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3. Mai im Hafen von Mytilene: Eine Gruppe von Flüchtlingen aus dem Camp Moria wird in Lager auf dem griechischen Festland verlegt.
© Manolis Lagoutaris/AFP

Thüringen streitet um Flüchtlinge aus Camp Moria: SPD wirft Grünen Symbolpolitik vor

Thüringen könnte bis zu 2000 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufnehmen. Doch die rot-rot-grüne Koalition ist über die Modalitäten nicht einig.

In Thüringen kommen die Parteien nicht auf einen Nenner über die Aufnahme von bis zu 2000 Geflüchteten aus den Elendslagern auf den griechischen Inseln. Vor einem für diesen Dienstagnachmittag geplanten Chefgespräch zwischen Finanzministerin Heike Taubert (SPD) und Justizminister Dirk Adams (Grüne) warf die SPD den Grünen vor, mit einem Alleingang des Bundeslandes „reine Symbolpolitik" machen zu wollen.

Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Hartung, sagte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, es wäre „wesentlich einfacher“, das Vorhaben im Einvernehmen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) umsetzen. Der Minister für Justiz und Migration, der vergangene Woche einen Entwurf für eine Landesaufnahmeanordnung erstellt hatte, aber wolle es „gegen den Bund machen“. Hartung sagte: „Das wird aber nicht funktionieren.“ Der Plan für Thüringen benötige „Rechtssicherheit“, sonst sei er zum Scheitern verurteilt.

Hartung versicherte, grundsätzlich sei auch die SPD in der rot-rot-grünen Minderheitsregierung für die Aufnahme von Flüchtlingen etwa aus dem Lager Moria auf der Insel Lesbos bereit. „Das A und O“ aber sei die Klärung der finanziellen Fragen, und die sei nicht seriös erfolgt. Adams kalkuliere ein, dass bestenfalls ein paar Dutzend Flüchtlinge kommen und nicht 2000. Es gehe ihm lediglich um Druck auf die Bundesregierung. Die Vorlage aus dem Justizministerium sei „handwerklich ganz schlecht“ gemacht.

CDU signalisiert Ablehnung

Der SPD-Flüchtlingspolitiker sieht die Gefahr von „purer Ankündigungspolitik“. Er verweist auch darauf, dass spätestens bei den Beratungen zum Landeshaushalt 2021 auch die Zustimmung der CDU notwendig sei. Die Christdemokraten indes haben bereits Ablehnung signalisiert. CDU-Fraktionschef Mario Voigt sagte dem Tagesspiegel: „Mir ist vollkommen unverständlich, wie man in diesen Zeiten ohne das Einvernehmen des Bundes so agieren kann. Wir werden die Probleme in Griechenland nicht mit dem rechtswidrigen Handeln der Minderheitsregierung in Thüringen lösen können.“ Im Haushaltsplan des Migrationsministeriums stünden die notwendigen Gelder nicht bereit, die Ausgaben seien auch gar „nicht darstellbar“.

Grundsätzlich haben sich Linke, SPD und Grüne bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Koalitionsvertrag auf eine humane Flüchtlingspolitik verständigt. Nun aber, wo es konkret wird, gibt es über die Modalitäten keine Einigung. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will sich öffentlich zu dem Thema nicht äußern. Er sagt lediglich, dass das Thema erst auf die Tagesordnung des Kabinetts solle, wenn sich die beiden Minister Taubert und Adams geeinigt hätten. Notfalls müssten die Parteien den Koalitionsausschuss anrufen.

Laut Adams' Plan, der von seiner Partei unterstützt wird, soll es eine Aufnahmeerlaubnis aus humanitären Gründen nicht nur für unbegleitete Minderjährige, sondern auch für weitere schutzbedürftige Personen geben.

Zu ihnen werden laut dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, allein reisende Frauen, Schwangere, alleinstehende Mütter und deren minderjährige Kinder, unbegleitete minderjährige Ausländer sowie alle schwer erkrankten oder traumatisierten Flüchtlinge gerechnet. Grundsätzlich sollten auch alle Migranten im Alter von über 65 Personen „mit familiären Beziehungen oder sonstigen integrationsfördernden Verbindungen nach Thüringen“ bevorzugt berücksichtigt werden.

Adams sagte am Montag auf Tagesspiegel-Anfrage: „In den Flüchtlingslagern auf den Inseln im Osten der Ägäis sind nach Angaben aus Griechenland mindestens 40.000 Menschen untergebracht, obwohl diese nur Platz für rund 7500 Menschen bieten. Dort herrschen überwiegend nicht vertretbare humanitäre Bedingungen.“

„Corona-Pandemie verschärft die Lage“

Zwar habe sich die Regierungskoalition im Bund am 8. März entschlossen, einen Teil der in den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ausharrenden Minderjährigen in Deutschland zum Zwecke der Durchführung des Asylverfahrens aufzunehmen und bei der Aufnahme der Minderjährigen auch die Mitglieder der Kernfamilie zu berücksichtigen, sagte Adams. Dennoch sei „ein weitergehendes Handeln angesichts der nach wie vor bestehenden humanitären Notsituation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln dringend geboten“. Die ohnehin schon prekäre Lage wird durch die Ausbreitung der Corona-Pandemie noch verschärft.

Bereits vergangene Woche hatten Finanzministerin Taubert und der SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Tiefensee ihre Vorbehalte gegen die Pläne des grünen Koalitionspartners deutlich gemacht.

Tiefensee sagte, die bisher vorliegende Kabinettvorlage beantworte weder die Frage, wie eine Quarantäne in der Erstaufnahme umgesetzt werden solle, noch wie die Verteilung an die Kommunen und die medizinische Betreuung sichergestellt werden solle. Es fehle die endgültige Klärung zur Finanzierung des Programms. „Darüber hinaus bedarf es einer baldigen Einbeziehung der Kommunen, denen bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle zufällt.“ Tiefensee sagte weiter: „Ich erwarte, dass unser Koalitionspartner und das Migrationsministerium hier ihre Hausaufgaben machen und mit uns gemeinsam eine sachorientierte Lösung erarbeiten. Es ist nicht redlich, mit dem Finger auf die SPD zu zeigen und der Öffentlichkeit zu suggerieren, wir würden eine Lösung blockieren. Guter Wille ersetzt nicht gründliche Arbeit.“

Taubert: Europäische Lösung nicht gefährden

Ähnlich argumentiert Taubert. Sie wies vergangene Woche im Gespräch mit dem Tagesspiegel den Vorwurf zurück, es fehle der SPD an der notwendigen Achtsamkeit, wenn es um die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln gehe. „Mit einem Alleingang aber gefährden wir europäische Lösungen für die Flüchtlinge in Griechenland“, sagte Taubert. Und: „In der jetzigen Krisensituation“ wolle sie den Landräten „nicht noch zumuten, ohne dass sie selbst zustimmen, Flüchtlinge aufzunehmen“. Für die Aufnahme von Flüchtlingen sei „in der Zivilgesellschaft eine hohe Akzeptanz“ notwendig, „das muss ich mit den Landräten vorher klären.“

Grundsätzlich hatte sich eine „Koalition der Willigen“ aus zehn europäischen Staaten im März bereiterklärt, bis zu 1600 Geflüchtete - vor allem unbegleitete Minderjährige - aufzunehmen. Die Umsetzung dieses Vorhabens aber kommt nur schleppend voran. Im April nahm Luxemburg zunächst zwölf Flüchtlingskinder auf. 47 kamen später nach Deutschland, die nach Quarantäne in Niedersachsen auf verschiedene Bundesländer verteilt wurden. Thüringen blieb dabei unberücksichtigt.

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