Armutsmigration: SPD grenzt sich von Innenminister Friedrich ab
Die SPD warnt CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich im Streit um rumänische und bulgarische Migranten davor, das EU-weite Grundrecht der Freizügigkeit einzuschränken.
Die SPD trägt im Streit um die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren den harten Kurs von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht mit. Er wende sich „gegen Restriktionen“ für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien, sagte der Vize-Vorsitzende der SPD im Bundestag, Axel Schäfer, dem Tagesspiegel. Zuvor hatte Friedrich bei einem Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag angekündigt, notfalls gemeinsam mit anderen EU-Staaten die Armutseinwanderung stoppen zu wollen – an der EU-Kommission vorbei. Friedrich hatte erklärt, dass einige Länder ein „großes Problem“ mit Migranten hätten, die allein wegen der Sozialleistungen kämen. Ab dem 1. Januar 2014 können sich Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien im Zuge der von der EU garantierten Freizügigkeit in Deutschland niederlassen – bislang konnten sie sich lediglich als Selbstständige anmelden.
Auch der SPD-Europapolitiker Michael Roth kritisiert den Vorstoß von Friedrich mit den Worten, dass die „Freizügigkeit eines der elementaren Grundrechte der EU“ sei. Bereits während der Koalitionsverhandlungen habe sich gezeigt, dass die CSU „Europa nicht ganz verstanden“ habe. Andererseits dürfe man nicht ignorieren, dass es Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland gebe. Den betroffenen Kommunen „muss geholfen werden“, forderte Roth.
Anders als Innenminister Friedrich sieht der SPD-Fraktionsvize Schäfer keinen Anlass, dass einige Mitgliedstaaten den Zuzüglern aus den EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien Beschränkungen auferlegen. Derartige multilaterale Notmaßnahmen seien nur in Ausnahmefällen möglich, argumentierte Schäfer – und ein solcher Ausnahmefall sei angesichts der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ab Januar nicht gegeben. „Die Vorstellung, dass es jetzt eine große Einwanderungswelle nach Deutschland geben wird, ist verfehlt“, sagte er.
Berlins Arbeitssenatorin sieht Herkunftsländer in der Pflicht
Entzündet hatte sich die Debatte in Deutschland an einem Urteil des nordrhein-westfälischen Landessozialgerichts vom Oktober, das einer in Gelsenkirchen lebenden Roma-Familie aus Rumänien einen Anspruch auf Hartz IV zubilligte, obwohl die Jobsuche der Eltern erfolglos geblieben war. Friedrich hatte das Urteil anschließend mit den Worten kommentiert, es liege „auf der Hand, dass es einen Anreiz für weiteren Zuzug bietet“.
Dem hielt Schäfer, der auch Chef der SPD-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen im Bundestag ist, entgegen, dass die Erfahrungen mit dem Wegfall von Hürden bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit etwa im Fall Polens eine Einwanderung von Rumänen und Bulgaren zur Jahreswende im großen Stil nicht erwarten ließen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist für Arbeitnehmer aus Polen seit Mai 2011 komplett geöffnet. „Es ist nicht so, dass es zu solchen Stichtagen zu massenhaften Veränderungen kommt“, sagte Schäfer.
Berlins Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) unterstrich unterdessen die Verantwortung der Herkunftsländer für die Situation der dort lebenden Sinti und Roma. Auf einer Veranstaltung des Berlin-Maximal-Clubs im Tagesspiegel verlangte sie, Bulgarien und Rumänien müssten die Lebensumstände dieser Menschen so gestalten, dass sie nicht mehr in der Auswanderung in andere EU-Staaten die einzige Chance für ein menschenwürdiges Leben sähen. Die EU als Ganzes sei aufgefordert, auf die Verbesserung der Situation dieser Bevölkerungsgruppe in ihrer Heimat hinzuwirken.
Albrecht Meier, Gerd Appenzeller