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Sigmar Gabriel and Clemens Toennies bei einem Treffen im Februar 2015.
© Ina Fassbender/REUTERS
Update

„So was macht man nicht“: SPD-Arbeitsminister kritisiert Gabriels Tönnies-Job

Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel kassierte 10.000 Euro im Monat für die Beratung von Tönnies, wie jetzt herauskommt. Aus der SPD kommt harsche Kritik.

Es war im Februar 2015, als Sigmar Gabriel Clemens Tönnies die Aufwartung machte. Es gab Schnittchen mit Wurst und der damalige Bundeswirtschaftsminister betonte vor der Presse in Rheda-Wiedenbrück, die Werkverträge für die Malocher in der Fleischindustrie dürften nicht zum „Umgehungstatbestand für deutsches Arbeitsrecht werden“.

Im darauffolgenden Jahr unterzeichneten die Unternehmen Tönnies, Vion, Heidemark, Danish Crown, Lohmann und Westfleisch eine Selbstverpflichtung, in der sie versprachen, den Anteil der Stammbelegschaft schrittweise zu erhöhen. Auf feste Quoten wollten sich die Konzerne allerdings nicht festlegen. Es galt, weiterhin möglichst billig zu produzieren.

Sigmar Gabriel nimmt für sich in Anspruch, dass damals schon ein Branchen-Mindestlohn durchgesetzt wurde. Zudem sollten die Wohnbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter verbessert werden.

Dass die Selbstverpflichtung nicht besonders viel genützt haben kann, deckte schließlich die Coronapandemie auf: Nachdem in einem Zerlegebetrieb von Tönnies bei Rheda-Wiedenbrück mehr als 1.500 der rund 6.650 Beschäftigten positiv auf das Virus getestet wurden und die ganze Region im Kreis Gütersloh im Lockdown war, geriet die Fleischindustrie gewaltig unter Druck.

Pauschale von 10.000 für Gabriel

Gerade die SPD mit Arbeitsminister Hubertus Heil an der Spitze gibt sich aktuell als Vorkämpfer für ein Ende der Ausbeutung in der Fleischindustrie. Doch Recherchen des ARD-Magazins "Panorama" decken auf, dass der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel seit März 2020 selbst als Berater von Tönnies fungierte.

Gabriel erhielt für seine Arbeit offenbar einen Pauschalvertrag von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Wegen einer komplizierten Operation ließ er die Tätigkeit seit dem 31. Mai ruhen.

„Das damalige Beratungsverhältnis hat nichts mit den aktuellen Themen von Tönnies zu tun“, betont der langjährige SPD-Chef auf Nachfrage des Tagesspiegels. Die Beratungstätigkeit für Tönnies befasste sich ausschließlich mit drohenden Exportproblemen nach Asien durch die in Europa kursierende „afrikanische Schweinepest“. Es sei dabei um handelsrechtliche Fragen gegangen. Gabriel verteidigte sein Beratungsverhältnis.

Dem Spiegel sagt er: "Wozu machen wir eine Cooling Down Phase, in der man als Ex-Politiker nichts machen darf, wenn man danach noch so behandelt wird, als sei man im Amt?" Für normale Menschen seien 10.000 Euro viel Geld. "Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag. Ich bin kein Politiker mehr."

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Tönnies verdiente viel Geld damit, alles vom Schwein zu vermarkten und etwa nach China zu verkaufen, der drohende Exportstopp war ein großes Problem. Aber im März wütete ohnehin schon Corona. Nun gibt es auch in der SPD viel Unverständnis.

Kritiker sprechen von "Lobby-Schweinerei"

„Das, was er jetzt macht, ist wahrscheinlich legal. Legitim? Darüber muss man diskutieren. Ich sage es mal in den Worten meiner Mutter: Es gibt Situationen, da kommt mir das Gefühl, so was macht man nicht“, sagt Arbeitsminister Hubertus Heil der "Bild-Zeitung". Gabriel müsse das selbst entscheiden. „Ich bedauere das. Meine Mutter lebt leider nicht mehr. Sie hat Sigmar Gabriel immer sehr gerne gemocht. Die hätte ihm jetzt wahrscheinlich gesagt: Warum machst Du das?“

Ähnlich reagierte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). In der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ sagte sie, sie verstehe die Entscheidung Gabriels nicht. „Das geht gar nicht und ich glaube, das weiß Sigmar Gabriel selbst auch.“

Die Parteilinke Hilde Mattheis meint via Twitter: „Gibt es irgendeine #Lobby-Schweinerei, die du der #SPD ersparen möchtest, @sigmargabriel? Während deine Partei ein #Lobbyregister vorantreibt, lässt du dich von einem Schweinebaron bezahlen, der Menschen unter unwürdigen Bedingungen schuften lässt“.

Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans betonen auf Tagesspiegel-Anfrage: „Ehemalige Vorsitzende sind der SPD keine Rechenschaft schuldig, wenn sie nach ihrer aktiven Zeit Tätigkeiten für andere aufnehmen“: Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergebe sich dabei aus unseren Grundwerten, „an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil bezeichnet den Vorgang in einer Mitteilung als „befremdlich und peinlich“. Tönnies sei wie kaum ein anderes Unternehmen für die unhaltbaren Verhältnisse in der Fleischindustrie bekannt. In Anbetracht der Bestrebungen des Arbeitsministers Hubertus Heil, das „System Tönnies“ zu beenden, sei es „umso unverständlicher, dass Sigmar Gabriel einen solchen Beratervertrag abgeschlossen hat“. Der politische Schaden für die SPD sei unbestreitbar.

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Die Partei, die um Glaubwürdigkeit und Vertrauen kämpft, hat es gerade schwer: Erst der Auftritt von Altkanzler Gerhard Schröder am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss als Gas-Lobbyist im Dienste Wladimir Putins.

Tönnies versprach bei Gabriel-Besuch Besserung

Und nun Gabriels bisher unbekannte Tätigkeit für Tönnies, den er seit Jahren wegen seiner Offenheit schätzt und der den Wirtschafts- und späteren Außenminister Gabriel Anfang diesen Jahres auf das Exportproblem ansprach und als Berater gewinnen konnte.

Als 2015 die Zeit-Journalistin Anne Kunze über die Missstände in der Fleischindustrie berichtete, war es Gabriel, der sie kontaktierte und Verbesserungen ganz nach oben auf seine Agenda setzte.

[Nicht nur Sigmar Gabriel hat Nebenjobs. Fast jeder dritte Bundestagsabgeordnete geht neben dem Mandat einer bezahlten Tätigkeit nach. Hier ein Überblick, wer die höchsten Nebeneinkünfte hat und welche Lücken es in den Regeln für Abgeordnete gibt (Abo).]

Sie erinnert jüngst in der „Zeit“ an den Besuch im Februar 2015 bei Tönnies: „Clemens Tönnies, der größte aller Schlachter, empfing den Minister mit breitem Aufgebot vor seinem Werk in Rheda-Wiedenbrück. Er führte ihn durch seinen Schlachthof, patschte ihm immer wieder jovial auf den Arm, scherzte und lachte. (…)

Als Gabriel und Tönnies danach vor die Presse traten, erklärte Tönnies, die Fleischindustrie werde sich bessern. Gabriel erklärte, an die Werkverträge komme man nicht ran. Und Tönnies betonte: „Ohne Werkverträge sei es unmöglich, in Deutschland zu produzieren.“

Schließlich erfordere die Grillsaison Flexibilität. Nun wird er von den Entwicklungen überrollt und bangt um sein Lebenswerk – während Gabriel mit Blick auf die Aufregung um seinen Nebenjob betont: „Ehrlich gesagt kann ich daran nichts Skandalöses erkennen.“

Gabriel hat nach dem Ende seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter eine Reihe von Tätigkeiten, er ist auch Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der der Tagesspiegel gehört. Zuletzt ist er in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank gewählt worden.

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