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Ein italienisches Rettungsschiff nimmt auf dem Mittelmeer Flüchtlinge an Bord.
© EPA/Alessandro di Meo

Die EU und die Flüchtlinge im Mittelmeer: Der Gipfel des schlechten Gewissens

Europa will Flüchtlinge auf dem Mittelmeer durch mehr Geld für Grenzschutzmissionen retten. Ein langfristiges Konzept für eine verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen blieben die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Sondergipfel in Brüssel aber schuldig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es gibt wenige Bereiche in der EU-Politik, die derart vermint sind wie die Felder des Asyls und der Migration. Die einen sehen in Europa eine Festung, auf deren Zinnen hartherzige Politiker sitzen, die lieber Flüchtlingen beim Ertrinken zusehen, als die Grenzen stärker zu öffnen. Die anderen verbinden mit einer derartigen Öffnung die Befürchtung, demnächst alle Notleidenden aus dem Krisenbogen rund um die Europäische Union aufnehmen zu müssen.

Zwischen diesen Polen hat die Diskussion über die Neugestaltung der europäischen Flüchtlingspolitik seit Jahren vor allem Polemik zu bieten, aber Bewegung gab es nicht. Der EU-Flüchtlingsgipfel vom Donnerstag könnte dies ändern.
Anders als nach der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa vom Oktober 2013 scheinen die Verantwortlichen in Europa diesmal zu einem echten Umdenken entschlossen zu sein. Der Sondergipfel wird nichts daran ändern, dass Hunderttausende weiter an der libyschen Küste auf eine Gelegenheit zur Überfahrt nach Italien und Malta warten.

Ebenfalls ist zu befürchten, dass auch nach dem Treffen von Angela Merkel, Matteo Renzi und Co. Leichen von Flüchtlingen im Mittelmeer treiben werden. Aber immerhin ist die Erkenntnis, dass vor allem der Krieg in Syrien eine bisher ungekannte Fluchtbewegung in Gang gesetzt hat und dass Europa mit seinem bisherigen Instrumentarium bei der Flüchtlingspolitik nicht mehr weiterkommt, jetzt auf Europas Chefebene angekommen.

Maßnahmen nicht weitreichend genug

Die Antwort, mit welchen Mitteln Europas Mitgliedstaaten dem unabweisbaren Flüchtlingsdruck langfristig begegnen wollen, ist dieser Gipfel allerdings schuldig geblieben. Stattdessen haben sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Reihe von Notfallmaßnahmen verständigt, die den massenhaften Tod im Mittelmeer beenden sollen: eine Verdreifachung der Mittel für die EU-Grenzschutzmission "Triton" und die Bereitstellung zusätzlicher Schiffe zur Seenotrettung.

Das ist zwar alles im Angesicht der Tragödie vom vergangenen Wochenende richtig. Aber die Lösungsvorschläge greifen zu kurz. Europa und seine Mitgliedstaaten müssen nicht nur die Frage beantworten, wie sie die Flüchtlingsursachen vor Ort bekämpfen und dem Sterben auf hoher See ein Ende setzen wollen. Sie müssen auch Wege zu einer großzügigeren Aufnahme der Flüchtlinge aufzeigen.

Ein Quotensystem gehört auf die Tagesordnung

Da ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien nicht absehbar ist, gehört zu einer ehrlichen Diskussion über den Umgang mit den Flüchtlingen nämlich auch das Eingeständnis, dass die EU-Staaten noch mehr von ihnen werden aufnehmen müssen.

Dabei sind einige Länder stärker in der Pflicht als andere – etwa bevölkerungsreiche Staaten wie Spanien und Großbritannien, in denen nur verhältnismäßig wenig Asylbewerber registriert werden. Offenbar soll das aus Sicht des britischen Premierministers David Cameron auch so bleiben. Es ist kein Zufall, dass er beim Gipfel zwar seine Hilfe bei der Flüchtlingsrettung anbot – aber keine Öffnung der britischen Grenzen.

Nun hat niemand erwartet, dass das kurzfristig einberufene Brüsseler Sondertreffen schon ein Quotensystem zu einer gerechteren Verteilung von Flüchtlingen unter den EU-Staaten beschließen würde. Aber die Diskussion darüber muss dringend auf der europäischen Agenda bleiben.

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