Programm für Bundestagswahl: SPD will mit sozialer Gerechtigkeit punkten
Nach drei schweren Wahlniederlagen in den Ländern hat die SPD jetzt ihr Wahlprogramm präsentiert. Sie will damit einen Neustart einleiten. Wie gut ist die Partei für den Wahlkampf aufgestellt?
In keiner anderen deutschen Partei ist das Programm so heilig wie in der SPD. Sozialdemokraten glauben fest an die Gestaltbarkeit der Welt durch Parteitagsbeschlüsse und ringen deshalb um jeden Spiegelstrich. Dabei werden sie ungern gestört. Doch Parteichef Martin Schulz hatte am Vormittag gerade die Mitglieder des Parteivorstands begrüßt, als die Sitzung schon unterbrochen werden musste: Wegen eines Bombenalarms räumten die Genossen das Willy-Brandt-Haus. Erst nach eineinhalb Stunden konnten sie den rund 70-seitigen Programmentwurf für die Bundestagswahl beraten und verabschieden.
Zudem sorgten Online-Meldungen für Konfusion, wonach die Parteispitze die Beratung und Verabschiedung des Programmentwurfs verschoben habe. Das hatte auch der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs am Morgen im Deutschlandfunk bestätigt. „Es gab zu viele Änderungsanträge, man wollte das genauer rechnen“, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD.
Verwirrten Journalisten erklärte Generalsekretärin Katarina Barley später, die Programmberatung sei nie abgesagt gewesen. Als „reine Vorsichtsmaßnahme“ habe die SPD wegen der sehr hohen Zahl von Änderungsanträgen nur darum gebeten, den Hinweis auf eine weitere Pressekonferenz zum Inhalt des Programms von der Terminliste zu streichen. Die Generalsekretärin räumte aber ein, die SPD selbst hätte deutlich machen können, dass der Vorstand trotz vorübergehender Absage der Pressekonferenz wie geplant über das Programm reden würde. Der Entwurf wurde am Montag denn auch einstimmig verabschiedet.
Partei in schwieriger Lage
Der hindernisreiche Auftakt der Programmberatung passt nicht nur zur schwierigen Lage der Partei, er wirft auch die Frage auf, ob die gegenwärtige Führungsmannschaft im Willy-Brandt-Haus der Herausforderung im Wahljahr organisatorisch gewachsen ist. Denn es läuft nicht rund für die SPD vier Monate vor der Bundestagswahl. „Jetzt haben wir eine Durststrecke, jetzt haben wir harte Tage hinter uns“, verkündete Schulz am Wochenende auf dem Parteitag der Bayern-SPD.
Drei verlorene Landtagswahlen zehren mächtig an jenem Selbstbewusstsein, das die Sozialdemokraten nach der Ausrufung von Schulz zum Kanzlerkandidaten zurückgewonnen hatten. Die SPD-Führung selbst hat erkannt, dass das Team um den Parteichef mit der Steuerung des Wahlkampfes überfordert scheint. Die Unerfahrenheit der Wahlkämpfer im Willy-Brandt-Haus soll nun Matthias Machnig kompensieren helfen, erfolgreicher SPD-Kampagnenmanager, Vertrauter von Ex-Parteichef Sigmar Gabriel und gegenwärtig Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Generalsekretärin Barley, die selbst noch keinen Wahlkampf gemanagt hat, redete Machnigs Rolle herunter: Er sei ein „extrem kluger Kopf mit viel Erfahrung“, werde aber offiziell keine Funktion übernehmen.
Der Kanzlerkandidat selbst will nun mit Inhalten punkten. „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“ heißt der Titel des Programms, das ein Sonderparteitag in Dortmund am 25. Juni verabschieden soll. Thomas Oppermann, einer der Chefs der Programmkommission, sparte nicht mit Selbstlob, als er das Ergebnis vorstellte. „Ich finde, wir haben ein starkes Programm vorgelegt, vielleicht das beste seit Willy Brandt“, meinte der Chef des SPD-Bundestagsfraktion. Die Vorschläge seien ein „klares Kontrastprogramm“ zu den Ideen von CDU und CSU.
Dreiklang für den Wahlkampf
In der debattenfreudigen Partei gibt es aber Unmut darüber, dass die Zeit für Diskussionen über die eigenen Forderungen vor dem Parteitag nun knapp wird. Die inzwischen abgewählte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte Schulz gebeten, ihren Landtagswahlkampf nicht durch bundespolitische Aufschläge zu stören. Viele Wochen Zeit ließ das Willy-Brandt-Haus verstreichen, in denen Schulz nicht neue SPD-Konzepte vorstellte und in überregionalen Medien kaum vorkam.
Nun will der Kandidat mit einem Dreiklang in den Wahlkampf ziehen, der in etwa lautet: Mehr Gerechtigkeit, Innovationen durch Investitionen für Deutschland, ein starkes Europa und Friedensimpulse aus Deutschland. Zwölf Kapitel umfasst das Programms – von „mehr Familie, beste Schulen und gute Pflege“ bis hin zu „mehr Frieden und Stabilität in der Welt“.
Wo es ums Geld geht, gibt der Entwurf nur eine Richtung vor, bleibt aber unkonkret. So will die SPD in der Steuerpolitik untere und mittlere Einkommen entlasten. Facharbeiter sollen profitieren, indem der Spitzensatz von 42 Prozent erst später greift. Familien mit kleinen und mittleren Einkommen sollten davon profitieren, dass staatliche Bildung gebührenfrei angeboten wird – von der Kita bis zur Universität.
Durchgerechnete Konzepte zur Steuer- und Rentenpolitik will die Partei nachliefern – lässt aber offen, wann es das weit ist. Dabei schwant auch Vorstandsmitgliedern, dass ein Parteitag, der teure Versprechen wie etwa ein längeres Arbeitslosengeld oder einen „Familientarif mit Kinderbonus“ beschließt, ohne deren Finanzierung zu belegen, vom politischen Gegner leicht als sozialdemokratisches Wolkenkuckucksheim geschmäht werden dürfte. Sowohl um das Rentenkonzept als auch um das Steuerkonzept könnte es in der Partei noch harte Auseinandersetzungen geben, wenn es konkret wird.
Doch zumindest einmal konnte die SPD richtig aufatmen an dem Montag, an dem sie ihren Programmentwurf verabschiedete: Nach der Bombenwarnung stellte sich die in der Poststelle der Parteizentrale gefundene verdächtige Sendung als völlig harmlos heraus. (mit dpa)