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Kein Schiff wird kommen: Afghanische Flüchtlingsfrau in Griechenland
© Yannis Bethakis/Reuters

Flüchtlinge: SPD will EU-Asyl für Hunderttausende

Die Migrationsexperten der SPD fordern für deutlich mehr Menschen Asyl in Europa. Die EU debattiere über die Aufnahme von 20000 Menschen, das wirke "wie ein Hohn".

Angesichts von zig Millionen Flüchtlingen fordert die SPD-"Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt" die EU zu mehr Engagement auf. Das wohlhabende Europa mit seinen mehr als 500 Millionen Einwohnern müsse „Hunderttausende“ aufnehmen, heißt es im Beschluss der AG vom Wochenende. Selbst der Libanon, Nachbar des Bürgerkriegslandes Syrien, beherberge mehr als eine Million Flüchtlinge, etwa ein Viertel seiner eigenen Bevölkerung, kritisieren die Migrationspolitiker.

Die Fachleute der AG kritisieren in dem Text unter dem Titel „Für ein solidarisches und weltoffenes Europa“ auch die Konzentration Europas auf die Schlepperbekämpfung. Damit setze man lediglich an einem Symptom an und verkenne, „dass gerade die Abschottungspolitik der EU“ den Markt für die Schlepper „zum Erblühen“ gebracht habe. Aber auch mit der Richtung der EU-Flüchtlingspolitik insgesamt gehen die Fachleute unter dem Vorsitz des Berliner Migrationspolitikers Aziz Bozkurt hart ins Gericht: Die wiederholten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer lösten zwar immer wieder Debatten über eine Reform der gemeinsamen Asylpolitik auf, sie erlöschten jedoch jedesmal "ohne nennenswerte Fortschritte".

Das letzte Massensterben - im April sank ein mit mehr als 700 Menschen besetztes Schiff aus Libyen auf dem Weg nach Norden, nur 28 von ihnen überlebten - habe sogar Vorschläge "zur Militarisierung der Flüchtlingsabwehr" gebracht. Es dürfe aber "keine militärische Aktion der EU nach dem Vorbild der Operation Atalanta gegen die Piraterie vor der Küste Somalias geben", Deutschland dürfe sich "auf keinen Fall" an derlei Aktionen beteiligen. "Wer Schlepperboote zerstört, nimmt das Sterben von Menschen in Kauf", warnen die Autoren des Papiers. Stattdessen müssten die EU-Staaten sichere Fluchtwege ermöglichen. Dies werde unter anderem das Geschäft der Schlepper stören. Flüchtlinge dürften so lange nicht nach den EU-Asylregeln von Dublin abgeschoben werden, bis "ein solidarischer Verteilungsmechanismus mit vergleichbaren sozialen Standards in Europa beschlossen und umgesetzt wurde". Dabei seien die Wünsche der Flüchtlinge, die wegen familiärer Bindungen oder spezieller Sprachkenntnisse Interesse an bestimmten Aufnahmeländern hätten, "zwingend" zu berücksichtigen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Migration und Integration, Rüdiger Veit, verteidigte das Papier der Parteikollegen. Es enthalte „eine Reihe von Forderungen, die in der SPD und auch durch mich schon lange vertreten werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Selbst in der Koalition sei Konsens, „dass die EU natürlich weit mehr als 20000 Flüchtlinge aufnehmen kann und muss. Europaweit wären wir da sicher bei einer sechsstelligen Zahl. Und Deutschland würde seinen Beitrag zu leisten haben - auch über die bisher aufgenommenen Flüchtlinge hinaus.“ Auf die Frage, ob diese sechstellige Zahl hoch oder niedrig sein werde, sagte Veit: „Wenn wir in Europa uns auf die Aufnahme von zunächst 100000 Menschen einigen könnten, wären wir schon weit.“ Nur teilweise ist Veit einverstanden mit der Kritik der Parteiexperten an Dublin: Zwar sei es selbst in der Koalition "kein Streitpunkt mehr, dass Dublin III dringend reformiert werden muss", sagte Veit. Ob die Dublin-Verordnung "sofort und insgesamt flächendeckend ausgesetzt werden sollte, dahinter kann man allerdings ein Fragezeichen setzen".

Die UN zählen weltweit ungefähr 50 Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als je seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Andrea Dernbach

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