werden, schrieb er der Staatsanwaltschaft kurz vor dem 22. September und bot seine Hilfe an. Thoß verwies auf sein geplantes Buch zum Fall. Er habe einige Umstände aufgedeckt, die bisher nicht debattiert worden seien und die den Verdacht gegen Gysi erhärten könnten.
Während die Ermittler auf die Dokumente aus der Stasiaktenbehörde gespannt warten, ließ sie der Brief von Thoß ziemlich kalt. Dessen Buch sei „nicht bekannt“, ließ der ermittelnde Staatsanwalt am Dienstag wissen, „für das Ermittlungsverfahren spielt es keine Rolle“. Behördensprecher Rinio ergänzte: „Auf irgendwelche populärwissenschaftlichen Erkenntnisse warten wir bestimmt nicht.“
Matthias Meisner