Neuer Streit um Homöopathie: SPD-Vize Schwesig unter Beschuss
Wegen ihrer Schirmherrschaft für einen Homöopathen-Kongress hat die SPD-Politikerin Manuela Schwesig mächtig Ärger. Doch Parteifreunde sind vorsichtig.
Wirkungsloser Mumpitz oder sinnvolle Alternativmedizin? Im Glaubenskrieg um die Homöopathie scheiden sich die Geister. Bis heute fehlt jeder wissenschaftliche Nachweis für eine Wirksamkeit der verwendeten Tröpfchen und Zuckerkügelchen, im Fachjargon Globuli genannt. Andererseits gibt es den sogenannten Placebo-Effekt, intensive Zuwendung kann Wunder wirken, eine Bevölkerungsmehrheit möchte die Wahl haben – und viele gesetzliche Kassen tragen auch die Kosten für solche Behandlungen. Dass die stellvertretende SPD-Chefin und Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, die Schirmherrschaft für einen großen Homöopathen-Kongress übernommen hat, stößt dennoch manchem bitter auf. In den sozialen Netzwerken sieht sich die Politikerin massiver Kritik ausgesetzt.
Worum geht es bei dem Kongress und wie genau hat sich Schwesig positioniert?
Der Kongress, der Ende Mai in Stralsund stattfindet, steht unter dem Motto: „Homöopathie und das Meer. Vom Ursprung des Lebens“. Mecklenburg-Vorpommern als Küstenland sei prädestiniert für dieses Leitthema, schrieb Schwesig in ihrem Grußwort. Zudem sei es „sehr wichtig, zum Beispiel darüber zu forschen, wie im Säuglings- und Kleinkindalter alternative Methoden wie die Homöopathie in der Therapie wirksam eingesetzt werden können“. Nach der negativen Resonanz ließ sie erklären, dass es ihr nicht darum gegangen sei, sich in den „Methodenstreit“ über die Homöopathie einzuschalten. „Die Frage, ob und wie Homöopathie sinnvoll eingesetzt werden kann, kann nur Gegenstand von Forschung und wissenschaftlichem Austausch sein.“ Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte zeigte sich dennoch hochzufrieden. „Die homöopathischen Ärzte in Deutschland danken Frau Schwesig dafür, dass sie sich für die Stärkung der Integrativen Medizin einsetzt“, sagte Verbandschefin Cornelia Bajic.
Wie sind die politischen Reaktionen?
Eher verhalten. Karl Lauterbach – Gesundheitspapst der SPD und bekannt als vehementer Kritiker der Homöopathie – sagte dem Tagesspiegel, er werde sich weder zu Schwesigs Vorstoß noch zu Sinn und Unsinn dieser Heilmethode äußern. Vor neun Jahren hatte er gefordert, die Kostenerstattung für Homöopathie durch gesetzliche Kassen zu verbieten. Daraufhin hatte ihn die eigene Partei zurückgepfiffen und ihm einen Maulkorb verpasst. Man werde keine Diskussion beginnen, stellte die damalige Fraktionsvize Elke Ferner klar, „die bei den Menschen die Angst auslöst, ihre umfassende medizinische Versorgung könnte gefährdet sein“. Bei dieser Defensiv-Haltung ist es geblieben, nicht nur in der SPD. Homöopathie ist beliebt, man will es sich nicht mit potenziellen Wählern verscherzen. Nach einer Umfrage von 2018 lehnen es 60 Prozent der Bürger ab, die Kostenerstattung durch gesetzliche Kassen einzuschränken.
Dafür übte die frühere Familienministerin, Kristina Schröder (CDU), umso heftigere Kritik. Via Twitter bezeichnete sie Schwesigs Schirmherrschaft als „bewusste Positionierung pro Homöopathie“. Über Schirmherrschaften entscheide man als Minister oder Ministerpräsident selbst, betonte sie. Die Frage sei also nur, ob Schwesig das aus Überzeugung getan habe „oder weil sie es für populär hält“. Sie selber halte Homöopathie „nicht nur für Mumpitz, sondern für gefährlich“, stellte Schröder klar – und zwar, weil sie „einen Einstieg in ein unaufgeklärtes Weltbild“ darstelle. Allerdings hätte die frühere Familienministerin dann auch gegen ihre Parteifreundin Annette Widmann-Mauz zu Felde ziehen müssen. Vor zwei Jahren hatte diese - noch dazu als Gesundheitsstaatssekretärin - die Homöopathen durch eine ähnliche Aktion protegiert. Sie übernahm damals die Schirmherrschaft des homöopathischen Weltärztekongresses.
Kritik an Schwesig kam auch von der Landes-FDP. Eine Schirmherrschaft sei „ein politisches Statement“, so Generalsekretär David Wulff. Wenn die Ministerpräsidentin für den Homöopathie-Kongress stehe, erkläre das auch „das homöopathische Wirtschaftswachstum“ des Landes, giftete er.
Wie verbreitet ist Homöopathie und wie viele nehmen sie in Anspruch?
Die Zahl homöopathisch tätiger Mediziner ist seit 1993 nach Verbandsangaben auf fast das Dreifache gestiegen – von 2500 auf etwa 7000. Das wären 4,5 Prozent der niedergelassenen Ärzte im Land. Sie bekommen ihren Zusatztitel nach entsprechender Weiterbildung von den Ärztekammern verliehen. Heilpraktiker sind dabei nicht eingerechnet. Am meisten verbreitet sei Homöopathie unter Allgemeinmedizinern, Kinderärzten, Gynäkologen und Internisten, sagt Verbandssprecher Björn Bendig. Einen Überblick, wie viele Patienten sich derart behandeln lassen, gibt es nicht. Allerdings haben nach einer Forsa-Erhebung 53 Prozent der Bürger Erfahrungen mit Homöopathie. Frauen sind dabei mit 61 Prozent deutlich stärker vertreten als Männer (48 Prozent). Ein höherer Bildungsabschluss scheint die Neigung zu ebenfalls zu befördern, hier liegt die Quote der Homöopathie-Erfahrenen bei 56 Prozent.
Wie ist die Homöopathie entstanden?
Als ihr Erfinder , der Sachse Samuel Hahnemann vor 209 Jahren seine Theorie aufstellte, hatte die klassische Medizin ein Problem: Kranke hatten meist bessere Aussichten, wieder gesund zu werden, wenn sie erst gar keinen Arzt aufsuchten. Denn dieser verordnete Aderlass und brutale Abführmittel, operierte ohne Infektionsschutz, mischte verunreinigte oder giftige Substanzen (darunter Arsen und Quecksilber) zu Mitteln zusammen, die manchem vollends den Garaus machten. Hahnemann ging es schlicht um Methoden, die einerseits wirken, andererseits möglichst wenig Nebenwirkungen haben sollten. Dabei versuchte er vieles erst mal mal an sich selbst Zum Beispiel fiel ihm auf, dass aus Peru importierte Chinarinde bei ihm genau jene Fiebersymptome auslöste, die sie eigentlich bei Malariakranken lindern sollte. Nachdem er mit anderen Substanzen ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, schloss Hahnemann, die beste Arznei sei die, „welche ein ähnliches Leiden erregen kann, als sie heilen soll“. Auf diesem "Ähnlichkeitsprinzip" beruhen auch traditionelle Heilmethoden anderswo auf der Welt.
Hahnemann hatte aber noch andere Ideen: Um mit seiner teils giftigen Arznei möglichst wenig Schaden anzurichten, verdünnte er sie. Und als eine Fuhre seiner gelieferten Mittel, die auf dem Eselskarren ordentlich durchgeschüttelt worden war, bei den Patienten besonders gut zu funktionieren schien, war er überzeugt, dass sich die Wirkung durch Schütteln noch potenzieren ließ. Auf diesen Prinzipien beruht die Herstellung homöopathischer Mittel bis heute. Ob sie wirklich halfen, konnte Hahnemann objektiv nicht überprüfen, denn die dafür nötige wissenschaftliche Methodik gab es noch gar nicht.
Warum ist Homöopathie in Zeiten wissenschaftlichen Denkens immer noch populär?
Die anhaltende Nachfrage ist wohl zu großen Teilen ähnlich begründet wie zu Hahnemanns Zeiten: Die Kügelchen und Tropfen erscheinen den Patienten, anders als chemisch erzeugte Arznei aus dem Pharmalabor, als besonders „sanft“, und sie haben meist auch keinerlei Nebenwirkungen - von bekanntgewordenen Arsen-Vergiftungen einmal abgesehen. Zudem berichten nicht wenige Patienten, dass es ihnen damit besser gehe – ob aufgrund von Placeboeffekten oder durch den Körper und seine über Abwehrkräfte selbst bewerkstelligte Genesung. Eine große Rolle scheint auch das von der so genannten Schulmedizin oft nicht eingelöste Versprechen einer empathischen und ganz individuellen Behandlung zu spielen. Persönliche Zuwendung, stundenlange Anamnese-Gespräche und speziell auf den Patienten ausgerichtete "Therapien" können einiges bewirken. Das gilt allerdings auch generell für die ärztliche Kunst ohne Homöopathie, kommt dort inzwischen aber oft zu kurz.
Eine direkte physiologische Wirkung von Mitteln, die so hoch verdünnt sind, dass darin kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorkommt, ist bislang aber weder nachgewiesen noch naturwissenschaftlich plausibel: Wenn sie wirken, wie von vielen Patienten behauptet, dann nur oder vor allem, weil der Therapeut oder die Therapeutin sich dem Patienten besonders intensiv zuwendet und dieser an die Wirkung des verabreichten Mittels und der Gesamtbehandlung glaubt.
Weshalb zahlen gesetzliche Kassen für Homöopathie, nicht aber für Brillengläser?
Was die Kassen für Brillen oder Zahnersatz zahlen dürfen, ist gesetzlich strikt geregelt. Bei Homöopathie (oder beispielsweise auch bei der Osteopathie) dagegen dürfen sie frei entscheiden. Erlaubt ist ihnen das seit 2012. Der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) wollte mehr Wettbewerb im System. Er setzte durch, dass die Versicherer auch Leistungen anbieten dürfen, die über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen.
Nach aktuellem Stand erstatten zwei Drittel der gesetzlichen Kassen homöopathische Leistungen voll oder teilweise – darunter die Techniker Krankenkasse (TK), die Barmer und zahlreiche AOKen. Wie viel sie dafür ausgeben, ist Betriebsgeheimnis. Insider sagen, dass sich dadurch kein Geld sparen lasse, weil Versicherte ihre schulmedizinische Behandlung und Arznei in der Regel nicht durch Homöpathie ersetzen, sondern nur ergänzen. Allerdings scheint die Zusatzofferte auch nicht sehr teuer zu sein. Die Ausgaben für Homöopathie bewegten sich „im Promillebereich“, heißt es bei der TK. Die Zahl der Versicherten, die solche Angebote pro Jahr nutzen, sei allenfalls vierstellig, berichten die AOKen.
Insofern sind die Kassenchefs hin- und hergerissen. Einerseits stärkt das Versprechen, auch für homöopathische Leistungen aufzukommen, die eigene Position im Wettbewerb. Andererseits nimmt die Kritik von Mitgliedern zu, dass ihre Beiträge ungefragt auch in Leistungen mit fragwürdigem und nicht nachweisbarem Nutzen fließen. Von daher würde sich mancher Funktionär in Sachen Homöopathie durchaus klarere Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses wünschen. Doch dieses Entscheidungsgremium über gesetzliche Kassenleistungen traut sich offenbar auch nicht an das heikle Thema heran.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung forderte die Kassen bereits auf, Globuli und homöopathische Behandlung nicht länger zu erstatten. Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery - mit einer homöopathischen Ärztin liiert - hält sich zurück. Die Ärztekammer im Land von Schwesig dagegen bezieht eine klare Position. „Wir sind dagegen, dass die Krankenkassen Homöopathie bezahlen", sagt der dortige Vizepräsident Wilfried Schimanke. Das sei Verschwendung. „Bei der Homöopathie ist es wirklich der Glaube, der Berge versetzt.“
Wie halten es die europäischen Nachbarn mit der Homöopathie?
Das europäische Ausland zeigt oft wenig Leidenschaft für Globuli. Die britische Gesundheitsbehörde NHS erstattet seit 2017 keine Behandlungskosten mehr. Eine Homöopathie-Vereinigung scheiterte vor Gericht mit einer Klage gegen den Erlass. Schweden kippte 2011 ein Verbot, das Ärzten homöopathische Behandlungen untersagte. In Skandinavien fristet die Homöopathie aber weiter ein Nischendasein. Laut einer Studie von 2014 hatte jeweils etwa ein Prozent der befragten Schweden, Dänen und Norweger angegeben, innerhalb der vergangenen zwölf Monate homöopathische Mittel zu sich genommen zu haben. In Deutschland waren es 11,8 Prozent, in Frankreich sogar 12,8.
Die französische Gesundheitsministerin und Ärztin Agnès Buzyn hat ihre Behörde im vergangenen Jahr angewiesen, die Wirksamkeit homöopathischer Mittel zu überprüfen. Fällt das Ergebnis negativ aus, sollen die Kosten solcher Behandlungen nicht mehr erstattet werden. Wie die oberste Ärztekammer Spaniens hat sich auch die französische dafür ausgesprochen, Homöopathie aus der ärztlichen Praxis zu entfernen. Dennoch wird bisher auch in Frankreich viel Geld verdient mit Homöopathie.
Nach einer Volksabstimmung sind die schweizerischen Krankenkassen seit 2009 verpflichtet, die Kosten homöopathischer Behandlungen der Eidgenossen zu übernehmen.