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Vor der Wiederwahl. Jens Böhrnsen regiert in Bremen seit acht Jahren mit den Grünen.
© dpa

Wahl in Bremen: SPD - warten auf den Sieg

Allen Problemen zum Trotz: Seit 1945 stellt die Bremer SPD den Regierungschef. Daran dürfte die Wahl am Sonntag nichts ändern. Und auch die Grünen werden wohl wieder mit regieren.

Mit 62 Jahren tragen Frauen beim Stadtbummel normalerweise keine Sportschuhe in grellem Orange, dazu Trainingshose und Kapuzenpulli. Aber was tut man nicht alles, wenn Wahlkampf ist. Elisabeth Motschmann also hat sich verkleidet und steht nun im Outfit der Jungen Union lächelnd an einem Biertisch auf dem Bremer Marktplatz, wo die CDU ein Wahlkampffest veranstaltet, mit Zeltstadt, Bungee-Trampolin und Livemusik von Andy And The Beat Boys.

Motschmann, die CDU-Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl am Sonntag, will offenbar ausstrahlen, dass die Union eine moderne Großstadtpartei geworden ist. Ihr Kapuzenpulli trägt vorn ihr Konterfei und hinten das Schlagwort "#motschimachts". Das ist ein bisschen doppeldeutig.

Denn als die Bremer CDU Listenplatz eins zu vergeben hatte, sagten drei, vier Favoriten ab. Deshalb macht es jetzt die Bundestagsabgeordnete. Die eigentliche Botschaft lautet aber, dass "Motschi" die CDU wieder in Regierungsverantwortung bringen soll, wie von 1995 bis 2007 als Juniorpartnerin der SPD. Doch die steht treu zu ihrem grünen Verbündeten und wird, das sagen alle Prognosen, weiter führende Kraft bleiben.

Seit acht Jahren Rot-Grün

Die Bremer SPD kann tun, was sie will: Seit 1945 stellt sie immer den Regierungschef – egal, ob der Stadtstaat extrem verschuldet ist, die höchste Arbeitslosenquote aller Bundesländer hat oder bei Pisa-Bildungstests den letzten Platz belegt. Offenbar werden viele Industriearbeiter und öffentlich Bedienstete mit einem SPD-Gen geboren, das ständig weitervererbt wird. Deshalb könnte sich Bürgermeister Jens Böhrnsen jetzt einen ruhigen Samstag zuhause mit seiner Frau und seinen beiden Katzen gönnen, doch auch er zieht in den Straßenwahlkampf. Seit acht Jahren regiert er gemeinsam mit den Grünen, und so soll es auch bleiben, obwohl es in letzter Zeit öfter zwischen ihnen geknirscht hat.

Da kann sich Motschmann noch so sehr anbiedern und der SPD vorschlagen, nach der Wahl über eine Koalition zu verhandeln. Nein, die Union kann allenfalls ihre Schmach von 2011 wettmachen. Seinerzeit verdrängten die Grünen sie mit 22,5 Prozent auf den dritten Platz: 20,4 Prozent.

Fukushima-Effekt

Das lag an der damaligen Zerstrittenheit der CDU, vor allem aber wohl am Fukushima-Effekt. Falls in den nächsten Tagen nicht irgendwo ein Atommeiler havariert, dürften die Grünen wieder auf ihr Bremer Normalmaß von 12 bis 16 Prozent gestutzt werden. Wenn die SPD ungefähr bei ihren 38,6 Prozent bleibt, reicht das locker zum Weitermachen wie bisher. Fragt sich nur, ob man der Koalition dazu gratulieren oder kondolieren soll. Denn die nächste Wahlperiode wird besonders hart, wegen der ab 2020 bundesweit geltenden Schuldenbremse: Rot-Grün muss es schaffen, bis Ende 2019 trotz steigender Kosten jedes Jahr 125 Millionen Euro einzusparen, um ab 2020 ohne neue Schulden auszukommen. Ein schwerer Auftrag für Finanzsenatorin Karoline Linnert, zugleich Spitzenkandidatin der Grünen. „Mit 16 wollte ich die Welt retten“, erzählt sie. Inzwischen ist sie 56 und versucht, einen Zwergstaat zu retten. 20 Milliarden Euro Schulden lasten auf ihren Schultern.

Auch Linke,FDP und AfD haben Chancen

„Moin Bremen, was geht?“ Mit solchen knallroten Plakaten startete die Linke ihre Kampagne. Die Antwort gab später die 49-jährige Spitzenkandidatin auf einem weiteren Plakat: „Kristina Vogt: Soziale Politik, das geht.“ Die Linken sind die einzigen, die die Schuldenbremse ablehnen. Ihre Devise: lieber die Steuern für Reiche erhöhen als den Staat kaputtsparen. Vor der Wahl 2011 war die Partei ein ziemlich zerstrittener Haufen. Mit 5,6 Prozent überwand sie nur knapp die Sperrklausel. Inzwischen hat sie sich gefangen, macht konstruktive Opposition, stimmt sachbezogen mal mit Rot-Grün und mal mit der CDU. Am Sonntag kann sie auf deutlichen Stimmenzuwachs hoffen.

Bitte abtreten! Das war vor vier Jahren der Wählerauftrag an die FDP. Die hatte sich damals selbst zerlegt und bekam nur noch 2,4 Prozent. Nun hat sie sich völlig neu erfunden: Wie Katja Suding in Hamburg soll die 29-jährige Jungunternehmerin Lencke Steiner der Altherrenpartei einen frischen Anstrich geben. Dabei ist sie nicht mal FDP-Mitglied. Kontakt zur Politik hatte Steiner bisher allenfalls als Bundesvorsitzende der „Jungen Unternehmer“.

Manche kennen sie aus dem Privatfernsehen: Sie war Jurorin einer Gründershowserie, damals noch unter ihrem Mädchennamen Lencke Wischhusen. Jetzt macht sie auf Politikshow. Ein Personenwahlkampf, bei dem sie auch auf ihr Äußeres setzt: schlank, blond, langhaarig. Und auf originelle Plakatsprüche. Zum Beispiel zur Verkehrspolitik: „Es heißt Bremen, nicht bremsen“. Glaubt man den Meinungsforschern, dann könnte die Marketingkampagne die FDP zurück ins Parlament katapultieren, mit fünf bis sechs Prozent.

Die Novizen von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) werden derzeit mit fünf Prozent gehandelt. Eine Zitterpartie. Pech für sie, dass Parteivizechef Hans-Olaf Henkel ausgerechnet jetzt zurückgetreten ist. Und dass im selben Wählerreservoir eine andere rechtslastige Liste fischt: Die „Bürger in Wut“ (BiW) sitzen bereits seit einer Nachwahl von 2008 im Bremer Landesparlament, dank ihrer fünf bis sieben Prozent in der Arbeitslosenhochburg Bremerhaven. Im Zwei-Städte-Staat an der Weser reicht es nämlich, in nur einer der beiden Städte die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Recht und Ordnung

Vielleicht graben sich AfD und BiW gegenseitig das Wasser ab, womöglich reicht es jedoch auch für beide. Denn etliche Bremer sehnen sich nach Recht und Ordnung, angesichts des jüngsten Bremer Terroralarms und der Gewalttaten einzelner jugendlicher Flüchtlinge. Recht und Ordnung: Das war auch mal die Domäne der CDU. Auch heute fordert sie noch „Harte Kante gegen Kriminelle“, aber manche Programmpunkte klingen richtig modern: „Freies WLAN im ÖPNV“ oder „Bremen soll Smart City werden“. Und sie will etwas gegen die Armut tun. Ein ziemlicher Gemischtwarenladen.

Auch Spitzenkandidatin Motschmann ist nicht mehr das, was sie mal war. Ihr Outfit signalisiert auch einen inneren Wandel. Vor vielen Jahren wirkte die Gattin eines strenggläubigen Pastors wie eine züchtige Landfrau. Sie eiferte gegen Feminismus, Abtreibungen und ähnliches Teufelszeug. Heute ist sie kräftig geschminkt, setzt sich für die Frauenquote ein („Früher dachte ich, wir schaffen es von alleine“) und akzeptiert das Abtreibungsrecht, auch wenn sie weiter in der Stiftung „Ja zum Leben“ sitzt. Woher der Wandel? „Ich habe kritische Kinder.“ Und viel mit ihnen diskutiert. Aber das „C“ im Parteinamen, das ist ihr weiterhin eine Verpflichtung - egal, ob sie Rock oder Kapuzenpulli trägt.

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