Deutscher Menschenrechtler in der Türkei: Staatsanwalt fordert für Peter Steudtner 15 Jahre Haft
Die Türkei beschuldigt den Menschenrechtler, einer Terrororganisation anzugehören. "Nicht akzeptabel" nennt Sigmar Gabriel das verlangte Strafmaß.
Der in der Türkei verhaftete Menschenrechtler Peter Steudtner aus Berlin soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft bis zu 15 Jahre ins Gefängnis. Die Anklagebehörde werfe Steudtner und anderen Aktivisten die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor, meldete die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Anklageschrift.
Steudtner und andere Menschenrechtler waren Anfang Juli bei einem Seminar auf der Insel Büyükada bei Istanbul festgenommen worden. Die Bundesregierung wirft der Türkei wegen der Festnahme Willkür vor und fordert Steudtners Freilassung.
Doch daraus dürfte zumindest vorerst nichts werden. Auch die türkischstämmige deutsche Übersetzerin Mesale Tolu soll in der Türkei für 15 Jahre hinter Gittern; der Prozess gegen sie beginnt an diesem Mittwoch. Deutsche Diplomaten wollen Tolu und Steudtner in den kommenden Tagen besuchen.
Er sehe die Meldungen "mit großer Sorge", sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Sonntag. "Die Forderung nach bis zu 15 Jahren Haft sind für uns vollkommen unverständlich und nicht akzeptabel." Der Sozialdemokrat sprach erneut von "absolut nicht nachvollziehbaren Vorwürfen" gegen Steudtner, an denen die Türkei "unbeirrt" festhalte. Das Auswärtige Amt habe Kontakt zur türkischen Regierung aufgenommen. "Wir setzen weiterhin alles daran, die inhaftierten deutschen Staatsbürger, zu denen auch Peter Steudtner gehört, zurück nach Deutschland zu bringen."
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte sich erst am Wochenende im „Spiegel“ für eine Überwindung der Krise im türkisch-deutschen Verhältnis ausgesprochen. „Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei, auch wenn das vergangene Jahr schwierig war“, sagte er. Die Bundesregierung reagierte auf das Angebot jedoch zurückhaltend. Mit der Anklage gegen Steudtner kommt ein neuer Streitpunkt hinzu.
Özdemir fordert Freilassung "deutscher Geiseln"
Grünen-Chef Cem Özdemir lobte zwar Cavusoglus Entspannungssignal, forderte gleichzeitig aber konkrete Schritte. „Ich begrüße das sehr, dass der türkische Außenminister jetzt doch verbal abrüstet“, sagte Özdemir am Sonntag in Berlin. „Aber erstmal muss die Türkei ihren Beitrag leisten zu einer Normalisierung des Verhältnisses, indem die deutschen Geiseln, die dort seit langem im Gefängnis sitzen, endlich freigelassen werden.“ Erst dann könnten auch Schritte der deutschen Seite folgen.
Özdemir gilt als ein Favorit für das Amt des Außenministers, falls es zu einer Jamaika-Koalition kommt. Aus der türkischen Regierungspartei AKP waren am Wochenende Bedenken gegen ihn als Chefdiplomaten geäußert worden. Özdemir sagte dazu: „Was in Deutschland passiert, wird in Deutschland entschieden, nicht in der Türkei.“
Neben Steudtner sind noch zehn weitere Teilnehmer des Workshops auf Büyükada angeklagt, der unter dem Titel „Stressbewältigung und Datensicherheit“ von einem Zusammenschluss der Menschenrechtsvereine in der Türkei als Fortbildungsangebot veranstaltet wurde. Ein Dolmetscher bei dem Seminar rief die Polizei. „Die anwesenden Personen erörterten, wie man die Daten auf seinem Telefon verschlüsseln könne, um sie vor der Polizei zu verbergen“, gab der Informant laut einem Bericht der Zeitung „Karar“ in seiner Anzeige zu Protokoll.
Eine "Landkarte" zählt zu den wichtigsten Beweismitteln
Kritiker werfen der türkischen Justiz vor, ein harmloses Seminar zu einem illegalen Terror-Treff umzudeuten. Zu den wichtigsten Beweismitteln der Staatsanwaltschaft zählt eine Landkarte, die bei der Razzia auf dem Konferenztisch lag und von der regierungsnahen türkischen Presse als Plan zur Aufteilung der Türkei oder Einsatzplan zur Anstiftung von Massenprotesten im ganzen Land präsentiert wurde. „Karar“ entlarvte die Propaganda mit dem Abdruck der Original-Karte: ein gewöhnliches Blatt Kopierpapier mit einer einfachen Kugelschreiber-Skizze der westlichen Umrisse der Türkei mit ein paar Strichfiguren und unglücklichen Smileys.
Als Entspannungsübung habe Steudtner die Teilnehmer aufgefordert, etwas zu zeichnen, was ihnen Stress bereite, meldete „Karar“. Darauf zeichnete eine Menschenrechtlerin die Umweltzerstörung in ihrem Land: den Umriss der Türkei mit dem geplanten Atomkraftwerk im Norden und den Bettenburgen an der Mittelmeerküste im Süden. Die simple Kritzelei ist nun Beweisstück der Anklage in einem Terrorverfahren.
US-Botschaft friert Visavergabe an Türken ein
Eine Verhaftung belastet auch das Verhältnis der Türkei zu den USA weiter. Hintergrund ist die Festnahme eines Mitarbeiter der US-Botschaft. Der türkische Staatsbürger wird der Spionage verdächtigt und soll der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fetullah Gülen nahe stehen, dessen Bewegung die Regierung in Ankara für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich macht.
Als Reaktion auf die Festnahme stoppte die US-Botschaft in der Türkei am Sonntag vorläufig die Vergabe von Visa. Damit wird es türkischen Touristen und Geschäftsreisenden erheblich erschwert, in die Vereinigten Staaten zu reisen. Zur Begründung hieß es, man prüfe derzeit, inwieweit die Regierung in Ankara sich der Sicherheit der US-Botschaft und ihres Personals verpflichtet fühle.
Die Beziehungen der beiden Nato-Staaten sind ohnehin angespannt. Außenminister Cavusoglu hat deswegen laut türkischen Medienberichten bereits am Samstag mit seinem US-Kollegen Rex Tillerson gesprochen. (mit dpa)